Flüchtlinge auf der Balkanroute: Auch Mazedonien macht dicht
Mazedonien will die Grenze zu Griechenland militärisch schützen. In ungarischen Lagern herrschen katastrophale Zustände und der Winter rückt näher.
Die Menschen stammen zum größten Teil aus Syrien und haben Westeuropa und vor allem Deutschland als Ziel. Serbien ist ein wichtiger Punkt auf der sogenannten Balkanroute, die viele Flüchtlinge aus Ländern wie Syrien und Afghanistan auf dem Weg nach Westeuropa nehmen. Sie führt von der Türkei über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland und Skandinavien.
Die Verschärfung der ungarischen Einwanderungsgesetze ab dem 15. September bringt für das benachbarte Serbien nach Einschätzung Vučićs eine Menge Probleme mit sich. An diesem Tag treten in Ungarn neue Regeln in Kraft, wie etwa die Bestrafung illegaler Grenzübertritte mit bis zu drei Jahren Haft.
Vučić erinnerte in dem Interview daran, dass der Winter bevorstehe und daher mehr Unterkünfte für Flüchtlinge gebraucht würden. „Wir müssen uns auf diesen Winter vorbereiten. Nach dem 15. September bleiben die Flüchtlinge, die bislang zwischen zwei und drei Tage in Serbien blieben, länger, zwischen fünf und sechs Tagen, und wir müssen auf diese neue Realität vorbereitet sein“, mahnte der Regierungschef. Er rief seine Landsleute auf „zu verstehen, dass unser Land absolut nichts verliert“, wenn es den Flüchtlingen helfe.
Eine Mauer in Mazedonien
Das EU-Mitglied Ungarn hat an der 175 Kilometer langen Grenze zum Nicht-EU-Land Serbien bereits einen Stacheldrahtzaun errichtet, um Flüchtlinge von der illegalen Einreise abzuhalten. Ab kommenden Dienstag soll die Armee an der Grenze postiert werden können.
Vučić lehnte eine Abschottung gegen den Flüchtlingsandrang ab. Er reagierte damit auf Erwägungen des mazedonischen Außenmisters Nikola Poposki, die Landesgrenze nach ungarischem Vorbild ebenfalls zu sichern. „Ich sehe, dass Mazedonien eine Mauer an der Grenze zu Griechenland errichten will, damit ganz Europa von Stacheldraht umschlossen ist“, kritisierte der serbische Regierungschef. „Wir werden keine Mauern errichten.“
„Wir brauchen auch irgendeine Art von äußerer Verteidigung, um die Zahl illegaler Grenzübertritte zu senken“, sagte hingegen Poposki der ungarischen Wirtschaftszeitschrift Figyelö vom Donnerstag. Infrage kämen „entweder Soldaten oder ein Zaun oder eine Kombination aus beidem“.
Auch Mazedonien ist Transitland für Flüchtlinge, die aus Griechenland über Serbien und Ungarn zumeist weiter nach Österreich und Deutschland wollen. Im laufenden Jahr passierten bereits mehr als 160.000 Menschen das Land. Derzeit würden täglich bis zu 4.000 Flüchtlinge durchgelassen. Allein am Donnerstag verließen etwa 2.500 Flüchtlinge in 50 Bussen und weitere 3.000 Menschen in drei Zügen die mazedonische Stadt Gevgelija.
„Guantanamo in Europa“
Poposki beklagte, dass es „keine europäische Übereinkunft“ zum Umgang mit der Flüchtlingskrise gebe. Die EU-Kommission strebt eine Verteilung der Flüchtlinge auf ihre Mitglieder per fester Quote an, was vor allem mehrere osteuropäische Länder aber bislang ablehnen.
Im größten ungarischen Auffangklager beklagen österreichische Aktivisten einen unmenschlichen Umgang mit Flüchtlingen. Sie veröffentlichten ein Video, das zeigt, wie Polizisten in Röszke Tüten mit Brötchen in die wartende Menge werfen. „Es erinnerte an die Fütterung von Tieren in ihrem Gehege, wie Guantanamo in Europa“, sagte Klaus Kufner, dessen Mitstreiterin Michaela Spritzendorfer die Essensausgabe in dem Lager am Mittwoch heimlich gefilmt hatte.
Auf den Aufnahmen ist zu sehen, wie etwa 150 Flüchtlinge dicht gedrängt in einem umzäunten Bereich warten, um mit Nahrung versorgt zu werden. „Es war unmenschlich, und es spricht für sich, dass sie (die Flüchtlinge) nicht um das Essen geschlagen haben, obwohl sie offensichtlich sehr hungrig waren“, erklärte Spritzendorfer.
Mehr als 175.000 Menschen
Die Aktivisten waren nach eigenen Angaben nach Röszke gereist, um Lebensmittel, Kleidung und Medikamente an die Flüchtlinge zu verteilen. Spritzendorfers Video wurde seit Donnerstagabend in sozialen Netzwerken verbreitet, bis Freitagmittag wurde es allein auf der Onlineplattform Youtube mehr als 90.000 Mal aufgerufen.
In Röszke kommt ein Großteil der über Serbien reisenden Flüchtlinge an. Die Lage an dem Grenzübergang ist seit Tagen angespannt. Seit Jahresbeginn sind bereits mehr als 175.000 Flüchtlinge nach Ungarn eingereist.
Die österreichische Polizei hat am Freitag die Straße zwischen ungarischer Grenze und Wien wegen dort laufender Flüchtlinge abschnittsweise gesperrt. Die geschätzt 1.000 Menschen hätten eine Polizeikette durchbrochen und seien in einer langen Reihe auf dem Weg in die österreichische Hauptstadt, sagte Polizeisprecher Gerhard Koller.
Rekordzahlen auf Lesbos
Die Österreichischen Bundesbahnen setzen derweil den Zugverkehr von und nach Ungarn auch über das Wochenende aus. Dies sei wichtig, um den Betrieb an den Wiener Bahnhöfen zu stabilisieren, teilt das Unternehmen mit. Für Freitag sind sechs reguläre Züge aus Ostösterreich nach Deutschland geplant. Sonderzüge werde es voraussichtlich nicht geben, erklärt das Unternehmen.
Auch in Griechenland steigen die Flüchtlingszahlen weiter. Auf der Insel Lesbos hat die Zahl der seit Jahresbeginn angekommenen Flüchtlinge hat die Marke von 30.000 überschritten. Das sagte die Regional-Gouverneurin Christiana Kalogirou am Freitag dem Privatsender Skai.
Die griechische Übergangsregierung habe weitere Helfer geschickt, um die Registrierung zu beschleunigen. Zudem seien zwei zusätzliche Fähren gechartert worden, um die Menschen zum Festland zu bringen. Insgesamt haben in diesem Jahr bereits mehr als 250.000 Flüchtlinge Griechenland erreicht. Fast alle wollen in andere EU-Staaten weiterreisen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation