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Fitnessstudio nimmt Sinteza nicht aufMuskelkater nur nach „Selektion“

Weil ein Fitnessstudio in Neumünster ihr die Mitgliedschaft verweigert, klagt eine Sinteza. Der Betreiber bestreitet rassistische Motive.

Genug hanteln für Alle – aber nicht für Jede? Fitnessstudio (Symbolbild) Foto: Bodo Schackow/dpa

Neumünster taz | Im Frühsommer 2021 wollte Kelly Laubinger in ein Fitnessstudio in ihrer Heimatstadt Neumünster eintreten, aber sie erhielt keinen Platz. Weil sie Sinteza ist, glaubt die Betroffene – und klagt nun wegen Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgesetz. Es lag nur an Corona, behauptet der Betreiber des „Muskelkaters“. Doch vor Gericht verstrickte er sich in Widersprüche.

Eigentlich hatte Kelly Laubinger sich an jenem Abend nur rasch im Fitnessstudio anmelden wollen. Doch es gab unerwartete Schwierigkeiten, berichtete sie bei der Verhandlung im Amtsgericht am vergangenen Freitag. Das Personal musste erst „Rücksprache halten“, dann war von einer angeblichen Corona-Landesverordnung die Rede, laut der das Studio niemanden mehr aufnehmen dürfe.

Doch eine solche Verordnung habe es nicht gegeben, sagte Laubinger: „Ich habe andere Studios angerufen, keines hatte Aufnahmestopp.“ Sie ging zurück in den „Muskelkater“: „Ich wollte nur den Grund für die Ablehnung verstehen.“ Formale Hindernisse können es kaum gewesen sein: „Ich hatte Impfpass und sogar Gehaltsbescheinigung dabei.“ Die Angestellten ließen sie lange warten. Am Ende verwies eine Mitarbeiterin auf das Hausrecht, ein Trainer erklärte, er handle sich auf Anweisung seines Chefs.

Die Chef schiebt alles auf die Coronamaßnahmen

Dieser Chef heißt Wolfgang Bühse. Während Laubinger berichtete, hielt der großgewachsene, kurzhaarige Mann seine muskulösen Arme verschränkt und widmete dem Publikum – Familienangehörige und Un­ter­stüt­ze­r*in­nen von Kelly Laubinger – keinen Blick. Als er dran war, stürzte er sich in eine wortreiche, aber widersprüchliche Erklärung. Tenor: Die Coronamaßnahmen seien schuld.

Das verwundert nicht, denn Bühse hatte während des Lockdowns 2020 gegen die Landesregierung geklagt und in der Lokalzeitung Holsteinischer Courier die Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie als „das größte Unrecht seit dem Zweiten Weltkrieg“ und einen „schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte“ bezeichnet. In der jetzigen Verhandlung sagte er: „Ich durfte keinen unkontrollierten Zufluss erlauben. Natürlich muss ich Selektion betreiben.“ Diesen Begriff wiederholte er mehrfach.

„Das war hart“, sagte Laubinger nach der Verhandlung. „Ich bin Enkelin von Holocaust-Überlebenden, dieses Wort hat mir einen Stich versetzt.“ Sie habe lange gebraucht, bis sie sich entschloss, gegen das Fitnessstudio vorzugehen: „Es ist nicht üblich, dass wir Sinti aufstehen und uns gegen Zurückweisung wehren.“ Dass sie nun so viel Unterstützung erfahre, habe sie dazu bewogen, sich stärker für die Minderheit zu engagieren. Seit kurzem ist sie Co-Vorsitzende der Bundesvereinigung der Sinti und Roma, eines Dachverbands für Vereine und Gruppen der Minderheit.

„Uns ist wichtig, dass das Gericht den Fall angenommen hat“, sagte ihr Onkel Jonny Laubinger, der zu den Zu­schaue­r*in­nen gehörte. „Wir leben seit 600 Jahren in Schleswig-Holstein, es muss endlich mal Schluss sein mit der Ausgrenzung.“

Anerkannte Minderheit im Land

Sinti sind seit Jahrhunderten in Schleswig-Holstein ansässig: Erstmals urkundlich erwähnt wurden sie in einer Lübecker Urkunde aus dem Jahr 1417.

Als erstes Bundesland hat Schleswig-Holstein am 14. November 2012 die deutschen Sinti und Roma als Minderheit in die Landesverfassung aufgenommen.

Rund 6.000 Angehörige der beiden Minderheiten mit deutscher Staatsbürgerschaft leben laut dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma heute im Land.

Schwerpunkte sind Lübeck und Kiel sowie das Flensburger und Hamburger Umland.

Dass es sich in diesem Fall um Diskriminierung handelte, davon sind Kelly Laubinger und ihr Anwalt Martin Klingner überzeugt. Denn bei Gesprächen im Familienkreis stellte sich heraus, dass bereits früher Laubingers – der Name ist typisch für die Sinti-Minderheit – vom „Muskelkater“ abgelehnt wurden. Laubinger, die sich Rat beim Antidiskriminierungsverband Schleswig-Holstein geholt hatte, bat zwei deutsch gelesene Freundinnen, sich anzumelden, beide wurden akzeptiert. Außerdem warb das Studio im örtlichen Anzeigenblatt und im Internet um Neumitglieder und bot sogar kostenlose Schnupperwochen an.

Eben weil daraufhin Andrang geherrscht habe, seien Leute abgewiesen worden, sagte Bühse und verwies erneut auf die Coronaregeln, die ihn viele Mitglieder gekostet hätten.

Richterin Anje Vogt konterte trocken: „Da konnte Ihnen doch nichts Besseres passieren, als wenn jemand wie Frau Laubinger einfach Mitglied werden will, ohne einen Termin zu buchen.“

Offen für alle „Nationalitäten“?

Darauf blieb Bühse eine schlüssige Antwort schuldig. Er schob die Schuld auf Angestellte, die seine Anweisungen „ausgelegt“ hätten. Die Diskriminierung bestritt er aber, sondern verwies darauf, dass sein Studio offen für alle Nationalitäten sein: „Wir haben sogar einen Tunesier eingestellt.“

Das erwischte bei Kelly Laubinger wieder einen Nerv: „Was soll der Hinweis auf andere Nationalitäten, ich bin Deutsche.“ Ihr komme es nicht auf das in der Klage verlangte Schmerzensgeld an, sondern auf eine ernstgemeinte Entschuldigung: „Mir ist wichtig, dass offen zugegeben wird, woran es lag.“

Darauf ließ sich Bühse nicht ein. Laubingers Anwalt Klingner erklärte: „Dann wollen wir die Entscheidung des Gerichts.“ Die will Richterin Vogt am 18. November verkünden. Eine Tendenz teilte sie bereits mit: „Ich sehe erhebliche Anzeichen für eine Diskriminierung.“

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1 Kommentar

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  • Ganz normaler Alltagsrassismus. Sehr gut, dass Frau Laubinger sich gewehrt hat.

    Zu hoffen bleibt, dass möglichst viele Mitglieder diesem Laden den Rücken kehren. Es gibt viele Sportstudios.