Finanzmärkte und Klimaschutz: Finanzhai rettet Eisbären
Kapitalismus und Klimaschutz: Geht das zusammen? Wie ein Berliner Start-up Banken per Software grün machen will.
Klaus Hagedorn fragt sich manchmal, wie das sein kann: Da sitzen in den Finanzmetropolen der Welt hunderttausende von Analysten, Programmierern und Entwickler in ihren Bankentürmen und keiner ist auf eine eigentlich simple Idee gekommen.
In Berlin, gegenüber der Museumsinseln, arbeitet Hagedorn in einem kleinen Büro im Hinterhof eines Gründerzeithauses für den Thinktank „2° Investment Initiative“ an einer Software, die bald Billionen von Dollar bewegen könnte. Weg von schmutzigen Energien, weg vom Öl, von der Kohle, vom Verbrennungsmotor, weg vom Ökokollaps, hin zu einer Erde mit Zukunft.
„Vor fünf Jahren haben viele aus dem Finanzsektor gesagt: Ihr seid doch bescheuert, das geht nicht“, sagt Hagedorn, klickt an seinem Rechner zwischen Datenbanken, Code und einem Aktienportfolio hin- und her. Der 30-jährige Physiker trägt Start-up-Look: Bart, kurze Hose, Festivalbändchen am Handgelenk. Die Software, die sie hier entwickeln, ist eine Art Big Data zum Weltretten: Man füttert das Programm mit den Daten eines beliebigen Aktienportfolios – und es rechnet aus, ob die Firmen, die dahinterstecken, dazu beitragen, dass die Welt sich um mehr als 2 Grad erwärmt.
Falls ja – nun, dann eben verkaufen, nennt sich im Fachjargon Divestment. Oder Investoren bleiben Aktionäre und nutzen ihr Wissen, um die Klimarisiken, um Druck auf die Firmen auszuüben.
Um die Macht dieser Idee zu verstehen, muss man auf den Dezember 2015 in Paris zurückblicken: Die Staaten der Welt einigten sich auf einen Klimaschutzvertrag. Der Planet soll sich im Vergleich zur Zeit vor der industriellen Revolution um deutlich weniger als 2 Grad erwärmen. Bedeutet theoretisch, dass die ganze Welt binnen 40 Jahren fast komplett auf Kohle, Öl und Gas verzichten muss. Wie der Umbau gehen soll? Weiß niemand.
Eine Idee gibt es schon, gleich in Artikel 2 des Paris-Abkommens: Finanzmittelflüsse müssten in Einklang gebracht werden „mit einem Weg hin zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung“. Heißt übersetzt, dass der Kapitalismus, der den Planeten zerstört, selbigen retten soll. In Ermangelung von Alternativen sollen es die Märkte machen.
Schlips statt Protest
Das klingt beknackt, aber mittlerweile nehmen ziemlich viele Leute aus dem Finanzsektor die Sache ernst. Wer heute Klimaschutz machen will, der sollte keine Bohrinseln mehr blockieren, sondern einen Schlips anlegen und Banker werden. Es gibt viel Arbeit: Der Finanzstabilitätsrat der G20-Staaten schätzt, dass bis zu 43 Billionen Dollar neu angelegt werden müssten. Also alles Geld, das weltweit in Tankschiffen, Pipelines, Öl- und Gasbohrlöchern, Kohleminen, Pkws, Lkws, Autofabriken, Motorenwerken, Zapfsäulen, Förderbändern, Kraftwerken, Raffinerien steckt, mit den Millionen Arbeitsplätzen, abhängigen Regierungen und fetten Lobbygruppen.
Wie das gehen soll, darüber zerbricht sich Christian Thimann den Kopf. Er beschäftigt sich beim Versicherungskonzern Axa in Paris mit Fragen der Regulierung und Nachhaltigkeit und sitzt einer Gruppe von Experten vor, die im Auftrag der EU-Kommission Reformvorschläge erarbeiten sollen. In der Gruppe sitzen Thinktanks wie die 2° Investing Initiative, der WWF, aber auch Banken, Versicherer, Investoren und Wissenschaftler. „Wir sind losgegangen, aber der Weg vor uns ist weit“, sagt Thimann.
Klaus Hagedorn
Diese Woche stellte die Gruppe einen Zwischenbericht vor – Thimann spricht von einem „technisch rigorosen Ansatz“. Für ihn gibt es nicht die eine große Idee, die eine große Maßnahme. Die Gruppe habe rund 20 Richtlinien identifiziert, die geändert werden müssten, also viele kleine Schrauben im Maschinenraum das Kapitalismus.
„Ich halte das für eine bedeutende Initiative der Kommission. Es geht nicht einfach um das Finanzsystem an sich, sondern darum, wie es geändert werden muss, um eine nachhaltige Wirtschaftsordnung zu erreichen“, sagt Thimann. Als ersten Schritt soll es bis Ende 2018 „Green Bonds“ geben, ein EU-Ökosiegel für Wertpapiere aller Art.
Große Unternehmen in der EU müssen seit dem Geschäftsjahr 2017 Nachhaltigkeitsberichte abgeben. Aber nicht die üblichen bunten PR-Broschüren. Die Angaben etwa über CO2-Ausstoß von Unternehmen, ihre Energieeffizienz, ihren Wasserverbrauch, über Korruptionsbekämpfung oder die Einhaltung von Menschenrechten in den Lieferketten müssen korrekt sein.
Wenn nicht, können Vorstände und Aufsichtsräte für falsche Angaben wie bei einer Bilanzfälschung verklagt werden. Noch hat kaum ein Unternehmen verstanden, was das wirklich bedeutet: ein Transparenzzwang, der anzeigt, wie ökologisch und sozial die Unternehmen sind. Die Standards können jederzeit verschärft werden. Auch das fordert Thimanns Expertengruppe.
Neue Transparenz
Zurück nach Berlin, in Hagedorn Büro. Hier wird deutlich, wie wichtig diese neue Transparenz ist – und was für ein Ökopotenzial in den Datenbergen der Finanzmärkte schlummert. Die Software der 2° Investing Initiative durchleuchtet die komplizierten Firmengeflechte dieser Welt, verknüpft sie mit sämtlichen Kohleminen, Ölquellen, Autofabriken, Kraftwerken, Pipelines und kann am Ende sagen, wie viel Geld ein Fonds, ein Versicherer, eine Bank, ein Investor, eine Firma in der ganzen globalen Industrie der fossilen Rohstoffe stecken hat.
Die Software zeigt, wie ein Investor sein Portfolio ändern müsste, damit sein angelegtes Geld das 2-Grad-Ziel nicht gefährdet. Wer Tesla oder Toyota kauft, ist besser dran als mit Daimler und Ford. Das Wissen von Hagedorns Gruppe steht jeden kostenlos zur Verfügung. 2012 in Paris gegründet, arbeitet die Gruppe mit EU-Fördermitteln und Gelder von Stiftungen.
Klaus Hagedorn
„Die meisten großen Player der Finanzbranche haben bei uns schon mal angeklopft“, sagt Hagedorn. Die Niederländische Zentralbank benutzt die Software zur Aufsicht von Pensionskassen und Versicherern. Die müssen ihr Geld langfristig stabil anlegen und wären durch zu viel Investitionen in fossile Energien gefährdet. Standard & Poor’s, eine jener umstrittenen Ratingagenturen, plant die Kreditwürdigkeit von Unternehmen auch daran zu koppeln, wie viel klimagefährdende Investments sie haben. Wer die Umwelt weniger belastet, könnte also bald niedrigere Zinsen zahlen und hat einen Wettbewerbsvorteil.
Noch sind all das zarte Pflänzchen auf einem ziemlich großen Misthaufen und die Frage ist: Was, wenn die Politik Paris nicht umsetzt? Reicht ein Donald Trump und schon wackelt die ganze Klimafront?
„Was Trump macht, ist keine große Herausforderung“, sagt Mark Campanale dazu am Telefon. Der Brite hat 25 Jahre als Anlagemanager gearbeitet und hatte dann mit einem Kollegen die Idee, das System ökologisch zu unterwandern: Seine Organisation Carbon Tracker überzeugt Investoren davon, dass es viel lukrativere Geschäfte gibt als Kohle, Öl und Gas. Er liefert das, was im angloamerikanischen success story heißt: „Neue Technologien werden ganz einfach das Geschäftsmodell der Öl- und Gaskonzerne zerstören“, sagt er.
Dynamik der technologischen Revolution
Mit der Sicht der Dinge ist er nicht allein. Ausgerechnet die Opec, die Organisation erdölexportierender Staaten, hat in dieser Woche ihre Schätzungen für den Verkauf von Elektroautos im Jahr 2040 glatt verfünffacht, auf 266 Millionen im Jahr. Und das sind die Pessimisten. Der Finanznachrichtendienst Bloomberg geht von 530 Millionen aus – ein Drittel der weltweiten Produktion, andere Szenarien gehen sogar von 85 Prozent der Produktion aus.
Campanale kombiniert das mit dem explosionshaften Wachstum der Solarindustrie und einem rapiden Preisverfall bei Batterien und glaubt: Die Dynamik dieser technologischen Revolution wird einfach alle, die den Schuss nicht gehört haben, wegfegen. Wer rechtzeitig sein Geld umschichtet, der gewinnt, wer zu lange auf Öl, Kohle, Verbrennungsmotor und Gas setzt, der verliert. Schlechte Politik kann das verzögern, aber nicht aufhalten.
Klaus Hagedorn in Berlin glaubt, dass ziemlich viele den Schuss gehört haben. „Es gibt wohl kaum einen großes Investmenthaus, das nicht damit beginnt, seine Anlagen nach Klimarisiken zu durchforsten. Aber manchmal kriegt das die Nachbarabteilung im eigenen Haus nicht mit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut