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Florida bei den Midterm-WahlenAmerika im Kleinen

Florida gilt als Mikrokosmos, der vorwegnimmt, was im Rest der USA passiert. Erneut wird ein Republikaner in den Gouverneurspalast einziehen.

Der Gouverneur von Florida: Republikaner Ron De Santis nach der Bekanntgabe seines Wahlsiegs Foto: ap

Miami taz | Patricia Capitan hat den Wahltag auf einem Mäuerchen vor der Arcola-Bi­bliothek verbracht. Seit sieben Uhr am Morgen hat sie Wähler an der Tür abgefangen. „Es waren mindestens 100“, sagt sie. Jedem hat sie erklärt, dass das Wahllokal verlegt worden ist. Den meisten hat sie einfach die neue Adresse gegeben. Die anderen, die ohne Auto gekommen sind, hat sie selbst gefahren. Ein Service von einer freiwilligen Helferin der Demokratischen Partei, die den Wahlbehörden in ihrem Land nicht traut.

In den umliegenden kleinen Einfamilienhäusern im Norden von Miami leben vor allem hai­tianische Amerikaner – Einwanderer, die nach Umstürzen und Erdbeben in ihrer Heimat nach Florida gekommen sind. Sie sind eine der „Minderheiten“, aus denen sich die Millionenstadt Miami zusammensetzt. Neben den Latinos, von denen in Miami der größte Teil aus Kuba stammt, den Afroamerikanern und den Weißen. Um ihnen entgegenzukommen sind die Stimmzettel bei diesen Midterms in drei Sprachen verfasst: Englisch, Spanisch und Kreolisch. Die Übersetzungen in drei Sprachen, die Auswahl von Kandidaten auf lokaler, staatlicher und nationaler Ebene sowie die Fragen zu 12 Volksentscheiden über politische Themen machen die Stimmzettel zu zehn Seiten starken kleinen Heften.

In den zurückliegenden Wochen haben Aktivisten der Demokratischen Partei wie Capitan, mit Anrufen, mit SMS und mit Hausbesuchen um jede Stimme gerungen. Ganz besonders bei „Minderheiten“ und bei Jungwählern, zwei Gruppen, deren Wahlbeteiligung traditionell eher niedrig ist. Am Wahltag will Capitan sicherstellen, dass keine Stimme verloren geht. Dafür, dass die Behörden nicht alle Wähler über den richtigen Ort für ihre Stimmabgabe informiert haben, liefert sie eine Erklärung: „Behinderung der Wähler.“ Sowie einen Verdacht über das Motiv: „Haitianer stimmen meist demokratisch.“

Misstrauen prägt die Midterms, bei denen an diesem Tag quer durch die USA neue lokale und nationale Repräsentanten gewählt und Referenden über politische Entscheidungen organisiert werden. Es ist sowohl in der Millionenstadt Miami als auch an anderen Orten quer durch den US-amerikanischen Süden zu spüren, wo repu­bli­kanische Politiker die Kontrolle über die Organisation der Midterm-Wahlen haben.

Florida als „drei Staaten in einem“

Seit Trumps Wahl, seit dem Trauma von November 2016, ist ein Ruck durch die demokratische Partei gegangen. Dabei haben mehr neue junge und progressive Politiker und mehr Frauen als je zuvor die Primaries, die Vorwahlen, gewonnen und sind offizielle Kandidaten geworden. Sie haben Forderungen mitgebracht, die bei der Parteispitze noch zwei Jahre zuvor als utopisch galten. Vor den Midterms hofften die Demokraten auf eine „blaue Welle“. Auf eine Kurskorrektur. Sie wollten die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus wegspülen, hegten die Hoffnung, dass ihnen zumindest der Erhalt ihrer Position im Senat gelingen und dass sie neue Sitze in den 50 Gouverneurspalästen erobern würden, wo zuletzt 33 Republikaner saßen.

Die Politologin Kathryn DePalo von der Florida International University beschreibt Florida als „drei Staaten in einem“ – mit einem kosmopolitischen Süden, wo auf den Straßen mehr Spanisch als Englisch zu hören ist, einem ländlichen Norden, in dem fundamentalistische Kirchen das Denken prägen und dem Korridor mit Disneyland und dem Raumfahrtzentrum in Cape Canaveral dazwischen. DePalo nennt Florida einen „Mikrokosmos der USA“. Einen Bundesstaat, der zeigt und vorwegnimmt, was im Rest des Landes passiert. Der Staat hat eine junge Bevölkerung, ist ethnisch und kulturell einer der vielfältigsten des Landes, ökonomisch erfolgreich und dabei politisch so flexibel, dass er bei Präsidentschaftswahlen hin und her swingt. 2000 gewannt George W. Bush seine Präsidentschaft in Florida. 2008 und 2012 stimmte Florida für Barack Obama. 2016 dann für Trump.

Wütende Wähler kommen an die Urne; mit einer funktionierenden Wirtschaft kann er niemanden wütend machen

Kathryn DePalo über die Trump’sche Logik

Im Frühsommer machte die demokratische Parteibasis in Florida Andrew Gillum zu ihrem Gouverneurskandidaten. Der junge Bürgermeister von Tallahassee, der die Unterstützung sowohl des demokratischen Sozialisten Bernie Sanders als auch der gescheiterten zentristischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton genoss, der reden und begeistern kann, wurde ein sofortiger Hoffnungsträger. Der 39-jährige Afroamerikaner Gillum war der Mann, der alle Flügel der Partei zusammenbringen, junge und alte Demokraten aussöhnen und dazu noch die Minderheiten sowie die Erstwähler an die Urnen bringen würde. In seinem Wahlkampf verbreitete er ein Video, das ihn vor seinem Elternhaus zeigt. Die Farbe blättert von der Fassade, er spricht von seiner Mutter, einer Schulbusfahrerin, und von seinem Vater, einem Bauarbeiter. Er war der einzige demokratische Gouverneurskandidat in Florida, der keine Millionen auf seinem Privatkonto hatte.

„Dies ist ein historischer Wendepunkt“, schwärmte der Chef der jungen Demokraten von Miami am Vortag der Midterms. Steve Simeonidis beschrieb seine eigene Generation, die Millennials, als jene, die Florida radikal verändern würden. Nach zwei Jahrzehnten mit Republikanern sei Florida reif für einen demokratischen Gouverneur. „Die Zukunft“, sagte Simeonidis, „ist hell für die Demokratische Partei.“

Soziale Themen in den Vordergrund gestellt

Zugleich befürchteten die Demokraten Manipulationen und Tiefschläge. In den letzten Jahren haben sie quer durch die USA erlebt, wie Republikaner die Regeln und Gesetze zu ihren Gunsten umschreiben, sobald sie die Macht in Bundesstaaten erobern: mit veränderten Wahlkreisgrenzen, mit neuen Ausweispflichten für die Wähler, mit der Schließung von Wahllokalen und mit verkürzten Zeiten für die Stimmabgabe. Fast überall treffen solche Manöver mehrheitlich demokratische Wähler, besonders häufig Angehörige der „Minderheiten“. Zur offiziellen Begründung werden meist zwei Dinge genannt: Sparmaßnahmen, sowie „Wählerbetrug“, obwohl Letzteres so gut wie nie in den USA vorkommt.

Sicherheitshalber sind die demokratischen Wahlkämpfer deswegen auch in Florida zweigleisig gefahren. Einerseits haben sie soziale Themen in den Vordergrund gestellt: von der Forderung nach einer Gesundheitsversorgung für alle, über die Anhebung des Mindestlohns und private Schuldenstreichungen bis hin zur Senkung der Studiengebühren. Andererseits haben sie die Wähler aufgefordert, ihre Stimme möglichst früh abzugeben. Mittels Briefwahl oder per vorzeitiger Stimmabgabe – „Get out the Vote“ – Gib deine Stimme ab – unternahmen sie den Versuch, Wähler zu aktivieren, die sonst bei Midterms zu Hause bleiben.

Das Verfahren war so erfolgreich, dass am Sonntagabend – zwei Tage vor dem eigentlichen Wahltag – in einem Wahllokal am Stadtrand von Miami die Stimmzettel für die vorzeitige Wahl ausgingen. Als dann auch noch der Drucker versagte, mussten die Wähler drei Stunden lang vor dem „Desiline Victor“-Wahlbüro“ Schlange stehen, bis Nachschub an Stimmzetteln kam. Wahlhelfer brachten ihnen Wasser und Snacks, damit sie ihre Plätze in der Schlange hielten.

Am eigentlichen Wahltag stehen keine Schlangen mehr an dem Wahlbüro. Am Eingang erklärt ein Schild, dass Waffen – sowohl Pistolen als auch Messer – in dem Gebäude untersagt sind. Die Stoneman Douglas Schule, an der im Februar ein junger Mann 17 Menschen erschossen hat, ist nur eine halbe Autostunde entfernt. Damals starteten junge Überlebende eine neue Bewegung gegen Schusswaffengewalt, die Millionen Menschen auf die Straße brachte. Doch bei den Midterms sind Schusswaffen nur noch ein Thema von vielen. Und die Jugendbewegung ist wieder von der Bildfläche verschwunden.

Ängste und Wut aus den republikanischen Hochburgen

Vor dem Wahlbüro hat Krankenschwester Anna Pierre, die 1981 aus Haiti nach Florida gekommen ist, ihren Jeep geparkt und die Fenster weit herunter gekurbelt. Ein kreolischer Wahlsong läuft in Endlosschleife. „Gillum ist“, schwärmt Pierre, „was wir uns 20 Jahre lang gewünscht haben. Er will sogar die Gehälter für Lehrer erhöhen.“ Eine halbe Stunde später schließen die Wahllokale in Miami. Zwei Stunden später räumt Gillum den Wahlsieg des Republikaners Ron de Santis ein. „Gebt nicht auf, kämpft weiter“, fordert er seine Wähler auf und verspricht, selbst weiterhin an der Frontlinie zu bleiben, um für das zu kämpfen, was „anständig, richtig und gut ist“. Der siegreiche de Santis ist ein Mann nach dem Geschmack von Trump und der Schusswaffenlobby NRA. Im Wahlkampf benutzte er das Wort „Affe“, als er von Gillum sprach. Und weder nach dem Massaker an der Stoneman Douglas-Schule noch nachdem am Wochenende vor den Midterms ein Mann zu einem Yoga-Zentrum in Tallahassee ging, um dort zwei Frauen zu erschießen, zog de Santis strengere Waffenkon­trollen in Erwägung.

Während die Demokraten in der Kampagne auf soziale Themen und Wählerdisziplin setzten, mobilisierte die andere Seite in den republikanischen Hochburgen Floridas Ängste und Wut, mit Trump als aktivstem Wahlhelfer. Als ginge es um seine eigene Position im Weißen Haus, fuhr er vor den Midterms mehrfach in der Woche zu Meetings in die Provinz. „Wütende Wähler kommen an die Urne“, beschreibt die Politologin DePalo die Trump­’sche Logik: „Mit einer funktionierenden Wirtschaft kann er niemanden wütend machen.

In den Wochen vor den Midterms erlebten die USA eine beispiellose Serie von politisch motivierten Gewalttaten: Unter anderem verschickte ein Mann aus Florida, der in einem mit Trump-Plaketen beklebten Truck wohnte, Briefbomben an demokratische Politiker und Geldgeber. In Pittsburgh erschoss ein Antisemit elf Menschen in einer Synagoge. Und in Louisville, Kentucky ermordete ein anderer weißer Mann zwei Afroamerikaner, nachdem er vergeblich versucht hatte, in eine schwarze Kirche hineinzukommen.

Keines dieser Verbrechen, die aus dem Inneren des Landes kamen, wurde ein Thema im Wahlkampf. Stattdessen warnte der Präsident bei seinen Meetings vor dem Iran und vor einer „Invasion“ aus Mittelamerika. In den letzten Tagen vor den Wahlen schickte er Tausende Soldaten an die Südgrenze, stellte Schüsse auf Steinewerfer in Aussicht und ließ Stacheldrahtrollen verlegen, um die USA vor Menschen zu schützen, die zu Fuß und mit Säuglingen auf den Armen in Richtung Norden unterwegs sind, um Asylanträge zu stellen.

Trump betrachtet Florida als Zuhause

Bei seinen beiden Auftritten in Florida warnte der Präsident nicht nur vor den Flüchtlingen aus Mittelamerika, sondern auch vor dem „demokratischen Mob“ und – wie üblich – vor der „Presse, die lügt“. Zuallerletzt versuchte er, ein Video zur Unterstützung der Republikanischen Kandidaten in den Midterms zu veröffentlichen, dessen Ausstrahlung selbst der rechte TV-Sender Fox ablehnte, weil es so offensichtlich rassistisch war. Darin erklärte ein angeblich eingewanderter Mörder mit breitem Grinsen, dass er bald aus dem Gefängnis ausbrechen werde, um mehr Polizisten zu ermorden.

Trump betrachtet Florida als ein Stück Zuhause. Seine Protzburg Mar-a-Lago in dem Milliardärs-County Palm Beach liegt weniger als eine Autostunde nördlich von Broward County, einer der großen demokratischen Hochburgen in den USA. Wieder eine halbe Autostunde weiter südlich liegt Miami, eine Stadt, wie sie kulturell und ethnisch kaum vielfältiger sein könnte.

Recherchefonds Ausland e.V.

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Aus dem Bürgermeisterbüro im 29. Stock des Rathauses von Miami-Dade geht der Blick weit über das flache Land, das die Forscher als eines der ersten vom Klimawandel betroffenen urbanen Küstengebiete der USA betrachten. Bürgermeister Carlos Gimenez vermeidet das politische Reizwort und spricht lieber vom „Anstieg des Meerwassers“. Er ist im Alter von sechs Jahren mit seinen Eltern aus Kuba nach Florida gekommen, ist Republikaner wie viele Kubaner der ersten Einwanderergeneration. Und er versucht, seine Millionenstadt, in der 60 Prozent der Bewohner in einem anderen Land geboren sind, wie ein Pragmatiker zu führen. De Santis’ rassistische Beleidigung von Gillum nennt der Bürgermeister eine „unglückliche Wortwahl“ und nach eigenem Bekunden hat er selbst im November 2016 nicht für Trump gestimmt.

Die Wahlbeteiligung in Florida war für Midterms ungewöhnlich hoch. Anders als von Demokraten und Meinungsforschern erwartet, wird jetzt erneut ein Republikaner Gouverneur. Und im US-Senat wird Florida künftig von zwei statt wie bislang nur einem Republikanern vertreten werden.

Abschaffung einer Regelung aus dem 19. Jahrhundert

Eine Gruppe, die bislang von jedem Wahlgeschehen in Florida ausgeschlossen war, konnte bei den Midterms in Florida eine historische Veränderung durchsetzen. Am Dienstag stimmte Florida in einem Volksentscheid auch für die Abschaffung einer Regelung aus dem 19. Jahrhundert, die 1,5 Millionen ehemalige Straftäter in Florida ihrer Bürgerrechte beraubte. Künftig darf rund eine Million von ihnen – alle außer Sexualstraftätern und Mördern – wieder wählen.

Der Afroamerikaner Desmond Meade, selbst ein ehemaliger Knacki, hat die Wählerinitiative auf die Wahlzettel gebracht. Um die für die Veränderung der Verfassung nötige Mehrheit von mehr als 60 Prozent der Stimmen zu bekommen, zog er über ein Jahr lang kreuz und quer durch Florida und suchte Unterstützer. Zwei andere ehemalige Knackis, der weiße Amerikaner Niel Volz und der Latino Angel Sanchez, waren mit ihm unterwegs. Gemeinsam haben sie einen Kompromissvorschlag auf den Wahlzettel gebracht, der Florida zu einem Bundesstaat wie die meisten anderen in den USA macht. Danach erhält künftig auch in Florida seine Bürgerrechte zurück, wer seine Strafe abgesessen hat. „Wir haben unsere Schuld bezahlt“, sagt Meade am Tag seine großen Erfolges, „wir sind zurückkehrende Bürger“.

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