Flüchtlingsreferendum in Ungarn: Eigentor für Orbán

Trotz der massiven Kampagne gingen zu wenige Ungarn wählen – das Referendum ist ungültig. Regierungschef Orbán zelebriert dennoch.

Viktor Orban steht vor ungarischen Flaggen

Das Volk hat nicht mitgemacht: Viktor Orbán nach dem Referendum Foto: ap

WIEN taz/dpa | Viktor Orbán hat gewonnen. Den Eindruck bekommt, wer die regierungstreue Presse nach dem Referendum vom Sonntag liest. Das Plebiszit, mit dem sich der rechtsnationalistische Premier seine Abwehr der EU-Flüchtlingspolitik vom Volk absegnen lassen wollte, ist aber ungültig. Zwar haben sich über 98 Prozent gegen eine von der EU vorgeschriebene Quote von Asylberechtigten ausgesprochen. Doch die Hürde von 50 Prozent der Wahlberechtigten wurde mit 39,9 Prozent Beteiligung deutlich verfehlt.

„Wir haben ein großartiges Ergebnis erzielt“, verkündete Orbán vor seinen Anhängern in Budapest nachdem Sonntagabend das vorläufige Endergebnis bekannt war. Dass das Referendum gescheitert war, kommentierte er mit keinem Wort. Im Gegenteil: Der „überwältigende Sieg“ werde sich auch in Brüssel als „ziemlich scharfe Waffe“ erweisen. Gestärkt durch das Volksvotum will Orbán eine Verfassungsänderung initiieren, die „den Willen des Volkes widerspiegelt“. Man werde „Brüssel zu verstehen geben, dass es den Willen der Ungarn nicht ignorieren kann.“

„Wollen Sie, dass die Europäische Union auch ohne Zustimmung des Parlaments die verpflichtende Ansiedlung von nicht ungarischen Staatsbürgern in Ungarn vorschreiben kann?“ Diese Frage zu beantworten, waren acht Millionen Stimmbürger am Sonntag aufgerufen. Nach dem EU-Verteilungsschlüssel sollte Ungarn, das mehr als neun Millionen Einwohner zählt, gerade einmal 1296 anerkannte Asylwerber ansiedeln. Das entspricht nicht einmal 1,5 Prozent der Anzahl, die Österreich im Jahr 2015 aufgenommen hat. Am Ergebnis bestand angesichts der fremdenfeindlichen Grundstimmung in Ungarn nie ein Zweifel.

Doch dass die Fünfzigprozenthürde schwer zu nehmen sein würde, war auch Orbán klar. Bei den Parlamentswahlen 2014 hatte seine Fidesz unter 45 Prozent Zustimmung erhalten. Selbst wenn mit der Mobilisierung der faschistischen Jobbik zu rechnen war, wurde eine Zitterpartie erwartet.

Deswegen überzog die Regierung das Land monatelang mit einer unglaublichen Angstkampagne. “Wussten Sie, dass seit Beginn der Einwanderungskrise mehr als 300 Menschen in Europa durch Terroranschläge ums Leben kamen?“, lautet eine der Fragen, mit denen Angst und Verunsicherung des Wahlvolks noch gesteigert werden sollen. Fünf weitere Fragen, die alle mit “Wussten Sie?“ beginnen, warnten zum Teil mit reinen Spekulationen, zum Teil auch mit Falschinformationen vor weiterem Zustrom von Asylsuchenden.

Gültig? Ungültig? Hauptsache Nein

Bindenden Charakter hat das Referendum nicht. Trotzdem ließ sich Viktor Orbán die Veranstaltung immerhin 15 Millionen Euro kosten. Mit mindestens weiteren zehn Millionen Euro schlage die Propaganda zu Buche, wie Regierungssprecher Zoltán Kovács vorsichtig schätzte. Dass die Gültigkeit der Abstimmung keinerlei Auswirkungen auf die Regierungspolitik haben würde, hatte auch Kovács schon angedeutet.

Orbán bestätigte das: „Ein gültiges Referendum ist immer besser als ein ungültiges, aber die rechtlichen Konsequenzen werden dieselben sein.“ Einzig relevant sei, „dass es mehr Nein-Stimmen als Ja-Stimmen gibt“, wie der Premier am Sonntag vor Journalisten klarstellte. Man werde gesetzlich festschreiben, dass nur das ungarische Parlament bestimmen könne, „mit wem die Ungarn zusammenleben wollen“, fügte er hinzu.

Bestätigt sieht sich auch Ex-Premier Ferenc Gyurcsány, der Chef des oppositionellen Demokratischen Forums (DK), der Orbáns Rücktritt forderte. Er habe „alles auf eine Karte gesetzt und ein enormes Debakel erlitten“. Gyula Molnár von der sozialdemokratischen MSZP sieht es als „verfassungsfeindlich“, wenn die Regierung sich auf das Ergebnis des „ungültigen Referendums berufend in Aktion tritt“. Orbáns Rücktritt verlangte auch der Chef der rechtsradikalen Jobbik, Gábor Vona. Orbán habe ein „riesiges Eigentor geschossen und eine persönliche Niederlage erlitten“.

Das ungültige Ergebnis wurde international teilweise mit Erleichterung aufgenommen. „Das ist kein guter Tag für Herrn Orban und kein so schlechter Tag für Ungarn und die EU“, sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn am Sonntagabend der Deutschen Presse-Agentur. Das ungarische Volk habe sich europäischer als seine Regierung gezeigt.

Der Chef der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im Europaparlament, Gianni Pittella, begrüßte das Ergebnis: „Ganz Europa hat gewonnen. Populismus und Fremdenfeindlichkeit haben verloren.“ Die „Mauer aus Lügen und Stacheldraht“, die Orban gegen Flüchtlinge aufgebaut habe, beginne hoffentlich einzustürzen.

Als Sekundant Orbáns betätigte sich indes Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), der Sonntag abend bei Anne Will in der ARD die Quotenpolitik als gescheitert erklärte und Orbán als Vorreiter einer richtigen Grenzschutzpolitik verteidigte.

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