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Finanzexperte Schick zur Bankenkrise„System ist nicht stabiler als 2008“

Die Krise ist nicht vorbei, glaubt Finanzexperte Gerhard Schick – auch wenn sich die Märkte nach der Übernahme der Credit Suisse beruhigt haben.

Die Übernahme der Credit Suisse durch UBS hält Gerhard Schick für falsch Foto: Henry Nicholls/reuters
Interview von Björn Hartmann

taz: Herr Schick, müssen sich Sparer und Anleger angesichts der Turbulenzen an den Finanzmärkten Sorgen machen?

Gerhard Schick: Dazu besteht derzeit in Deutschland kein konkreter Anlass. Grundsätzlich aber ist das Finanzsystem weltweit nicht so stabil, wie es längst sein müsste.

Bild: imago
Im Interview: Gerhard Schick

leitet die Berliner Organisation Bürgerbewegung Finanzwende. Bis 2017 war er Finanzexperte der Grünen im Bundestag und trieb die Aufklärung des Cum-Ex-Skandals maßgeblich voran.

Nach der Finanzkrise 2008 sind die Regeln verschärft worden. Wieso ist die Krise wieder da?

An der Credit Suisse zeigt sich, dass die Lehren aus der Pleite der US-Investmentbank Lehman 2008 praktisch nicht umgesetzt wurden. So gibt es kein Gesetz, das Banken verkleinert und auseinandernimmt, obwohl wir wissen: Große Banken sind große Gefahren. Alle Banken müssen zwar mehr Eigenkapital einsetzen: drei Prozent des Geschäfts, Großbanken vier bis fünf Prozent. Doch das ist nicht ausreichend. 95 Prozent des Geschäfts sind damit immer noch schuldenfinanziert.

Und wie viel Eigenkapital müsste es sein?

Mindestens 10 Prozent. Und es müsste Richtung Realwirtschaft gehen, wo im Schnitt etwa 30 Prozent mit eigenem Kapital finanziert werden. Der Bankensektor ist da unsicher aufgestellt. Und das Ganze funktioniert nur, weil die großen Banken im Krisenfall damit rechnen, dass der Staat sie wegen ihrer Größe und Bedeutung rettet – wie jetzt in der Schweiz. Dieses Problem hat man schon in der Finanzkrise vor 15 Jahren gesehen, ist es aber dann nicht angegangen.

Dann ist die Notübernahme der Credit Suisse durch die Konkurrentin UBS falsch.

Sie schafft eine noch größere Bank, die noch gefährlicher für das Finanzsystem ist, wenn sie wackelt. Eine Abwicklung wäre richtig gewesen. Eine staatliche Plattform hätte statt der UBS die Credit Suisse übernehmen und Teile verkaufen können.

Es gibt seit der Finanzkrise 2008 einen Mechanismus, wie Banken in einem Krisenfall abgewickelt werden sollen. Warum wird der hier nicht genutzt?

Möglicherweise aus Angst, dass er nicht funktioniert. Denn große Banken haben Hunderte Auslandstöchter in unterschiedlichen Rechtsräumen, umfangreiche Bücher voller komplexer Anlagen. Und es gibt eine große Nähe zwischen Politik und Aufsichtsbehörden einerseits und Kreditinstituten andererseits. Dieses Wir-Gefühl – unsere Banken, unsere Sparkassen –, dieser Kuschelkurs ist auch in der deutschen Politik verbreitet. Auch Zentralbanken und Kreditinstitute sind sich sehr nahe.

Tatsächlich wiederholen Bundesregierung, Bankenaufsicht und Bundesbank ununterbrochen, wie sicher die deutsche Bankenlandschaft ist. Wie schätzen Sie die Branche ein?

Sie müssen beschwichtigen, Vertrauen schaffen. Aber: Grundsätzlich trifft auch Deutschland, was die Institute in den USA quält. Die Zentralbanken haben die Leitzinsen wegen der Inflation schnell erhöht. Die Kreditinstitute geben die Zinserhöhung nicht vollständig an die Sparer weiter, können gleichzeitig höhere Kreditzinsen nehmen, verdienen also besser. Aber langfristige, niedrig verzinste Anleihen sind im Wert gefallen. Das wird für diejenigen Institute zum Problem, die viele davon haben.

Und wie sieht die Lage in der Eurozone aus?

