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Fischbestände in OstfrieslandStinkender Sommer

Die Wieken trocknen aus, in den Entwässerungssystemen sterben die Fische. Ausgerechnet das Naturschutzgesetz erschwert die Rettung von Kanal-Aal, Barsch und Zander.

Weil sich der Süßwassergehalt geändert hat, starben tonnenweise die Brassen Foto: Stefan Bartels/Bezirksfischereiverband für Ostfriesland

MOORMERLAND taz | „Ich bin Veganer und möchte jedes Leben schützen“, sagt Peter Hübner von der Vereinigung „Ostfriesen gegen Tierleid“. Aber man könne ja niemandem verbieten Fisch zu essen, da ist der Tierrechtler kompromissbereit.

Und so bildet der Verein mit den vermeintlichen Gegnern, den Anglern, jetzt eine Allianz gegen das Fischsterben in den ostfriesischen Wieken, den traditionellen Entwässerungskanälen Ostfrieslands: Samstagvormittag ab 10 Uhr brechen Angler und Tierschützer vom Rathaus Jheringsfehn aus zur gemeinsamen Abfischaktion in der Gemeinde Moormerland, zwischen Emden und Leer auf, zu der sie über Social-Media-Kanäle mobilisieren: Die Fische dort sollen in einen Nebenkanal umgesetzt werden.

Außerdem erheben sie gemeinsame Forderungen. So verlangen sie, das Entwässerungssystem grundsätzlich besser zu unterhalten, die Kanäle zu entkrauten und sie im Notfall zusätzlich zu bewässern: Pumpen sollen Wasser aus größeren Kanälen in kleinere leiten. Denn wegen der anhaltenden Hitze trocknen in Moormerland, Wiesmoor, Rhauderfehn die Wieken aus. Allerorten sind die Fischbestände in Gefahr.

„Wir müssen interessenübergreifend kooperieren, auch wenn wir grundsätzlich mit der Angelei nicht einverstanden sind“, stellt Hübner klar. Uwe Brahms vom Leeraner Angelverein freut sich: „Wir unterstützen die Tierschützer gerne. Man muss sich aber fragen, ob das Trockenfallen der Wieken nicht hätte im Vorfeld verhindert werden können.“

Die Kritik richtet sich besonders gegen die Gemeinde Moormerland, den Landkreis Leer, die Sielacht, den Entwässerungsverband und – das Bundesnaturschutzgesetz. Denn Wieken haben in der Regel nur einen geringen Wasserstand – mehr oder weniger einen Meter, bei einer Breite von einem Meter aufwärts.

Wieken und Tiefs sind ein Kulturgut. Wir wollen in Ostfriesland die Fische schützen und die Kulturlandschaft bewahren

Peter Hübner, Aktivist bei „Ostfriesen gegen Tierleid“

Tiefs sind richtige Kanäle mit mehr Tiefe und größerer Breite. Der Schilfbestand an den Ufern wächst in die Gewässer hinein und stoppt die Bewegung des Wassers. „Das ist ein altes Problem“, erklärt Adolf Wilken vom Entwässerungsverband Oldersum. Gemäht werden könne aber nur ab Herbst und in Intervallen. „Das ist im Bundesnaturschutzgesetz so vorgeschrieben.“

Zusätzlich leiden die Wieken unter Schlammablagerungen. Bei Niedrigwasser oder Trockenfallen bilden sich Fäulnisgase, es stinkt zum Himmel. „Da sind wir erst mal machtlos“, kommentiert Wilken. In Wieken und Tiefs landen nicht selten Rasenschnitt und Müll der Anwohner. Auf dem Kanalgrund finden sich alte Fahrräder, verrottete Ruderboote und Baumaterial. Manchmal rutscht auch ein PKW über die Böschung, deren Fahrer nach durchzechter Nacht den direkten Weg nach Hause gesucht hat.

