Filmfestspiele von Cannes: Zwischen Show und Ernst
Cannes 3: Das Festival eröffnete mit einer französischen Komödie, erkundete dann den Mord an Aldo Moro – und empfing eine Botschaft von Selenski.
Auf dem renommiertesten Filmfestival der Welt kann es zur Eröffnung durchaus mal einen Zombiefilm geben. Kurz vor der Pandemie tat das in Cannes noch der US-Amerikaner Jim Jarmusch mit seiner Zombiekomödie „The Dead Don’t Die“, jetzt hat sein französischer Kollege Michel Hazanavicius die Komödie „Coupez!“ nachgelegt, in der Zombies ebenfalls eine Rolle spielen. Die Geschichte ist bei ihm jedoch vielschichtiger angelegt.
Man beobachtet ein Filmteam, das einen Zombiefilm dreht, bei dem nicht alles nach Plan läuft. Irgendwann tauchen neben den Zombiedarstellern „richtige“ Zombies auf und greifen an. Die Sache nimmt ihren blutigen Lauf. Auch diese Geschichte erweist sich bald darauf als weitere Ebene im Film, denn von da an erzählt „Coupez!“ die Vorgeschichte des Zombiefilms. Ein so albernes wie geschicktes Spiel mit den Möglichkeiten und Schwächen des Kinos, in dem man gegen Ende erfährt, wie es zu den diversen Pannen im anfangs gezeigten Film kam, Fehler, über die man sich zunächst gewundert hat, die im Nachhinein dann ihre Komik erhalten.
Mit „Coupez!“, der ursprünglich „Z (comme Z)“ heißen sollte, nach Beschwerden aus der Ukraine aber umbenannt wurde, hat Hazanavicius, der durch die Stummfilmhommage „The Artist“ (2012) bekannt wurde, eine japanische Vorlage verfilmt, „One Cut of the Dead“ von Shin’ichirô Ueda aus dem Jahr 2017.
Hazanavicius folgt dem Original, baut aber zusätzlich die Komplikationen in seine Geschichte ein, die sich ergeben können, wenn ein französischer Filmemacher für japanische Auftraggeber arbeitet. Kulturelle Missverständnisse und heutige Fragen der damit verbundenen Wokeness streift er ganz beiläufig. Ein unerwarteter, auf intelligente Weise unterhaltender Auftakt.
Bis heute nicht vollständig aufgeklärt
Ernster geht es hingegen beim italienischen Regisseur Marco Bellocchio zu, der mit „Esterno notte“ eine Miniserie zur Entführung und Ermordung des früheren Ministerpräsidenten Aldo Moro gedreht hat. Nach seinem Spielfilm „Buongiorno, notte“ von 2003 geht Bellocchio in dieser Fernsehproduktion, die außer Konkurrenz in Cannes Premiere feierte, über fünfeinhalb Stunden der Frage nach, wer eigentlich hinter der Ermordung Moros durch die Roten Brigaden steckte.
Der Fall gilt als bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Moro hatte sich als Ministerpräsident in den siebziger Jahren, als das Land von Terroranschlägen von links wie rechts erschüttert wurde, um eine Zusammenarbeit seiner Partei, der Democrazia Cristiana (DC), mit der linken Partito Comunista Italiano (PCI) bemüht und sich damit in beiden Lagern viele Feinde gemacht.
Bellocchio nimmt sich Zeit, um einzelne Protagonisten ausführlich zu betrachten. Steht in der ersten Episode Moro selbst, mit stiller Demut und Ruhe von Fabrizio Gifuni gespielt, noch im Zentrum, verschwindet er nach seiner Entführung praktisch aus der Serie und kehrt erst am Schluss in die Handlung zurück.
Dazwischen konzentrieren sich die einzelnen Folgen auf Beteiligte wie den Innenminister Francesco Cossiga (Fausto Russo Alesi), der ein politischer Ziehsohn Moros war, Moros Frau Eleonoara Chiavarelli (Margherita Buy), die zunehmend an der Unterstützung durch die DC-Parteifreunde Moros zweifelt, oder die Terroristin Adriana Faranda (Daniela Marra), die den Plan, Moro zu ermorden, ablehnt. Meistens langsam erzählt, zeigt Bellocchio die Gewalt der Demonstrationen oder der Entführung Moros, bei der dessen fünf Begleiter von den Roten Brigaden ermordet wurden, umso heftiger in dynamischen Bildern. Großes politisches Kino.
Noch ernster ging es schließlich bei der Eröffnungszeremonie zu, bei der neben den prominenten Gästen auf der Bühne ein weiterer prominenter Gast aus der Ukraine per Video zugeschaltet wurde: der Präsident Wolodimir Selenski. Dieser richtete an das Galapublikum die Worte: „Jeden Tag sterben Hunderte von Menschen. Sie werden nach dem Schlussapplaus nicht wieder aufstehen.“ Seine Frage „Wird das Kino schweigen oder darüber reden?“, verband er mit dem Appell: „Wir brauchen einen neuen Chaplin, der beweist, dass das Kino heutzutage nicht schweigt.“
Die Botschaft hinterließ bei aller Dringlichkeit einen zwiespältigen Eindruck: Zwar war es vom Festival richtig, mit Selenski ein Zeichen gegen den Krieg zu setzen. Dennoch wirkte er zwischen den Reden von Hollywoodstar Forest Whitaker, der eine Ehrenpalme erhält, und dem Einzug der Jury mit ihrem Präsidenten, dem französischen Schauspieler Vincent Lindon, fast wie ein weiterer Starauftritt. Die Grenze zwischen Ernst und Show verschwamm darüber.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz