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Flüchtlinge an Ungarns GrenzeSchwerverletzte nach Tumulten

An der ungarisch-serbischen Grenze müssen Flüchtlinge nach Zusammenstößen mit der Polizei ins Krankenhaus. Die Bundespolizei stoppt 4.600 Menschen in Bayern.

Ungarische Härte: Grenzübergang nach Serbien am 16. September. Foto: reuters

Zagreb/Berlin dpa/ap | Wegen seines brutalen Vorgehens mit Tränengas und Wasserwerfern gegen Flüchtlinge an der Grenze zu Serbien ist Ungarn weiter in die Kritik geraten. „Jeder mit einem Funken Moral verspürt Entsetzen über das, was in Teilen Europas passiert“, sagte der frühere britische Außenminister und heutige Chef des Internationalen Rettungskomitees IRC, David Miliband. Die Ereignisse an der Grenze legten „eine dunkle Seite des europäischen Charakters“ offen.

Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon brachte seine Bestürzung über das Vorgehen der ungarischen Polizei zum Ausdruck. Hunderte Migranten hatten am Mittwoch am Grenzort Horgos den Stacheldrahtzaun nach Ungarn durchbrochen, um ins EU-Land zu gelangen. Zwei Flüchtlinge wurden schwer verletzt in ein Krankenhaus gebracht, berichteten serbische Ärzte. Bis zu 300 weitere Menschen mussten demnach medizinisch behandelt werden. Bei den Zusammenstößen waren auf ungarischer Seite nach offiziellen Angaben 20 Polizisten verletzt worden.

„Wir sind vor Kriegen und Gewalt geflüchtet und haben keine solche Brutalität und unmenschliche Behandlung in Europa erwartet“, sagte der Iraker Amir Hassan, dessen Augen rot vom Tränengas und Kleidungsstücke durchnässt von Wasser waren. „Schämt euch, Ungarn“, rief er in Richtung der ungarischen Polizisten.

Derweil nimmt die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze zu. Am Mittwoch stoppte die Bundespolizei rund 4.600 Asylsuchende beim Grenzübertritt, wie ein Sprecher in der Nacht mitteilte. Damit ist die Zahl im Vergleich zum Dienstag deutlich gestiegen, als die Bundespolizei rund 3.500 Flüchtlinge zählte. Bundesinnenminister Thomas de Maizière besucht am Donnerstag mit EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos die Bundespolizei in Rosenheim.

Am Mittwoch wurden zudem 18 Schleuser festgenommen. Viele Flüchtlinge kamen über die Saalachbrücke zwischen Salzburg und dem deutschen Grenzort Freilassing (Landkreis Berchtesgadener Land). Zwei Großgruppen mit je 700 Flüchtlingen wurden dort gestoppt. Auch der Bahnhof in Freilassing sei weiterhin ein Brennpunkt, berichtete der Sprecher. Die Flüchtlinge werden nun in Sammelstellen in der Region registriert und anschließend auf ganz Deutschland verteilt.

Über 5.000 Menschen in Kroatien angekommen

Die kroatische Polizei teilte am Donnerstagmorgen mit, seit der Ankunft der ersten Gruppen am Mittwoch seien mittlerweile 5.650 Migranten in dem EU-Mitgliedsland angekommen. Die Behörden hätten sie mit Zügen und Bussen in Flüchtlingszentren in Zagreb und anderen Städten gebracht.

Der kroatische Regierungschef Zoran Milanovic hatte erklärt, sein Land werde die Menschen auf ihrem Weg in den Westen Europas unbehindert passieren lassen. „Diese Leute sind da, es sind Frauen, Kinder und Männer, die leben und etwas erreichen wollen.“ Sollte es notwendig werden, werde in Absprache mit Slowenien ein Korridor in Richtung Österreich eingerichtet, sagte der kroatische Innenminister Ranko Ostojic. Ungarns Regierungschef Viktor Orban kündigte in der Welt an, sein Land werde auch an der Grenze zu Kroatien einen Zaun errichten.

Verlagerung nach Slowenien

Ungarn war bisher Haupt-Transitland auf der Flüchtlingsroute über den Balkan. Zu Wochenbeginn hatte das Land seine Grenze zu Serbien abgeriegelt. Die in Serbien Festsitzenden suchen nach Alternativen. Die meisten von ihnen wollen nach Westeuropa, insbesondere nach Deutschland.

Österreich stellt sich auf eine Verlagerung der Flüchtlingsrouten in die Alpenrepublik von Ungarn in Richtung Slowenien ein. Die Polizei wollte am Abend mit Kontrollen an der südlichen Grenze zu Slowenien beginnen, sagte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner.

Slowenien liegt zwischen Kroatien und Österreich und gehört zur Schengen-Zone. Kroatien ist noch kein Schengen-Land. Um das Entstehen neuer Flüchtlingsrouten aus der Türkei zu verhindern, kündigten die EU-Länder Griechenland und Bulgarien an, Grenzzäune zu verstärken.

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11 Kommentare

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  • Die Bankrotterklärung Europas.

     

    Es war abzusehen, daß dieses neoliberale Fehlkonstrukt, welches ausschließlich auf Konsum & Ausbeutung optimiert ist, bei der geringsten sozialen Herausforderung zusammenkracht.

  • Es ist so traurig. Wie kann das nur so eskalieren... Mir tuen die Menschen so leid. Viele davon haben wirklich schlimme Schicksale hinter sich. Wie verzweifelt viele der Flüchtlinge sind, zeigen ja auch die Versuche zur Grenzüberquerung nach Ungarn.

  • einfach furchtbar!

  • Blödsinn! Das, was da in Horgos passiert ist am 16. September legt keine "dunkle Seite des europäischen Charakters" offen, sondern die dunkle Seite des Charakters von Viktor Orbán und natürlich seiner Wähler und Parteifreunde. Wenn der frühere britische Außenminister und heutige Chef des Internationalen Rettungskomitees IRC, David Miliband, Herrn Orbán und Europa nicht auseinanderhalten kann, zeigt das vor allem eins: Wie es überhaupt so weit kommen konnte.

     

    Wer unfähig ist zur Reflexion, der sollte besser nicht regieren. Er sollte überhaupt für niemanden verantwortlich sein, nicht einmal für den eigenen Pitbull. Dass ein EU-Staat Kriegsflüchtlinge mit (Tränengras-)Granaten beschießen und mit Wasserwerfern angreifen lässt, ist eine Schande. Der letzte große Krieg ist offenbar schon viel zu lange her. Eingen von uns fehlt offenbar der persönliche Bezug zum Leid, das er verursacht hat. Und intellektuell oder mit Empathie können sie das Manko scheinbar auch nicht ausgleichen.

     

    Überhaupt: Noch eins zeigt das Vorgehen Victor Orbáns überdeutlich: Wie groß die Entfernung ist zwischen Leuten wie Assad und einigen von denen, die in Europa an der Macht sind. Genauer gesagt: Wie kurz. Der Machterhalt scheint auch hier so einiges zu rechtfertigen aus Sicht mancher Machthaber. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn die Ungarn (und seien es auch nur ein paar Studenten oder junge Frauen) Herrn Orbán und sein Gefolge irgendwann mal satt haben. Dann liegt Syrien womöglich mitten in Europa. Und welche Länder weden dann die europäischen Flüchtlinge aufnehmen?

    • @mowgli:

      Es zeigt dieser Vorfall, daß die Idee eines freien, offenen, modernen und menschlichen Europas des Friedens und des Miteinanders, wie es die Gründerväter nach dem Horror der Weltkriege anstrebten, längst vom Wirken einer durch und durch verlotterten politischen und wirtschaftlichen Oberschicht Mächtiger zum neoliberalen, menschenverachtenden Torso verkümmert ist, ausgehöhlt, pervertiert und negiert.

       

      Dies ist kein explizit ungarisches Problem, dies zeigt uns das endgültige Scheitern Europas an. Schade. Der Anfang war gut.

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      "Dass ein EU-Staat Kriegsflüchtlinge mit (Tränengras-)Granaten beschießen und mit Wasserwerfern angreifen lässt, ist eine Schande."

       

      Das gewaltsame Vorgehen der ungarischen Polizeikräfte war unverhältnismäßig und ist zu verurteilen.

      Auch wenn Orban ein nicht beliebter Zeitgenosse und Nationalist par excellence ist, stellt er dennoch unter seinen teilweise kruden Aussagen paar Fragen auf, die es wert wären, eine Antwort zu bekommen:

      1. Ist man nach längerem Aufenthalt in der Türkei immer noch Kriegsflüchtling?

      2. Wie ist die Rolle von z.B. Saudi-Arabien zu beurteilen, die erst mit dem exportierten Wahabismus viel zu dem Elend in der arabischen Welt beigetragen hatte und sich jetzt der Verantwortung verweigert?

      3. Darf ein Land an der EU-Außengrenze seine Grenzen dichtmachen, wenn es als ein bloßer Durchgang benutzt wird, ohne das die Flüchtlinge gewillt sind sich dort registrieren zu lassen?

      4. Gefragt nach einer Lösung, sagt er: "Es wäre vielleicht klug, nicht ständig Staaten zu zerstören." Ist das unvernünftig?

      • 3G
        3784 (Profil gelöscht)
        @10236 (Profil gelöscht):

        Die Antwort:

         

        1.Zweifellos

        2.Wie die Waffenbrüder der Wahabiten USA und NATO

        3.Nein

        4.Es ware klug gewesen, wenn erst gar keine Staaten geschaffen worden wären, wo keine waren. Die Europäer haben diese Staaten dort erst geschaffen wie sie heute sind, nach ihren eigenen Interessen ausgerichtet, einfach mit einem Bleistift auf einer Landkarte. Es waren nicht jene, die dort zuhause waren, und bis dahin völlig problemlos ohne diese “Staaten” miteinander auskamen.

         

        Um die Verhältnismäßigkeit beim Urteil zu wahren: Dieser neue Nemzetvezető wandelt bedenklich nahe der hinterlassenen Fußstapfen von Ferenc Szálasi.

        • 1G
          10236 (Profil gelöscht)
          @3784 (Profil gelöscht):

          "Die Europäer haben diese Staaten dort erst geschaffen wie sie heute sind."

           

          Das Streben der vorwiegend arabischer Bevölkerung (oder genauer: deren Clansführer) nach einer in ein Staatswesen gekleideten Sicherung ihrer partikulärer Interessen war nicht weniger entscheidend. Die Kurzlebigkeit der arabischen Union (Syria-Ägypten) und Streitereien innerhalb der Arabischen Liga sprechen Bände. Und nicht zu vergessen: die eigentliche Kolonialmacht der Araber war eigentlich das Osmanische Reich.

          GB, FR, USA und ISR haben sicherlich nicht nur zum Frieden in der Region beigetragen. Es grenzt allerdings fast an Geschichtsignoranz, nicht den Löwenanteil der Schuld bei den Arabern selbst zu sehen.

          • 3G
            3784 (Profil gelöscht)
            @10236 (Profil gelöscht):

            Wer nach Jahrzehnte währendem Studium der Geschichte immer noch unfähig ist zu erkennen, dass Geschichte nicht mehr ist als der klägliche Versuch einer lächerlichen Interpretation von Ahnungslosen, dem ist nicht mehr zu helfen. Dem einzelnen Ermordeten hingegen dürfte gleichgültig sein, mit wie vielen er sein augenblickliches Schicksal teilt, und welche abstrusen Rechtfertigungen die Verrückten sich deswegen aus den Fingern saugten.

             

            Bei einem Vergleich des Verhältnisses der Summe an Getöteten, die bisher im Namen des Guten, und im Namen des Bösen ihr Leben verloren, wäre mehr Sorge angebracht; wegen jener, die nicht als Verbrecher angesehen.

            • 1G
              10236 (Profil gelöscht)
              @3784 (Profil gelöscht):

              "...Geschichte nicht mehr ist als der klägliche Versuch einer lächerlichen Interpretation von Ahnungslosen..."

               

              Geschichte, ernst genommen, ist der Bildungsweg der Gesellschaften. Dem einzelnen Ermordeten mag es egal sein, ob es einen interessiert oder nicht. Seinen Kindern, die am leben bleiben (wollen) nicht.

              • 3G
                3784 (Profil gelöscht)
                @10236 (Profil gelöscht):

                Das Kind des ermordeten Vaters lernt demnach aus der Geschichte? Höchst interessant.

                Mal sehen, was ein Kind lernen kann, dessen Vater auf Grundlage des Bildungswegs der Gesellschaften aus Versehen ums Leben kam. Eine von einem Kampfpiloten abgefeuerte Rakete detonierte befehlsgemäß versehentlich inmitten einer gröhlenden Horde von Deutschtümlern, die Hinterbliebenen der Opfer wurden mit 5.000 € aus Steuergeldern abgefunden, und der kommandierende Oberst erhielt in Anerkennung seiner Leistungen den goldenen Stern eines Brigadegenerals.

                Ist es das, was das Kind aus der Geschichte lernen kann? Oder ist es irrelevant, da es nicht in den Geschichtsbüchern zu finden sein wird?