Film „Der Brutalist“: Erschaffung einer neuen Grammatik der Architektur
„Der Brutalist“ von Brady Corbet ist zehnfach Oscar-nominiert. Der Film zeigt, wie sich Kapitalismus und künstlerische Ambitionen gegenüberstehen.
Die Parallelen zwischen der Biografie von Libeskind und der Hauptfigur des „Brutalisten“, László Tóth, sind tatsächlich verblüffend. Beide sind jüdische Osteuropäer, die nach Amerika kamen, um hier als Architekten ihr Glück zu machen. Beide sind im Getriebe von Geld und Macht aufgerieben worden und wurden dazu gezwungen, ihre Visionen bis zur Unkenntlichkeit zu verraten. Libeskind in New York am Ground Zero, László Tóth mit seinem brutalistischen Megaprojekt in einer Kleinstadt in Pennsylvania.
Ganz besonders nahe habe sich Libeskind dem von Adrien Brody brillant gegebenen Tóth jedoch gefühlt, als dieser mit seinen Entwürfen zunächst auf völlige Verständnislosigkeit traf. Entwürfe, die für Tóth, wie seine Tochter am Ende des Films, auf sein Lebenswerk zurückblickend, sagt, Ausdrücke des sublimierten Traumas des Holocaust gewesen seien.
Libeskind musste dabei an seinen Entwurf für das Jüdische Museum Berlin denken, das von sogenannten „Voids“ durchzogen ist. Schächte und Hohlräume, die die Leere erfahrbar machen sollen, die der Holocaust hinterlassen hat – sowohl die Leere im kulturellen und sozialen Leben Europas als auch die Leere in der Seele der Menschheit.
„Der Brutalist“. Regie: Brady Corbet. Mit Adrien Brody, Felicity Jones u. a. Vereinigtes Königreich/USA/Ungarn 2024, 215 Min.
Man kann die Voids im ansonsten dekonstruktivistischen Berliner Bau Libeskinds, wenn man will, als brutalistische Zitate sehen, mit den nackten Betonwänden, die für den Brutalismus charakteristisch sind, aber auch in dem Anspruch, eine „totale Umgebung für den Menschen“ zu schaffen, wie der Brutalismustheoretiker Reyner Banham eines der zentralen Ziele des Brutalismus formulierte. Ziele, die er etwa in ikonischen brutalistischen Bauten wie der Unité-Wohnanlage von Corbusier in Marseille verwirklicht sieht oder in den Golden Lane Houses des Architektenpaars Smithson in London.
Reaktion auf Auschwitz
Libeskind identifiziert sich nicht nur mit dem Architektenhelden des Films, Tóth. Ganz offenbar fühlt er sich auch durch den Film darin bestätigt, dass die brutalistische Ästhetik eine Reaktion auf den Holocaust ist, vielleicht sogar die einzig angemessene Art des Bauens nach Auschwitz. Es ist eine kühne These, die so eindeutig in der Architekturgeschichte noch nicht vorgebracht wurde.
Rein oberflächlich betrachtet führen jedenfalls keine direkten Entwicklungslinien von der Holocausterfahrung zum Brutalismus. Die erste programmatische Verwendung des Begriffs „Brutalism“ oder „New Brutalism“ kam im England der 50er Jahre auf, wo sich junge Architekten gegen den nach dem Krieg gängigen Rückgriff auf eine pittoreske Niedlichkeit wendeten, die unter dem Namen des „New Humanism“ den dringend benötigten sozialen Wohnungsbau bestimmte.
Anders als etwa in Deutschland, wo man sich sofort auf die Ideale des Bauhauses und der Neuen Sachlichkeit bezog, hatte man in England Sehnsucht nach vormoderner Idylle.
Rohre und Leitungen freigelegt
Der Widerstand gegen diesen „New Humanism“, insbesondere durch das Architektenpaar Smithson, wollte jedoch weiter gehen, als bloß die Ideale von Gropius, Hannes Meyer oder Ernst May zu verwirklichen. Es war vielmehr eine Radikalisierung der Moderne der 20er und 30er Jahre. Der Brutalismus wollte den Funktionalismus auf die Spitze treiben. Rohre und Leitungen wurden freigelegt, Baustoffe blieben unbehandelt.
Der Bewohner oder Besucher sollte die unmittelbare Erfahrung haben, wie Beton aussieht, wie er riecht, wie er sich anfühlt. Zudem wollten die Smithsons, dass sich der Grundriss, das Konzept des Baus auf den ersten Blick erschließt. Der Bau sollte sich unmittelbar als Bild einprägen.