Auf dem Grund wurzeln aber auch viele Pflanzen, die zum Teil geschützt sind. Das Bundesnaturschutzgesetz regelt jede Intervention in diese Lebensräume. „Wenn wir irgendwas an den Wieken machen, befinden wir uns im strafrechtlichen Raum“, erklärt Bettina Stöhr, Bürgermeisterin von Moormerland. Sie klingt verzweifelt: „Wenn die Tierschützer verlangen, zusätzlich Wasser aus den größeren Tiefs in die kleineren Wieken zu pumpen und die Angler fordern, wir sollen den Schlamm ausbaggern, protestieren die Pflanzenfreunde, wir würden Schilf und die streng geschützte Krebsschere aus dem Grund reißen.“

Eingriffe bedürfen einer Genehmigung

Der Landkreis Leer muss alle Eingriffe in die Wieken genehmigen. „Nicht nur Moormerland, alle Gemeinden sind betroffen“, erläutert Kreissprecher Dieter Backer. Das Ganze sei „ein grundsätzliches Problem“. Man habe auch schon vor der Intervention der Tierschützer mit den Gemeinden gesprochen, denn „das Landesveterinäramt (LAVES) hat uns gewarnt, das Pumpwasser könnte fauligen Schlamm aufwirbeln und den Sauerstoffgehalt der Wieken noch mehr beeinträchtigen“. Nach mehrmaligen Wasserproben des Landkreises und der Gemeinde Moormerland wurde dann trotzdem gepumpt.

Die Bürgermeisterin von Moormerland, Bettina Stöhr, unterstützt die Pumpaktion. Aber: „Wir können nicht pausenlos pumpen. Weil keine großen Pumpen an die Ufer des größeren Kanals geschafft werden können, muss unsere freiwillige Feuerwehr mit ihren mobilen, kleineren Einheiten das machen.“

Bloß: Deren Leute bekommen dafür nicht von jedem Arbeitgeber frei. Auch könne das nur eine Notmaßnahme bleiben: „Was ist, wenn sich die Wetterlage nicht bessert?“, so Stöhr. Unterstützung bekommt sie vom Entwässerungsverband Oldersum. „Wasser fließt immer von oben nach unten“, erklärt Adolf Willken. „Wenn wir von unten, also aus den niedriger gelegenen Tiefs, Wasser in die höher gelegenen Wieken pumpen, fließt es wieder in die Tiefs zurück.“

Wehre könnten helfen

„Wir wollen das Problem grundsätzlich lösen“, unterstreicht Tierrechtler Peter Hübner. Denn er ist sich sicher, eine Hitzeperiode wie jetzt könne sich jederzeit wiederholen. Deswegen fordert er einen runden Tisch aller Beteiligten.

Das Ziel: Das Naturschutzgesetz wäre so zu ändern, dass das ostfriesische Entwässerungssystem nachhaltiger durch Baggern und Mähen saniert werden kann. Außerdem sollen zusätzliche Wehre in die Wieken eingebaut werden, um einen Rückfluss des Wassers in die Tiefs zu verhindern. Landkreis und Gemeinde Moormerland unterstützen das. „Wieken und Tiefs sind ein Kulturgut. Wir wollen die Fische schützen und die Kulturlandschaft bewahren“, meint Peter Hübner von „Ostfriesen gegen Tierleid“.

Bis zum Hals im Wasser

Normalerweise stehen Ostfriesen bis zum Hals im Wasser. Deswegen gibt es für sie zwei existenzielle gegenläufige Notwendigkeiten: Die Nordsee muss aus dem Binnenland rausgehalten – dafür sorgt der Deichbau – und gleichzeitig muss das Regenwasser von Land zügig in die Nordsee abgeführt werden. Seit dem 16. Jahrhundert wurden zur Entwässerung des Landes Wieken und Tiefs als Abflüsse gegraben. Sie ermöglichten erst die Besiedlung der moorigen Küstenregion und veränderten eine Naturlandschaft zu einer von Menschen gemachten Kulturlandschaft.

„Diese Wasserwege waren mangels Straßen lange Zeit die einzigen Verkehrswege“, erläutert Adolf Wilken. „Sie wurden mit flachgängigen Schiffen, den Mutten und Tjalken, befahren.“ Im Winter, bei Frost, seien Schlitten und Schlittschuhe die Verkehrsmittel gewesen. Bis heute prägen die Kanäle das Landschaftsbild und sind äußerst beliebte Sportboot- und Kanu-Reviere. Zwar hat der Fischbestand wegen Verschmutzung und Verseuchung dramatisch abgenommen, trotzdem sind die Gewässer aber an die örtlichen Anglervereine verpachtet.

