Flucht in die EU: Türkei beendet Grenzdrama
Polizisten an der türkisch-griechischen Grenze haben 5.000 Migranten dazu gezwungen, in Busse einzusteigen. Sie kommen erst mal in Quarantäne.
Sie verbrannte Zelte und andere selbstgebaute Unterstände der Flüchtlinge. Die Menschen wurden an unterschiedliche Orte im Landesinneren gebracht und dort unter Quarantäne gestellt, wie das Innenministerium mitteilte.
Damit endet vorläufig ein Drama, das der türkische Präsident im Februar selbst initiiert hatte. Damals versicherte er allen rund 4 Millionen im Land lebenden Flüchtlingen, die Türkei würde ihre Grenze nach Europa öffnen. Tausende brachen daraufhin in der Erwartung zur griechischen Grenze auf, sie dürften endlich nach Europa – und waren dann völlig erschüttert, als die griechische Grenzpolizei sie mit Tränengas und Gummigeschossen empfing.
Ein Teil der Flüchtlinge war sogar kostenlos mit staatlichen Bussen zur Grenzstadt Edirne gebracht worden. Bei gewaltsamen Angriffen auf griechische Grenzanlagen, die teilweise von türkischen Provokateuren unterstützt oder gar selbst in Szene gesetzt worden waren, wurden mehrere Migranten getötet.
Corona-Bekämpfung als Vorwand
Der türkische Innenminister Süleyman Soylu erklärte, man habe die Flüchtlinge nur wegen der vom Coronavirus ausgehenden Gefahr von der Grenze weggebracht. Sobald die Epidemie vorüber sei, könne jeder, der wolle, das Land ungehindert verlassen.
Mittlerweile ist in der Türkei nicht nur für Flüchtlinge, sondern für die gesamte Bevölkerung die Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt worden. Leute über 65 oder solche mit chronischen Erkrankungen haben Ausgangssperre, alle anderen dürfen ihre Stadt nicht mehr verlassen. Überlandbusse fahren nur mit Sondergenehmigung.
Alle Geschäfte außer Apotheken und Supermärkten sind seit zwei Wochen geschlossen. Dennoch steigt die Zahl der Infizierten. Die Opposition fordert deswegen eine Ausgangssperre für das gesamte Land. Die Regierung lehnt das ab. Jeder solle eine Ausgangssperre für sich selbst erklären, sagte Gesundheitsminister Fahrettin Koca. Während Erdoğan weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden ist, erläutert Koca jeden Tag auf einer Pressekonferenz den Stand der Corona-Epidemie.
Offiziell zählt die Türkei bisher knapp 10.000 Infizierte und 131 Coronatote und kommt damit momentan noch glimpflich davon. Doch es gibt starke Zweifel an diesen Zahlen. Als Koca am 28. März für die letzten 24 Stunden landesweit 16 neue Todesfälle meldete, berichtete der Oppositionsabgeordnete Veli Ağbaba, allein in Istanbul seien in der Nacht zwanzig Coronapatienten gestorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?