Der Geist des Brutalismus lag freilich schon in der Luft, als die Smithsons den Begriff prägten. Corbusier hatte schon in den 40er Jahren den Beton entdeckt und damit seine berühmte Kapelle in Ronchamp gebaut. Dubuffet provozierte das Pariser Publikum mit seiner „Art Brut“, die traditionelle Normen der Ästhetik auf den Kopf stellte. Und in den USA sprengte Jackson Pollock mit seinem Action Painting den Rahmen dessen, was bislang als Malerei empfunden wurde.
Rebellion gegen die bürgerliche Behaglichkei
In all dem spiegelte sich ein bestimmter existenzialistischer Zeitgeist wider, ein „je-m’en-foutisme“, wie Banham die Attitüde nannte, die zweifellos mit dem Lebensgefühl der Nachkriegszeit zu tun hatte. Ganz entschlossen rebellierte diese Künstler- und Architektengeneration aber ebenso dagegen, dass man sich allzu rasch wieder in einer bürgerlichen Behaglichkeit eingerichtet hatte.
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Trailer „Der Brutalist“
Doch der Brutalismus hatte nicht nur ikonoklastische und rebellische Züge, er konnte auch utopistisch sein. So schreibt Banham, dass neben der Betonung des Materials die zentrale Charakteristik des Brutalismus ein erweiterter Raum- und somit Architekturbegriff insgesamt war. Dem Brutalismus ging es nicht darum, durch Strukturen definierte Räume zu schaffen. Es ging vielmehr darum, eine mit allen Sinnen erfahrbare Umwelt zu schaffen.
Das ist es, was Tóth in Corbets Film antreibt und was wohl Libeskind auch bei der Konzeption des Jüdischen Museums in Berlin motiviert hatte. Vielen frühen Brutalisten wurde deshalb, wie im Film Tóth, vorgeworfen, dass sie die Grundbegriffe der Architektur nicht verstünden. Banham hält dem entgegen, dass sie dabei waren, eine neue Grammatik der Architektur zu schaffen.
Ein Schritt nach vorn
Dass der Film behauptet, dies sei allein eine Reaktion auf den Holocaust gewesen, ist sicher reduktiv. Aber es steht außer Zweifel, dass die Nachkriegszeit nach einem neuen künstlerischen und architektonischen Vokabular verlangte. Und anders als der Rückgriff auf die 20er Jahre, der etwa in Deutschland vorherrschte, war der Brutalismus in diesem Zusammenhang tatsächlich ein Schritt nach vorne.
Das Visionäre am Brutalismus, so suggeriert der Film, wird im Kontext des US-amerikanischen Kapitalismus jedoch wortwörtlich vergewaltigt. Wie vorher die Ideale des Bauhauses verkommt er zum vermarktbaren Designtrend, mit dem sich die Klasse der Besitzenden schmückt, ohne die Ideen zu begreifen, die dahinterstecken.
Die Wirklichkeit ist komplizierter. Marcel Breuer, der am ehesten als Vorbild für die Figur Tóths gelten kann, hatte anders als Tóth nicht den Holocaust in Deutschland erlebt. Er emigrierte 1935 nach London und wurde 1937 von Gropius an die Harvard School of Design geholt. Das Whitney Museum an der Madison Avenue in New York, sein berühmtester brutalistischer Bau, wurde anfangs sicher ob seiner harten und vermeintlich kontextsprengenden Ästhetik geschmäht. Heute haben New Yorker es jedoch längst ins Herz geschlossen und als Baudenkmal der Stadt adoptiert.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie mehr als 50 Jahre lang erleben konnten, wie die Raumidee des Brutalismus Meisterwerke der modernen Kunst zum Leben und Atmen bringen konnte. Dass für den ungarischen Juden Breuer dabei, wie indirekt auch immer, der Holocaust und der Zivilisationsbruch des 20. Jahrhunderts eine Rolle gespielt haben könnte, kam dabei sicher nur den wenigsten in den Sinn.
Aber vielleicht möchte der Film auch gar nicht den Holocaust als singulären Ursprung für eine architektonische Stilrichtung behaupten. Vielleicht sollte man aus ihm vielmehr die Notwendigkeit für ästhetische Aufbrüche nach 45 herauslesen. Und ebenso für ihre Anfälligkeit dafür, im ewigen Fluss des Konsumkapitalismus zur Banalität zu verkommen.
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