Flüchtlingshelfer kritisiert Festakt: „Das grenzt an Psychoterror“
Andreas Stifel engagiert sich für Kinder aus geflüchteten Familien. Dass ihn die Bundesregierung dafür ehren will, findet er problematisch.
taz: Herr Stifel, heute lädt die Bundesregierung Flüchtlingshelfer aus ganz Deutschland zu einem Festakt nach Berlin ein. Auch Sie stehen auf der Gästeliste, weil Sie sich im Freiburger Projekt „Schlüsselmensch“ engagieren. Wo liegt das Problem?
Andreas Stifel: Wir freuen uns natürlich sehr über die Anerkennung. Was wir aber sehen, ist ein deutlicher Widerspruch zwischen der Symbolik solcher Veranstaltungen und der realen Politik. Es dürften nicht Gesetze verabschiedet werden, wie zuletzt passiert, die Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsländer einstufen.
Betrifft dieses Gesetz auch Flüchtlinge in Freiburg?
Wir arbeiten fast ausschließlich mit Roma zusammen, die aus dem ehemaligen Jugoslawien geflüchtet sind. Ihr Aufenthalt ist besonders gefährdet. Es gibt dieses Jahr nicht mal einen Winterabschiebestopp in Baden-Württemberg. Den haben selbst CDU-regierte Bundesländer verhängt, weil sie es als inhuman empfinden, Menschen bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Grün-Rot hat darauf verzichtet.
Wie wirkt sich das aus?
Wir erleben ständig die Angst, die sich unter den Flüchtlingen breit macht, wenn wieder einmal Abschiebeflüge anstehen. Die meisten sind nur geduldet. Das heißt, dass ihre Abschiebung vorübergehend ausgesetzt ist. Die Duldung wird aber immer nur in kleinen Schritten verlängert. Das grenzt an Psychoterror.
Psychoterror?
Ja, weil die Familien nicht wissen, ob sie hier mit ihren Kindern ein normales Leben führen dürfen oder ob sie plötzlich in ein Land abgeschoben werden, in dem sie keine Grundlage zum Leben haben. Das Perfide ist, dass wir als PatInnen die Familien gerne beruhigen würden. Dass wir den Kindern gerne versichern würden, dass nicht nachts die Polizei kommt und sie abholt. Aber wir können das guten Gewissens in vielen Fällen nicht tun, da der rechtliche Aufenthaltsstatus vieler Familien nun mal unsicher ist. Dass gilt auch für Kinder, die in Deutschland geboren sind. Für Familien, die hier seit vielen Jahren leben.
geboren 1984, ist Politikwissenschaftler und Gründungsmitglied der Initiative Schlüsselmensch, die Patenschaften zwischen Studierenden und Kindern von Flüchtlingen in Freiburg vermittelt.
Was macht „Schlüsselmensch“?
Das Projekt geht auf die Initiative einer ehemaligen Kommilitonin zurück, Laura Gorriahn. Es vermittelt Patenschaften zwischen jungen FreiburgInnen und Kindern aus dem Flüchtlingsheim St. Christoph. Wir wollen den Kindern von Geflüchteten Chancen der Teilhabe an der Gesellschaft eröffnen, die ihnen sonst vorenthalten bleiben. Ziel war von Anfang an, einen interkulturellen Austausch auf Augenhöhe zu ermöglichen. Allein dadurch, dass man miteinander Zeit verbringt, lösen sich Ressentiments und Vorurteile in Luft auf. Wir erfahren, was Menschen bewegt, aus ihrer Heimat zu fliehen, und was es bedeutet, ein Leben am Rand der Gesellschaft zu führen.
Wie viel Zeit investieren die Paten in ihre Aufgabe?
Es gibt kein vorgefertigtes Muster, wie eine Patenschaft ablaufen muss. Wir treffen uns meist jede Woche. Entweder im Wohnheim oder in der Stadt. Wir helfen den Kindern in schulischen Belangen, bei Hausaufgaben. Und wir unternehmen Ausflüge. Dabei muss zunächst das Vertrauen der Familien aufgebaut werden. Das braucht Zeit. Das Flüchtlingswohnheim liegt sozial und räumlich am Rande der Stadt.
Wie gelingt das?
Am Anfang steht ein aufwändiger Matching-Prozess. Gemeinsam mit den Sozialarbeiterinnen, die die Familien seit vielen Jahren betreuen und das Projekt mit großem Engagement unterstützen, wird überlegt: Wer passt zusammen? Welche Interessenüberschneidungen gibt es? Dann gehen wir zusammen zu den Familien, stellen uns vor. Denn ohne das Vertrauen der Eltern kann keine Patenschaft zu Stande kommen. Wir verstehen die Patenschaft als Team auf Augenhöhe. Beide Seiten müssen zum Gelingen beitragen.
In welchem Alter sind die Kinder?
Im Moment gibt es Vierzig aktive Patenschaften. Die Kinder sind im Schulalter. Von ungefähr acht bis ins Jungendlichenalter. Mein Patenkind Muhamet wird im März 15. Wir sind über die Jahre Freunde geworden.
Was unternehmen Sie mit Muhamet?
Oft besuche ich ihn bei seiner Familie, ich werde jedes Mal mit einer überwältigenden Gastfreundschaft empfangen. Ich helfe bei behördlichen Dingen, bei Bewerbungen. Mit Muhamet gehe ich zum SC Freiburg ins Stadion, in den Schwarzwald oder ins Kino. Wir machen alles, worauf er Lust hat.
Droht Muhamet die Abschiebung?
Zum Glück nicht. Er wurde 2000 geboren, kam als Kleinkind nach Deutschland. Er ist Freiburger, er hat sein ganzes Leben hier verbracht. Die Familie lebte in sogenannter Kettenduldung, hat aber seit wenigen Monaten einen Aufenthaltstitel.
Sie haben lange überlegt, ob Sie die Einladung nach Berlin annehmen.
Richtig. Weil unsere Prämisse ist, dass unser Handeln den Geflüchteten zugutekommen muss. Das soll im Vordergrund stehen – nicht das Ehrenamt oder wir. Der Schutz der Flüchtlinge ist eine politische Aufgabe, die sich im besonderem Maß aus der deutschen Geschichte ergibt. Da macht die derzeitige Bundesregierung jedoch eine schlechte Figur. Zivilgesellschaftliches Engagement wie unseres darf niemals dazu führen, dass gesellschaftliche Missstände kaschiert werden. Deshalb haben wir diskutiert, was wir mit dieser Einladung machen. Der Fokus liegt uns zu sehr auf dem Ehrenamt.
Aber Sie gehen trotzdem hin.
Zusammen mit Muhamet. Es wird seine erste große Reise in Deutschland sein. Der Empfang geht uns beide an, weil wir ein Team sind. Wir sind im Bundestag angemeldet, gucken uns eine Debatte an, fahren rauf auf die Kuppel. Und am Donnerstag gehen wir zum Empfang der Bundesregierung. Das wird ein Abenteuer, für uns beide.
Was werden Sie Muhamet über deutsche Politik erzählen?
Das wird natürlich nicht einfach. Schließlich wird Muhamet voraussichtlich in Deutschland niemals wählen dürfen. Wir sitzen also im Bundestag im wahrsten Sinne des Wortes auf der Besuchertribüne. Aber Muhamet versteht schon sehr viel von Politik, er ist schlau. Er und seine Familie sind begeistert von Deutschland. Es ist wie bei so vielen Geflüchteten. Sie schätzen es unheimlich wert, in Deutschland zu leben – weit mehr als ich das tue. Trotz der Situation, dass sie gesellschaftlich und räumlich an den Rand der Stadt gedrängt sind, sich politisch nicht beteiligen dürfen, nur schlechten Zugang zum Arbeitsmarkt haben.
Muhamet guckt optimistischer auf dieses Land als Sie?
Ja – was natürlich damit zusammenhängt, dass ich nur wenig darüber weiß, wie es sich anfühlt, als Roma im ehemaligen Jugoslawien zu leben. Wenn man die Erfahrung der Flucht hinter sich hat, die Erfahrung von Lebensgefahr, dann freut man sich, hier in Deutschland zu sein. Obgleich die Situation der Roma in Deutschland aus unserer Perspektive keine gute ist. Die Familien tun alles, um hier ein gutes Leben zu führen. Und gleichzeitig erleben sie ständig, wie man ihnen Steine in den Weg legt. Das Schlimmste ist, dass man die Legitimität ihrer Fluchtentscheidung prinzipiell in Frage stellt.
Beim heutigen Festakt werden Vertreter der Bundesregierung anwesend sein. Für Sie eine Chance, Ihre Anliegen vorzutragen?
Wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann werde ich das tun. Auf die symbolische Geste der Feier müssen politische Taten folgen.
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