Film „Hinter den Augen die Dämmerung“: Wo die Bilder wie auf Drogen wirken
Der Debütfilm „Hinter den Augen die Dämmerung“ von Kevin Kopacka feiert den Siebziger-Jahre-Horror. Fern der Filmförderung erlaubt er sich so einiges.
Dieter und Margot: Das sind zwei Namen, wie man sie eher nicht aus dem Horrorfilm-Bilderbuch kennt. Aber da sind sie, im Auto, auf der Fahrt durch die Nacht. Sie kommen ins halb verfallene Schloss, Margot, ist den Dialogen zu entnehmen, hat es geerbt. Zwielicht liegt in den Räumen, finster geht es hinab in den Keller, Staub über den Möbeln – hier quietscht es, da knarrt es, auch ein Geist oder dergleichen scheint umzugehen.
Dieter, ein Rechthaber vor dem Herrn, hat drunten den Autoschlüssel verloren und traut sich nicht, dort zu suchen, da beschließen die beiden, die Nacht im Schloss abzuwarten. Kein trautes Paar, es schwelen Konflikte, dass sie ihm dann – Achtung, halb schlimmer Spoiler – den Penis abreißt, kommt dennoch unerwartet.
Der Film stellt die Zeichen auf Giallo, zum europäischen Genre-Trash der siebziger Jahre, der die Grenzen des guten Geschmacks souverän unterschreitet. Schon der massiv und barock über das Schloss gelegte Titelschriftzug (und natürlich der Titel) spielt darauf an, und zwar deutlich. Überhaupt liegt das Subtile, siehe Penis, diesem Film nicht.
Die Beleuchtung ist künstlich, viele der Bilder mit ihrem Leuchten und gelblichem Schimmer und harten Hell-Dunkel-Kontrasten sehen aus und wollen auch entschieden so aussehen, als seien sie gemalt. Ganz klar: Hier geht es einem nicht darum, die Wirklichkeit einzufangen. Hier nimmt sich einer eine Bild- und Film-Tradition und stellt selbstbewusst damit etwas an.
„Hinter den Augen die Dämmerung“ (D 2021, Regie: Kevin Kopacka). Die DVD ist ab rund 13 Euro im Handel erhältlich.
„Hinter den Augen die Dämmerung“ ist das Spielfilmdebüt des 1987 geborenen österreichisch-srilankischen Regisseurs Kevin Kopacka, der an der Universität der Künste studiert hat, einige Werbefilme gedreht hat und neben dem Filmemachen auch malt. Die mal figurativen, mal fast oder ganz abstrakten Gemälde gehen oft ins unheimlich Surreale, verwischte Konturen, leere Gesichter, diffuses Licht, etwas ist unbestimmt nicht geheuer.
Ins fast Abstrakte, ins entschieden Künstliche zielende Stimmungsmalerei ist denn auch das, was Kopacka in seinem Spielfilm versucht, was ihm in sehr eindrucksvollen Sequenzen immer wieder gelingt.
Den Horror-Rahmen sprengen
Für abendfüllend hält er das aber nicht. Und so steckt die Erzählung voller unerwarteter Twists. Nicht der Spannung wegen, auch wenn es Bedrohliches gibt, auch horrorfilmtypische Jump Scares. Nach der ersten halben Stunde mit Margot und dem dann schwanzlosen Dieter wird der Horror-Rahmen zerbrochen. Der Film bleibt im Schloss, aber springt heraus aus dem Film zum Dreh dieses Films, wechselt also das Genre. Anders als man denken sollte, ist der Horror damit noch nicht vorbei. Der Spuk geht weiter, auch wenn nun der Regisseur des Films und seine Freundin/Produzentin ins Zentrum geraten.
Der Rahmenbruch wird zur Gelegenheit weiterer Grenzüberschreitung. Drogenparty, Hexensabbat, auch die Bilder benehmen sich, als hätten sie Acid geschluckt: Unschärfen, Schlieren, Kameramann Lucas Dolgner zeigt, was er kann. Die Platte läuft aus der Rille, der Plattenspieler fängt Feuer, nackte Körper winden sich wie direkt aus Lucio-Fulci-Horrorsleaze der Siebziger importiert, kurzum: Der Hund wird sehr stimmungsvoll in der Pfanne verrückt.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Hinter den Augen die Dämmerung“
In seiner Nische war und ist „Hinter den Augen die Dämmerung“ ein Riesenerfolg. Auf einschlägigen Festivals – Dracula Film Festival, Be Afraid Horror Fest et cetera pp. – international vielfach ausgezeichnet. Der Film hatte sogar kleine Kinostarts in Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Sehr reges Leben und Nachleben für eine so eigenwillige Produktion abseits des Filmförder-Mainstreams. Gäbe es im deutschen Kino doch mehr von solchen nicht runden, aber aufs Angenehmste beknackten Sachen.
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