Bei lebendigem Leib gepökelt

„Selbstverständlich wissen wir um die Bedeutung unseres Gewässersystems“, sagt Bürgermeisterin Bettina Stöhr. Aber Rettungsmaßnahmen müssten effektiv und angemessen sein, so Stöhr. „Wir reden hier in Moormerland ja nicht von einem Massensterben der Fische wie in Greetsiel.“ An der Küste, im Touristenort Greetsiel – im Volksmund „Ostfriesisch Disneyland“, wurden laut örtlicher Verwaltung in den letzten vierzehn Tagen mehrere Tonnen toter Fische aus dem Hafenbecken geschöpft.

Durch die Trockenheit reduzierte sich der Süßwassergehalt und das Salzwasser der Nordsee schob sich in den Hafen. Die Süßwasserfische wie Brassen wurden bei lebendigem Leib gepökelt, wenn sie nicht schon vorher erstickt waren. Im touristischen Edelort stank es entsetzlich.

Die Gemeinde machte ein Event aus dem Problem. Gäste bildeten Menschenketten, schöpften die nach Luft schnappenden Fische aus dem Hafen und setzten sie in besser belüfteten Gewässern um. Obwohl viele Helfer*innen die Aktion wegen des üblen Geruchs im Wortsinn zum Kotzen fanden, halbwegs zufrieden waren sie am Ende trotzdem.

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2 Kommentare

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  • „Denn wegen der anhaltenden Hitze trocknen in Moormerland, Wiesmoor, Rhauderfehn die Wieken aus.“ 😳. Dürre heißt das Problem, nicht Hitze...

  • In der Tat: Es gibt immer „ein grundsätzliches Problem“, wenn Menschen in den Naturraum eingreifen. Als sie Wieke und Tiefs angelegt haben, haben sie genau das getan. Sie haben eine sogenannte Kulturlandschaft geschaffen und damit eine Verantwortung übernommen, der sie nicht immer gerecht werden können.

    Mit dem Umstand, dass sie versagen können, können Menschen leider schlecht umgehen. Kulturbedingt trennen sie nicht sauber genug zwischen Verantwortung und Schuld. Das hat mit Macht- und Ohnmacht-Erfahrungen zu tun und mit dem Wunsch nach Wiederherstellung einer Gerechtigkeit, die es so nie gegeben hat, die aber ein liebevoll gepflegtes Ideal ist.

    Im Extremfall funktionieren Lösungen, die sich Menschen für ihre Probleme ausgedacht haben, schlechter als im Normalfall. Auch die Natur hat „schlechte Jahre“. Waren z.B. im letzten Jahr die Feuchtigkeit liebenden Arten bevorteilt, sind es im nächsten die Trockenheit liebenden. Im Laufe der Zeit bildet sich ein Gleichgewicht zwischen Vor- und Nachteilen, das Ökosystem ist halbwegs stabil. Dem Menschen ist das aber nicht genug.

    Er verlangt nach maximaler Sicherheit. Vernünftig ist das nicht. Nur sehr gut zu erklären. Schließlich sind Menschen die einzige Art auf unserem Planeten, die das Konzept einer Verantwortung kennen, die über Schutz und Pflege des eigenen Nachwuchses hinausgeht. Wer anderen eine Sicherheit bieten kann, die sie ohne Hilfe nicht genießen könnten, schafft damit einen Mehrwert, den er privatisieren kann. Vertrauen, aber auch Neid sind die Folge.

    Runde Tische sind in sofern eine gute Lösung. Wenn alle gleichzeitig einbezogen werden und jeder das Recht hat, seine Meinung einzubringen in eine Debatte, wird Vertrauen gestärkt und Neid minimiert. Gut so. Auch ohne dass die Schuldfrage gestellt wird, gibt es Ärger genug im Augenblick. Die „nackten Fakten“ (Hitze, Trockenheit) sind als Herausforderung auch groß genug.