Flüchtlingspolitik der Grünen: Sehnsucht nach Profil
Dürfen Grüne das Asylrecht weiter verschärfen? Auf dem Parteitag wird ein Richtungsstreit entschieden. Dabei spielen auch Gefühle eine Rolle.
Ein Antrag, den die Parteispitze in letzter Minute formuliert hat, wendet sich gegen Ideen, die Angela Merkels Koalition bereits beschlossen hat. So lehnen es die Grünen ab, den Familiennachzug zu begrenzen. „Flüchtlinge von ihren Familien zu trennen, erschwert die Integration und zwingt noch mehr Frauen und Kinder auf lebensgefährliche Wege nach Europa“, heißt es in dem Papier.
Der Grünen-Vorstand kritisiert auch die Anordnung von Innenminister Thomas de Maiziere (CDU), die Dublin-Regelungen wieder in Kraft zu setzen. Dies verlangsame Asylverfahren, statt sie zu beschleunigen. Die Idee der Koalition, Flüchtlinge aus Afghanistan schneller abzuschieben, bezeichnet die Grünen-Spitze in ihrem Antrag als „absurd“.
Die Flüchtlingspolitik wird auf dem Grünen-Parteitag, der von Freitag bis Sonntag in Halle/Saale stattfindet, eine wichtige Rolle spielen. Die Anschläge in Paris und die Versuche der CSU, den Terror für schärfere Regelungen gegen Flüchtlinge zu instrumentalisieren, tragen das Ihre dazu bei. „Dem zynischen Versuch von Herrn Söder, Terrorangst gegen Flüchtlinge zu schüren, erteilen wir eine klare Absage“, sagt Grünen-Chefin Simone Peter.
Pflöcke gegen die Koalition
Die Parteispitze ist erkennbar bemüht, Pflöcke einzuschlagen. Sie fordert ein Integrationsministerium im Bund, welches für Einwanderung, Flüchtlingspolitik und Integration zuständig sein soll - dies wäre ein Projekt für eine grüne Regierungsbeteiligung ab 2017. Außerdem schlägt der Vorstand einen „Deutschlandfonds für Integration“ vor. In jenen sollen der Staat und Unternehmen einzahlen, damit Kommunen mehr Geld für ihre Aufgaben bekommen.
Die Grünen-Chefs wissen, dass die Sehnsucht nach Profilierung groß ist. Angeführt von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatten grüne Landesregierungen zuletzt Schmerzhaftes abgesegnet. Die Länder und Kommunen bekamen Milliarden Euro vom Bund. Dafür willigten die Grünen in mehr sichere Herkunftsstaaten ein. Außerdem stimmten sie zu, Asylbewerbern das Taschengeld zugunsten von Sachleistungen zu streichen.
Die Enscheidung wurde von einigen Grünen als moralischer GAU empfunden. Mehrere Migrationspolitiker traten aus. Ein Kretschmann-kritischer Aufruf mit dem Titel: „Nicht in unserem Namen!“ kursiert, bisher haben ihn über 350 Parteimitglieder unterzeichnet - darunter Monika Herrmann, die Bürgermeisterin des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg.
Die Diskussion in Halle wird die Kompromissbereitschaft der Grünen neu definieren. Allen ist klar, dass die Partei schon bald wieder mitbestimmen könnte. Bereits jetzt deutet sich an, dass Merkels Koalition mehr Verschärfungen plant. Sie diskutiert, den Familiennachzug auch für Syrer zu begrenzen. Die Kanzlerin und SPD-Chef Sigmar Gabriel machen sich auch für Flüchtlingskontingente auf europäischer Ebene stark, die eine Obergrenze bedeuten können.
Linke wollen Stoppschilder
Die Koalition wird für manche Beschlüsse den Bundesrat benötigen. Die Grünen regieren in neun Ländern mit und besitzen eine Sperrminorität. Was der Parteitag beschließt, bildet die Grundlage für solche Verhandlungen. Vor allem Linksgrünen geht es darum, Stoppschilder aufzustellen. „Die Bundesregierung arbeitet an einem Zwei-Klassen-Asylrecht“, sagt der Parteilinke Sven Lehmann, Landeschef in Nordrhein-Westfalen. Die Grünen müssten klar signalisieren, dass es mit ihnen keine Verschärfungen mehr gebe.
Genau diese Frage wird umstritten sein. Manche Grüne halten das Parteiprogramm an einigen Stellen für überholt. Dieter Janecek, der Wirtschaftsexperte der Bundestagsfraktion, fordert in einem Antrag, den Deutschlandfonds zu streichen. Dies klinge nach Sondersteuer, sagt Janecek mit Blick auf den verunglückten Wahlkampf 2013. Er und andere Grüne plädieren zudem dafür, von der Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes abzurücken. Es komplett zu streichen, wäre „eine finanzielle Katastrophe“ für Länder und Kommunen, argumentiert Janecek.
Diese Position wird auf dem Parteitag eher wenig Chancen haben. Das Asylbewerberleistungsgesetz sei bürokratisch und diskriminierend, sagt Luise Amtsberg, die Flüchtlingsexpertin der Fraktion. Der Antrag von Janecek sei ein „ein unnötiger und fachlich völlig unausgegorener Schnellschuss.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit