Finanzministertreffen in Luxemburg: Fünf Szenarien für Griechenland
Griechenland droht die Staatspleite – wenn nicht doch eine Lösung im Schuldenstreit gefunden wird. Noch geht das Ringen weiter.
Einigung im Juni: Noch ist der Gesprächsfaden zwischen der griechischen Links-Rechts-Regierung und den Geldgebern von Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission nicht abgerissen. Allerdings macht das, was von der Krisendiplomatie auf höchster Ebene nach außen dringt, immer weniger Hoffnung. Am vergangenen Sonntag brach EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker einen Vermittlungsversuch schon nach kurzer Zeit ab: Die Vorstellungen beider Seiten liegen noch zu weit auseinander, welche Reformen Griechenland im Gegenzug für weitere Hilfen umsetzen muss. Die Wahrscheinlichkeit, dass noch vor Auslaufen des aktuellen, bereits verlängerten Hilfsprogramms Ende Juni eine Lösung gefunden wird, schätzen Volkswirte auf 35 Prozent.
Fauler Kompromiss: Pokern Alexis Tsipras und sein betont salopp auftretender Finanzminister Gianis Varoufakis nur, weil sie sich sicher sind, dass keiner der Partner letztlich den Geldhahn zudrehen wird und Griechenland in die Pleite taumeln lässt – mit unkalkulierbaren Folgen? „Ein fauler Kompromiss mit Griechenland ist wahrscheinlicher als ein Grexit“, meint Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Schließlich müsse Bundeskanzlerin Angela Merkel im Falle eines Scheiterns den Wählern in Deutschland erklären, „dass die Hilfskredite an Griechenland verloren sind und die Rettungspolitik gescheitert ist“, sagt Krämer.
Neuanfang mit neuer politischer Führung in Athen: Die harte Haltung der seit viereinhalb Monaten amtierenden Regierung wird auch für die griechische Bevölkerung zu einer nervenaufreibenden Hängepartie. In einer Anfang dieser Woche veröffentlichten repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts GPO sprachen sich rund 70 Prozent der Griechen für einen Verbleib ihres Landes im Euroraum aus – auch wenn dies mit harten Sparmaßnahmen verbunden wäre. Sollte der Geduldsfaden der Menschen in Griechenland reißen, wäre ein politischer Neuanfang denkbar. 25 Prozent Wahrscheinlichkeit sieht Holger Schmieding von der Berenberg Bank für ein solches Szenario. Allerdings ist Tsipras‘ Syriza der GPO-Umfrage zufolge nach wie vor die führende politische Kraft im Land: Fände an diesem Sonntag eine Parlamentswahl statt, würde die Linkspartei sie mit 35,1 Prozent gewinnen. Bei der Parlamentswahl am 25. Januar hatte Syriza 36,3 Prozent erreicht.
Staatspleite: Griechenlands Staatskasse ist leer, die Banken des Landes hält die EZB durch Notkredite (Ela) am Leben. Bis zum 30. Juni muss Athen rund 1,5 Milliarden Euro an den IWF zurückzahlen. Und das ist längst nicht alles: Am 20. Juli werden griechische Anleihen im Volumen von etwa 3,5 Milliarden Euro fällig, die die EZB hält. „Gelingt auch bis zu diesem Zeitpunkt keine Einigung, ist der Zahlungsausfall ... praktisch nicht mehr abwendbar“, schreibt DZ-Bank-Analyst Daniel Lenz.
Grexit: In den EU-Verträgen ist der Austritt eines Landes aus dem gemeinsamen Währungsraum mit seinen derzeit 19 Mitgliedstaaten nicht vorgesehen. Allerdings könnte Griechenland dazu gezwungen sein, wenn die Euro-Notkredite gestoppt werden und das Land keinen Zugang mehr zu frischem Geld hat. Würde Griechenland statt des „harten“ Euro wieder eine „weiche“ Drachme einführen, könnte die heimische Wirtschaft mit einer billigen eigenen Währung ihre Produkte viel günstiger anbieten. Denkbar wäre zudem, dass der Staat Gehälter und Renten in Schuldscheinen auszahlt, um die Staatskasse kurzfristig zu entlasten. Die Wahrscheinlichkeit für einen „Grexit“ ist nach Einschätzung von Ökonomen auf 50 Prozent gestiegen.
Die Folgen eines Grexits kann niemand verlässlich abschätzen. Fachleute warnen jedoch: Hauptverlierer wäre die griechische Bevölkerung. Importe wie Energie und Arzneimittel etwa dürften sich massiv verteuern, viele Unternehmen könnten wegen eines Anstiegs ihrer Auslandsverschuldung gezwungen sein, Mitarbeiter zu entlassen. Firmen aus dem Ausland dürften noch zurückhaltender werden, in dem Mittelmeerland zu investieren.
Die Chefvolkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe schreiben in einem gemeinsamen Papier: „Gegebenenfalls wäre das erste Jahr der neuen Währungsselbstständigkeit durch ein humanitäres Hilfsprogramm zu begleiten, um die unmittelbaren sozialen Härten des Ausstiegs abzumildern.“ Die fundamentalen Probleme jedoch blieben: „Die Ausgabe von Schuldscheinen, Parallelwährungen oder ein vorübergehender Austritt Griechenlands aus dem Euro im Zuge einer griechischen Zahlungsunfähigkeit sind nur Scheinlösungen“, meint Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater. Dass die griechische Wirtschaft im Grunde nicht wettbewerbsfähig ist und die Verwaltung des Landes dringend reformiert werden muss, würde nur in die Zukunft verschoben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin