Flausen fürs Theater: Speed-Date mit der Jury
Wenn Freie KünstlerInnen um die begehrte Residenz kämpfen: Seit fünf Jahren vergibt das Theater Wrede+ in Oldenburg das „flausen“-Stipendium.
OLDENBURG taz | Ein paar Sitzreihen, aber kein Bühnenpodest. Ein Beamer projiziert eine Zahl an die Wand: 5:00, fünf Minuten also – ein Countdown, bereit zum Start. In dieser Zeitspanne präsentieren heute KünsterInnen ihre Ideen einer Jury, dazu gibt es je drei Minuten Fragerunde.
Es ist eine Art Speed-Dating, aber statt Liebesglück winkt hier das Arbeitsstipendium „flausen – young artists in residence“, seit 2011 vom Theater Wrede+ ausgeschrieben, um freien Gruppen die Möglichkeit zu geben, in einer vierwöchigen Residenz im Haus experimentelle Ideen zu entwickeln. Von „erforschen“ spricht Theatergründer und -leiter Winfried Wrede, der das Stipendium auch initiiert hat. Es will neue Wege der Performance finden. Was dabei rauskommt und aufgeführt wird, ist dann eher eine Testversion, als eine fertige Produktion. Dieser Ansatz ist einzigartig, auf die erste Ausschreibung waren über 200 Bewerbungen eingegangen. In diesem Jahr waren es Wrede zufolge immer noch knapp 170. Davon sind sind 17 in der Endrunde.
Die BewerberInnen, aus ganz Deutschland angereist, warten draußen. Manche starren in ihre Kladden. Andere haben sich um die nächste Hausecke verzogen – proben. Es herrscht eine Atmosphäre wie bei einer Aufnahmeprüfung. Dann ertönt ein Gong, und es geht in den Theatersaal.
An Tischen vor der ersten Sitzreihe wartet die zehnköpfige Jury: ExpertInnen aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, von Stiftungen und aus der freien Szene. Auch Hausherr Wrede sitzt da. „Die haben was aufgefahren“, flüstert irgendwer – „hochkarätig!“
Irgendwann sitzen alle. Zwar ist die Veranstaltung öffentlich, aber an einem Nachmittag unter der Woche besteht das Publikum dann doch hauptsächlich aus den teilnehmenden Gruppen. Die erste, das Kollektiv Meinhardt Krauss Feigl hat sich aufgebaut. Auf ein Zeichen hin läuft nun auch die Countdown-Uhr. Auf einem Tisch ist ein verkabelter Roboterkopf installiert. Auf dem Stuhl daneben setzt sich ein Schauspieler und schneidet Grimassen – so wie der Roboter. Den steuern zwei weitere Künstler: Bis ins kleinste Detail synchron verzieht er den Mund, hebt die Augenbrauen. Sein Klicken und Sirren wird zum Soundtrack für beider Bewegungen. Bald ist unklar, ob hier der Mensch die Maschine choreographiert – oder umgekehrt. Schließlich fragt der Mensch: „How could you fall in love with me?“ Der Roboter wiederholt die Frage, schweigt sich im Weiteren aber aus.
Die erste Runde ist durch. Was die „Forschungsfrage“ sei, will Theaterleiter Wrede von den Dreien wissen. „Uns interessiert die Wechselwirkung von Mensch und Maschine“, sagt einer der Künstler. Die Idee sei ihm im Zug gekommen, wegend er Automatiktüren. Wieder ist ein Gong zu hören: Die Fragezeit ist um – nächste Gruppe.
Ideen und Präsentationsformen reihen sich aneinander., aber das Fachpublikum fühlt sich wohl. Die Stimmung ist entspannt – solange man nicht vorne steht und die Uhr läuft: Dann bricht der Schweiß aus, der Zettel in der Hand zittert, die Stimme wackelt.
Für die meist frei tätigen KünstlerInnen ist das hier eine wertvolle Chance, fernab von Produktionsdruck einmal nur künstlerisch zu arbeiten. Die freie Szene leidet darunter, dass kaum noch produktionsunabhängig gefördert wird. Zudem gibt es in Niedersachsen auch keine Gastspielförderung. Die freien Theater können das nicht abfedern, weil sie sich selbst auch nur eben so über Wasser halten. Weil weder Spielstätten- noch Infrastrukturförderung existiert, haben nur fertige Konzepte die Chance auf finanzielle Unterstützung. Und dann sind die KünstlerInnen vor Ort noch nicht versorgt, die Aufführungskosten kaum gedeckt. Für Innovation, wie sie die freie Szene traditionell liefert, ist da kein Raum. Und genau den solle das Arbeitsstipendium schaffen, sagt Wrede – zumindest kurzzeitig. Dafür will die Jury will Ideen mit einem „Maximum an Herausforderung und Wagnis in Form und Inhalt“ sehen.
All das spiegelt sich heute in BewerberInnenfeld und Ideen: Nicht nur SchauspielerInnen und TänzerInnen stehen auf der Bühne, uch DramaturgInnen, RegisseurInnen, ChoreografInnen und MusikerInnen sind dabei – einige Teams zählen sogar Programmierer und Comiczeichner zu den Ihren.
Die meisten loten in ihren Präsentationen bewusst Grenzen aus. Zum Beispiel die Idee „whatyouseeiswhatyouget“, die Tänzerin Joana Tischkau gemeinsam mit DJ und Musikwissenschaftler Frieder Blume vorstellt: Tischkau steht scheinbar respektlos mit dem Rücken zum Publikum, ihre Nase zeigt nach unten, ihr Po in die Luft. Die Locken ihres Afros berühren den Boden. Während Blume eine große Leinwand hinter ihr mit Clips bespielt, spricht Tischkau temporeich und rhythmisch: über die Normierung schwarzer und weißer Körper, über die körperliche und klangliche Dimension von Rassismus. Über weiße Körper, die „wackeln“ und schwarze, die „twerken“.
„Wann wird gewackelt und wann getwerkt?“, fragt sie laut, jetzt in rhythmischem Sprechgesang. Davon, diese Dimension von Rassismus mit Hilfe von Bewegung, Körperlichkeit und Sound sichtbar zu machen. Dann richtet sich Tischkau auf, lässt sich auf der Seite neben Blume rutschen, der schon auf dem Boden sitzt. Stille.
„Ich sage es jetzt mal einfach – ich bin geschockt“, sagt schließlich der Vertreter einer Stiftung. „Das ist ja ein Riesenrad, das ihr da drehen wollt, ein Lebenswerk.“ Tischkau lacht entspannt: „Wenn das jetzt zu krass war, tut es mir leid.“ Ihm komme „Körperlichkeit und Rassismus“ gar nicht so bombastisch vor, sagt Blume später in der Pause. Die Gruppe sei schon länger an dem Thema dran. Tischkau findet interessant, dass ihre Präsentation die Jury so irritiert hat. „Aber man darf auch mal in eine unangenehmen Situation bringen“, sagt sie. In solchen nämlich „bin ich als schwarze Tänzerin oft“. Sie habe auch schon Rollen nicht bekommen, weil sie dem erwünschten Typ entspreche, erzählt sie lächelnd, aber rundheraus. Sie hätten das Thema gebündelt – und das sei erst mal konfrontativ. Dafür sei das Stipendium „flausen“ ja gedacht.
Ob sie oder doch jemand anderes den richtigen Ton getroffen haben, entscheidet die Jury. Nach 17 Präsentationen und viereinhalb Stunden Schauen, Hören und Fragen.
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