Die Bankenaufsicht ist inzwischen zentralisiert, das ist gut. Was immer noch fehlt, ist eine zentrale europäische Einlagensicherung und Bankenabwicklung mit entsprechenden Vollmachten, so etwas wie die FDIC (Federal Deposit Insurance Corporation) in den USA. Im Krisenfall sind in der EU nationale Behörden und Politiker zuständig. Wir müssen deshalb jetzt die europäische Bankenunion vollenden. Das muss Bundesfinanzminister Christian Lindner durchziehen.

Gerade Lindners FDP und damit Deutschland bremsen hier.

Die Bankenverbände sind dagegen, dann ist es oft auch die FDP. Ich hoffe, dass die Krise in den USA und die Probleme in der Schweiz den Widerstand in Deutschland lösen. Die Erfahrung zeigt, dass Veränderungen im Bankensektor nur in Krisenzeiten und bei öffentlichem Druck möglich sind. Also jetzt. Wir müssen eine handlungsfähige Institution aufbauen, die europaweit die Einlagen sichert, bevor wir sie brauchen.

Bleibt die Credit Suisse ein Einzelfall?

Die Finanzkrise vor 15 Jahren verlief in Schüben. Erste Hedgefonds hatten 2006 Probleme, erste Banken 2007, die Öffentlichkeit nahm die Krise erst mit der Lehman-Pleite 2008 richtig wahr. Wann und wo es diesmal weitergeht, ist zwar nicht seriös einschätzbar. Es nervt aber total, dass Politik und Zentralbanken behaupten, alles sei stabil. Faktisch ist das System nicht stabiler als 2008.

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7 Kommentare

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  • Die Fragen und Antworten sind etwas unspezifisch.

    1) Höhere Eigenkapitalquoten helfen nicht gegen einen Bankrun - Credit Suisse war nicht insolvent und auch nicht illiquid, aber bei letzterem bestand die Gefahr.

    2) Die Finanzkrise hat etwas verändert: mehrere 1000 Seiten zusätzliche Regulierung - was allgemein, auch und insbesondere von linker Seite, begrüsst wurde. Das Problem ist aber, dass nicht nur die Kapital- und Liquiditätsanforderungen höher wurden (was auch richtig war!). Vielmehr wurde das Ganze Regulierungssystem viel detaillierter und damit komplizierter. So werden a) Scheingenauigkeiten produziert und b) genau die kleineren Banken zum Verschwinden gebracht, die sich den "Wasserkopf" im Risk- und Compliance-Management nicht mehr leisten konnten.

    3) Seit der Finankrise müssen nicht-börsengehandelte Derivate (mithin Risikoabsicherungsinstrumente; also der Kern aller Verknüpfungen im internationalen Bankensystem) a) besichert und b) an ein zentrales Register gemeldet werden.

    Von daher stimmt die Aussage nicht, dass sich nichts verändert hat. Ohne diese Derivate-Melde- und Absicherungspflichten hätten wir nicht einen örtlich und zeitlich eng begrenzten Sturm, sondern ein weltweites Unwetter gehabt.

    Ansonsten stimme ich Tom Farmer zu: Entkoppelung von Retail- und Investmentbanken und Regulierung der Anreizstrukturen.

  • Es ist schwierig das Geld im Garten zu vergraben. Auch ich will mehr und bin daher mit das Problem. Vertrauen ist eine blinde Gabe, wie es scheint. Es ist wie im Glauben, Herr errette mich, nur viel realistischer Staat rette mich. Es ist wie am Mount Everest, ich gehe das Risiko ein, weil ein Sherpa zur Hand ist. Oder ein Heli. Das Zocken im Sport ist nicht anders als im Finanzkapitalismus. Es scheint eine anthropologische Konstante zu sein.

  • Das Finanzsystem soll doch nicht stabil sein, das wäre ja doof. Man zahlt ein Jahrzehnt lang Dividenden, Boni und Gewinne aus und dann kommt die „Krise“ in der man sich vom Staat refinanzieren lässt. Repeat…

    Im langjährigen Schnitt stammt ein großer Teil des Geldes dass da abfließt aus der staatlichen „Rettung“. Dieses System wäre ja schön blöd wenn es sich krisenfest machen würde, dann müßte man ja die komplette Kohle langfristig selbst erwirtschaften.

    Der personelle Kern dieses Systems verliert in der Krise kein Geld, die verdienen nur ein paar Jahre etwas weniger. Die Zocker bei den Banken verzichten mal kurz auf Bonis, die Investoren mal kurz auf die Dividende, die Investmentkunden nehmen den zeitweiligen Kursverlust hin und 3 Jahre später ist dank der Staatsknete wieder alles gut, man kann wieder damit beginnen dem System das Geld zu entziehen, das es eigentlich nie selbst erwirtschaftet hat.

    Das einzige was die Banken gelernt haben ist ihren eigenen Aktienkurs nicht zu sehr aufzublasen, die Blase bildet man jetzt lieber in den Portfolios der Kunden. Aus Sicht der Banker ist es ja auch egal wofür man sich den Boni genehmigt, aber da man nicht zu 100% sicher sein kann als Bank selbst gerettet zu werden, verlagert man das Risiko auf Millionen Kunden, da tut sich der Staat dann ganz schwer die nicht zu retten…

    Die Situation bei der Credit Suisse darf getrost als neues „Krisenmodell“ der Branche betrachtet werden. Aus einem Verlust von wenigen Milliarden den die CS in den eigenen Büchern machte wurden 50Mrd. Liquiditätshilfe. Man „hebelt“ die eigenen Verluste jetzt, was das System noch viel instabiler macht als es 2008 war…

    Die sind ja auch nicht doof bei den Banken und wenn der Staat da mit irgendwelchen Gesetzen kommt, dann fragen die sich ja nur wie sie das ins Gegenteil verkehren und noch mehr abzocken können. Dafür werden die ja auch bezahlt, es ist deren Job.

    Das hört erst auf, wenn man die nicht mehr „rettet“.

    • @Nafets Rehcsif:

      Bemerkenswerter Kommentar! Dankeschön dafür. Volle Zustimmng!

    • @Nafets Rehcsif:

      Bemerkenswerte Vorurteile die sie da haben.



      Überlegen Sie mal wer denn den Staaten Ihre Bonds vertickt und dann welchen Vorteil hat? Es gibt lieb gewonnene Symbiosen, daher brauchts Lösungen und keine Wutattacken.

  • Einer Vertrauenskrise hält kein System stand. Wenn ein Bank-run einsetzt geht jedes Institut in die Knie, egal welches EK gesetzlich vorgeschrieben ist. Daher scheint diese Forderung eher disziplinatorischen Charakter zu haben weniger Risiken einzugehen, eingehen zu können wenn 30% EK für Geschäfte vorgehalten werden müssen.



    Ich bin eher ein Fan eines straff geregelten Kapitalismus: Wer ne Hedge-Zocker-Krypto-Risikoanlagebank sein will, der soll das machen, mit Privatkohle, aber völlig abgetrennt von allem was Geschäftsbanken machen für Privatleute, Firmen, öffentliche Hand.



    Klar: egal was dort dann passiert, da wird nix gerettet. Wer denen sein Geld anvertraut steht allein da im Krisenfall. Ich denke, wie Herr Schick sagt, wenn ich weiß, ich werde gerettet, dann gehe ich höhere Risiken ein, als Bank wie als Kunde. Auf Kosten der Allgemeinheit.... und das gilt es zu verhindern.



    Fazit: Zwei Bankensektoren die komplett entkoppelt werden müssen. Die, die wir retten, die, die wir nicht retten.

    • @Tom Farmer:

      Das geht sicherlich in die richtige Richtung. Das Grundproblem wird dadurch aber nicht gelöst: Fristentransformationsproblem. Verbraucher sollten bei z.B. der Immobilienfinanzierung langfristige Zinsbindungen wählen, um Zinsänderungsrisiken bei Refinanzierung (Prolongation) abzuschwächen. Damit verlagert man das Problem aber zu den Banken, welche nun Verbrauchern langfristig Geld zu einem fixen Zinssatz bereitstellen. Andererseits müssen Banken steigende Zinsen an ihre Sparer zu mindestens teilweise weitergeben, um Wettbewerbsfähig zu sein. D.h. die Zinseinnahmen aus den vergebenen Krediten steigen nicht. Gleichzeitig steigen die Kosten der Geldbereitstellung durch die steigenden Sparzinsen. Worstcase: Kunden können idR ihr Geld kurzfristig von der Bank abheben, sodass die Spareinlagen nicht mehr die vergebenen Kredite decken.

      Auch mehr Eigenkapital löst das Fristentransformationsproblem nur bedingt.