Flüchtlingslager in Calais:
Aus Protest den Mund zugenäht
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Flüchtlingslager in Calais: Aus Protest den Mund zugenäht
Flüchtlinge wehren sich weiter gegen die Teilräumung des Lagers am Ärmelkanal. Mehrere Iraner ließen sich mit Nadel und Faden den Mund zunähen.
Stummer Protest: Flüchtling mit zugenähtem Mund in Calais.
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Calaisafp | Aus Protest gegen die Teilräumung des Flüchtlingslagers im nordfranzösischen Calais haben sich erneut mehrere Iraner den Mund zunähen lassen.
Die teilweise maskierten Flüchtlinge ließen sich den Mund am Donnerstag in dem als „Dschungel“ bekannten Lager vor Pressefotografen und TV-Kameraleuten mit Nadel und Faden zunähen. Dabei wurde ein Schild mit der Aufschrift „Will you listen now?“ (Hört Ihr jetzt zu?) hochgehalten.
Bereits am Mittwoch hatten sich mehrere iranische Flüchtlinge in Calais den Mund zunähen lassen, um so gegen die Räumung des südlichen Lagerabschnitts zu protestieren. Die französischen Behörden lassen diesen Teil des Lagers gerade räumen und reißen die von den Flüchtlingen errichteten Hütten ab. Am Montag kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen protestierenden Flüchtlingen, Aktivisten und der Polizei.
Die Behörden bieten den Flüchtlingen zwar Plätze in Aufnahmezentren in anderen französischen Regionen an; die meisten Flüchtlinge lehnen das aber ab. Sie hoffen, von Calais aus auf Fähren oder durch den Eurotunnel heimlich nach Großbritannien zu gelangen.
„Dschungel“ von Calais geräumt
Ein verbranntes Fahrrad zwischen den Resten des geräumten „Dschungels“ in Calais.
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Die Räumung des Flüchtlingslagers „Dschungel“ im französischen Calais fand mit einem Großaufgebot der Polizei statt.
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Viele beugen sich den Autoritäten ...
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... und lassen sich freiwillig für weiterführende Aufnahmezentren in ganz Frankreich registrieren, ...
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... andere protestieren gegen die Zwangsmaßnahme und werden mit Tränengas zurückgedrängt.
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Einige schauen auf ihr Zuhause zurück und hoffen auf eine bessere Zukunft.
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Der „Dschungel“ galt manchen als größter Slum Westeuropas, anderen als selbstverwaltetes Camp voller Solidarität. Er war wohl beides. Das Lager war eine Ansammlung von Zelten, Hütten und Containern, in denen Flüchtlinge lebten, die vom europäischen Festland nach Großbritannien wollten.
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Zwischen 4.000 und 6.000 Menschen lebten im „Dschungel“ am Rand der französischen Hafenstadt Calais. Genaue Zahlen gibt es nicht, die Fluktuation war hoch. Vor allem Sudanesen, Eritreer, Afghanen, Iraner, Iraker und Pakistaner drängt es nach Großbritannien – meist weil dort bereits Angehörige und Freunde leben.
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Das Camp in dieser Form gab es seit dem Jahr 2012. Männer, Frauen und Kinder hatten dort eine eigene Stadt aufgebaut – mit einer Kirche, einer Moschee, einem Supermarkt, sanitären Anlagen und einem Fußballplatz. Auch in den Jahren zuvor gab es dort ähnliche Camps, die aber immer wieder auf Anweisung der Behörden zerstört wurden.
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Täglich entstanden neue Unterkünfte. Doch jeder wusste: Niemand kommt nach Calais, um zu bleiben. Wer weiter will, will ...
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... hierhin: zum Eurotunnel und von da nach Großbritannien. Allerdings sind alle Zugänge zum Eurotunnel ...
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... wie auch die Zufahrt zum Fährhafen Hochsicherheitsbereiche. Zäune, manche auch elektrisch geladen, und Natodraht sollen Flüchtlinge fernhalten.
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Hinzu kamen Hundertschaften der Polizei, die immer wieder rigide gegen Flüchtlinge vorgingen.
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Auch Tränengas wurde eingesetzt, um Flüchtlinge von den Zäunen fernzuhalten.
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Das gelang nicht immer und überall. Wer sich einen Platz in einem LKW sicherte oder auf einen fahrenden Güterzug aufsprang, hatte weitere Gefahren vor sich. Viele Flüchtlinge kamen im Tunnel zu Tode, sie wurden überfahren, zerquetscht, fielen vom Zug, wurden Opfer eines Stromschlags oder erstickten.
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Im Jahr 2000 wurden Fahrzeuge, die von Calais aus nach Großbritannien übersetzten, noch geröntgt. Mittlerweile kommen Bewegungssensoren, Wärmetechnologie und Gasmessgeräte zum Einsatz, die den Ausstoß von Kohlendioxid erfassen. Flüchtlinge ziehen sich deswegen Plastiktüten über den Kopf; manche ersticken dabei.
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Längst haben sich Flüchtlinge, die nach Großbritannien wollen, auch andere Wege gesucht, um zum Ziel zu gelangen. Etwa das französische Dunkerque.
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Ein Soli-Graffito des britischen Künstlers Banksy gegenüber der französischen Botschaft in London, das den Tränengaseinsatz gegen Flüchtlinge in Calais kritisiert, wird abgedeckt, ...
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... dabei ist doch klar: Bretter, Zäune, Polizisten, Behördenschikanen, Abrissbagger, Tränengas und Neonazis werden den Traum von einem besseren Leben nicht verhindern.
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In Abkommen mit dem Nachbarn hat Frankreich sich verpflichtet, die Flüchtlinge von einer Überfahrt über den Ärmelkanal abzuhalten. Im Gegenzug beteiligt sich Großbritannien an den dafür anfallenden Kosten - weitere 20 Millionen Euro sind nach Angaben der französischen Regierung zugesagt.
Bereits im Sommer hatte London die Finanzmittel für Paris erhöht, nachdem immer wieder hunderte Flüchtlinge versucht hatten, durch den Eurotunnel nach Großbritannien zu gelangen.
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