Flüchtlingspolitik in Deutschland: War nicht so gemeint
Die Bundesregierung will Deutschland nicht zum Paradies für syrische Flüchtlinge machen. Auch andere EU-Staaten sollen ihre Pflicht erfüllen.
Zugleich hat Italien am Mittwoch auf Bitten Deutschlands an seinen Grenzübergängen zu Österreich vorübergehend wieder Grenzkontrollen am Brenner eingeführt. Die CSU begrüßte diesen Schritt: Dies sei „der ausdrückliche Wunsch der Bayerischen Staatsregierung“ gewesen, hieß es aus München. Seit Anfang der Woche sind Tausende syrische und afghanische Flüchtlinge, aus Ungarn kommend, in Südbayern eingetroffen. Auch in Italien wollen viele Flüchtlinge weiter nach Deutschland reisen.
In den vergangenen Tagen hatten sich die Ereignisse überstürzt. Am Freitag hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Mitarbeiter angewiesen, syrische Flüchtlinge nicht mehr in andere EU-Staaten zurückzuschicken, auch wenn diese nach den Dublin-Regeln eigentlich für sie verantwortlich wären. Schon seit 2011 schickt Deutschland syrische Flüchtlinge nicht mehr nach Griechenland zurück, weil das Land damit überfordert ist; in Italien sieht es ähnlich aus. Doch mit seiner Dienstanweisung, syrische Flüchtlinge nicht abzuschieben, hat Deutschland die Dublin-Regeln faktisch außer Kraft gesetzt.
In den sozialen Netzwerken verbreitete sich diese Nachricht übers Wochenende wie ein Lauffeuer. Merkel wurde von manchen Syrern daraufhin mit Lob überschüttet. Blumige Liebeserklärungen an die deutsche Kanzlerin machten auf Twitter die Runde, und am Montag skandierten auf dem Bahnhof in Budapest die Menschen, die einen Zug nach Deutschland besteigen wollten, „Merkel, Merkel“ und „Deutschland“. Ungarn ließ daraufhin Hunderte Flüchtlinge in überfüllten Zügen ungehindert in Richtung Wien und München passieren.
Österreich und Ungarn gaben Deutschland eine Mitschuld daran, dass die Situation außer Kontrolle geraten sei. Die Ankündigung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Syrer würden von Deutschland nicht mehr in andere EU-Staaten zurückgeschickt, habe bei den Flüchtlingen in ihren Ländern einen enormen Reisedruck ausgelöst, Chaos bewirkt und eine Sogwirkung entfaltet, sagte ein Sprecher des österreichischen Innenministeriums am Dienstag. Dadurch sei der Eindruck entstanden, Deutschland sei eine Art gelobtes Land für Syrien-Flüchtlinge.
Andere sprachen davon, Deutschland mache sich zum Magneten, oder sie bemühten das Bild vom „Staubsauger“. Der tschechische Innenminister Milan Chovanec schlug sogar vor, für Syrer einen humanitären Flüchtlingskorridor direkt nach Deutschland zu schaffen.
Krisentreffen in Brüssel
Auf der Flucht in Ungarn
In Deutschland weist man diese Vorwürfe zurück: Die Anweisung sei aus rein „praktischen Erwägungen“ erfolgt, sagte der Sprecher des Innenministeriums am Mittwoch. Es gebe keinen monokausalen Zusammenhang mit dem Ansturm auf den Bahnhof in Budapest, die Menschen hätten schon vorher nach Deutschland gewollt. Gleichwohl müsse man vorsichtig sein, welche Botschaften man wie kommuniziere, räumte er ein. „Das entbindet unsere europäischen Partner aber nicht von ihren Pflichten“, sagte Dimroth.
Das sieht auch die EU-Kommission so: Ihr Präsident Jean-Claude Juncker soll bereits Warnbriefe an mehrere Mitgliedsländer verschickt haben, in denen er sie drängt, sich an die geltenden Aufnahmeregeln zu halten, wonach Asylsuchende Unterkunft und Verpflegung erhalten und per Fingerabdruck erkennungsdienstlich erfasst werden. Nur so könnten die Dublin-Regeln umgesetzt werden. Am Donnerstag reist der ungarische Regierungschef Viktor Orbán zu einem Krisentreffen nach Brüssel.
Indem es die Dublin-Regeln für syrische Flüchtlinge ausgesetzt hat, hilft Deutschland, den Druck von anderen EU-Staaten zu nehmen. Mittelfristig strebt man in Berlin und Brüssel aber neue Regelungen an, um Flüchtlinge in der EU in Zukunft gerechter zu verteilen. Es gebe in der Flüchtlingsfrage derzeit „einige Dynamik“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin und verwies auf Spaniens Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, der kooperativ sei. Man setze weiter „auf die Kraft der Argumente“, werbe überall in Europa für eine gemeinsame Lösung und sei „optimistisch, dass wir vorankommen werden“.
Das stößt aber bei vielen Staaten auf Widerstand. Am Freitag wollen die östlichen EU-Länder Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn auf einem Gipfeltreffen in Prag ihre Positionen abstimmen. Sie alle wollen nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico meint, feste Quoten zur Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU würden „nur die organisierte Kriminalität“ fördern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen