Flucht in spanische Exklave: Prozess nach Ansturm auf Melilla
In Marokko stehen 33 Menschen vor Gericht. Sie und Hunderte andere hatten versucht, den Grenzzaun zur Exklave Melilla zu überwinden.
Die Anklage bezieht sich auf den frühen Morgen des 24. Juni, als zwischen 1.500 und 2.000 Flüchtlinge aus Subsahara-Afrika die Grenze zum spanischen Melilla stürmten. Dabei kamen laut marokkanischen Behörden 27 Flüchtlinge ums Leben. Menschenrechtsorganisationen aus Spanien und Marokko sprechen gar von 37. Insgesamt sollen 140 Beamte und 76 Migranten Verletzungen erlitten haben.
Neben den Angeklagten wurden 32 weitere Personen festgenommen. 28 von ihnen wirft die Staatsanwaltschaft vor, „die Ein- und Ausreise von Menschen“ sogar „regelmäßig organisiert“ zu haben. Damit ist es kein einmaliger Gesetzesverstoß, sondern erfüllt den Straftatbestand des Menschenhandels. Außerdem wird ihnen Brandstiftung und Geiselnahme vorgeworfen. Sie sollen einen marokkanischen Polizisten entführt und in einer Elendssiedlung im Wald Feuer gelegt haben. Die Eröffnung ihres Verfahrens wurde auf den 27. Juli verschoben.
In den Ermittlungsakten, zu denen die spanische Nachrichtenagentur EFE Zugang hatte, steht, dass einige Angeklagte bereits ein Geständnis abgelegt haben. Die Verteidiger erklärten allerdings gegenüber EFE, dass diese Aussagen zurückgezogen worden seien.
Tränengas und Pushbacks an der Grenze
Was in jenen frühen Morgenstunden im Juni tatsächlich geschah, ist bis heute nicht aufgeklärt. Offizielle Untersuchungen gibt es keine, weder auf spanischer noch auf marokkanischer Seite. Die marokkanischen Behörden verscharrten die Opfer umgehend in Massengräbern.
Die Sektion der Marokkanischen Menschenrechtsvereinigung (AMDH) in Nador veröffentlicht seit dem 24. Juni immer mehr Videos und Fotos, die zeigen, wie die Polizei auf beiden Seiten gegen die Flüchtlinge vorging. Auf einem Foto sind Dutzende Verletzte und vermutlich auch Tote zu sehen, die stundenlang von der Polizei umstellt am Boden liegen. Videos zeigen, wie die spanischen Beamten Tränengas verschossen und Flüchtlinge, die es über den dreifachen Zaun geschafft hatten, sofort wieder durch Türen in der Grenzanlage abschoben.
Auf der anderen Seite wurden sie von der marokkanischen Gendarmerie alles andere als freundlich empfangen. Solche Blitzabschiebungen, sogenannte Pushbacks, sind nach internationalem Recht illegal, weil den Betroffenen die Möglichkeit eingeräumt werden muss, Asyl zu beantragen.
Trotz der schweren Vorwürfe durch Menschenrechtsorganisationen lobten sowohl die Regierung in Rabat als auch die Linkskoalition in Madrid den Einsatz der Polizei beider Länder. Der spanische Regierungschef Pedro Sánchez erklärte, die Grenzschützer hätten „eine außerordentliche Arbeit“ geleistet, um „einen gewaltsamen Angriff auf die Integrität unseres Landes, der von der Menschenhändlermafia organisiert wurde“, abzuwehren. Auch in Marokko ist immer wieder von einer Mafia die Rede. Die Flüchtlinge würden vom Nachbarn Algerien nach Marokko eingeschleust, lautet einer der Vorwürfe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style