Fidel Bastro Records: Eigensinn in extremo
Das Hamburger DiY-Label Fidel Bastro ist eine Bastion für musikalische Randgruppen von Noise bis Industrial. Eine Würdigung zur 100. Veröffentlichung.

Es gibt kein richtiges Leben im Falschen, höchstens ein lautes. Noiserock war Ende der 1980er, Anfang der 1990er eine Variante des Soundtracks zum Untergang: übersteuerte Gitarren, Keksdosen-Schlagzeug, massiver Grollbass und stark verzerrtes Gekeife, das Psychotisches suggerierte. Die Untergangsbewegung war hier oft der Strudel in den Abgrund eines an sich und der Welt irre gewordenen Ichs, das auf dem Weg nach unten noch möglichst viele anschreien und sich unbedingt mitteilen wollte.
Das US-Label Amphetamine Reptile hatte es vorgemacht: Die Stimmung in Noiserocksongs war oft heiter, obwohl edgy und doch frei drehend gelöst. Man ließ es laufen, das Innerste zuerst. Inzwischen ist die Party weitgehend vorbei, nur die US-Noiserockpioniere Jesus Lizard touren ab und an noch und die Melvins waren nie weg. Und doch ist ein Noiserockrevival bislang ausgeblieben. In Hamburg braucht es auch keins.
Von hier aus ballert eine kleine Zelle immer weiter unbeirrt anstrengende Musik in die Welt. Das Label Fidel Bastro um den Sänger, Schlagzeuger und Gitarristen Bernd Kroschewski veröffentlicht jetzt die Katalognummer 100, ein Album mit Stücken der Hamburger Band Stau.
In angemessener Lautstärke
Die Musik von Stau macht so etwas wie einen klanglichen Kern der Labelgeschichte aus. Instrumente und Stimme geifern und röcheln gewaltig, und wenn man diesen Lärm in angemessener Lautstärke hört, fühlt man sich, als sei ein Planierraupenfahrer mit seiner Baumaschine manisch grölend mehrmals über einen rübergefahren.
Stau eignen sich perfekt als Einstieg in die Labelveröffentlichungen. „Das waren vier extrem charismatische, seltsame Vögel, die auf der Bühne was gebaut haben, das schwer in Worte zu fassen ist“, erzählt Bernd Kroschewski. „Jim, ein verrückter Trommler aus Detroit, und Thomas, der Bassist, haben sich fast jeden Abend zum Proben getroffen und so präzise reingeprügelt, das klang unfassbar.“
Darüber legten sich infernalische Gitarrengeräusche und das manische Gebrabbel des kürzlich verstorbenen Sängers Eckat Lohse. Die Musik von Stau ist maximal fordernd. „Echt harte Typen auf der Bühne, aber eigentlich totale Herzchen. Diese ganzen furchtbaren Geschichten in den Texten, das hat Eckat so erlebt, der hat wirklich einen Schicksalsschlag nach dem anderen verdaut. Das haute einen wirklich um.“
Popgeschichte zerschreddern
Ein zweiter Einstieg ins Fidel-Bastro-Universum sind Live-Videos von Kroschewskis Band Boy Division, die seit gut 30 Jahren Klassiker der Rock- und Popgeschichte zerschreddern. Und das in verschiedenen Kontexten: Konzerte, Theaterperformances, Straßenmusik. Alljährlich spielt die Band auf dem Schiff MS-Hedi, Ausschnitte des Konzertdebüts sind auf Youtube zu finden.
Eine Coverversion von Tears for Fears’ „Mad World“, infernalisch und bedeppert schön. „Verzerrer an, dreimal so schnell, Soli und Scheiß weglassen, fertig.“ Fidel-Bastro-Humor ist derbe, eigen und kündigte sich bereits im Fanzine Heft an, eines der lustigsten Fanzines der Neunzigerjahre. Um das Verhältnis dieses Konglomerats zur Hamburger Schule zu beschreiben, kursiert für den Kreis ums Label der stolze Begriff „Hamburger Sonderschule“. Die Wortherkunft lässt sich nicht mehr verifizieren, aber es ist liebevoll gemeint.
Auch wenn Musik und Haltung näher am Punk und Hardcore zu verorten sind und auf Fidel-Bastro-Abenden vermutlich mehr gesoffen wird als auf anderen, ist die Ausstrahlung von alldem nie antiintellektuell. Dazu waren die Label-Veröffentlichungen auch viel zu experimentierfreudig.

Seltsames Nicht-Verhältnis
Das seltsame Nicht-Verhältnis des sendungsbewussten Schlaumeiertums der Hamburger Schule und der Sonderschule nebenan wurde bei der Debatte um das Erbe der Musik aus Hamburg noch einmal deutlich. Fidel Bastro blieb bei den Kämpfen ums kulturelle Kapital unerwähnt und Kroschewski hat sich auch nicht daran beteiligt. „Einige haben sich richtig manisch reingesteigert. Ich saß vorm Rechner und dachte nur, lasst doch mal gut sein jetzt.“
Fidel Bastro war nur lustiger und offener als vieles sonst aus Hamburg. Noiserock bildet den Kern, von da ausgehend hatte sagenhaft viel Platz. Vertrackter Jazzcore (Ilse Lau), Unheilbarer Lärm (Happy Grindcore), Zeitlupen-Country-Tapeloops (Halb), abstrakter Postrock (die erste Label-Veröffentlichung war das Gastr-del-Sol-Debüt „A Serpentine Similar“), Lo-Fi (das aktuelle Soloalbum des Mutter-Sängers Max Müller), Hamburger-Schule-Musik („These Rooms Are Made For Waiting“ vom Trio Sport).
Was diese Werke über alle Dissonanzen und Eskapaden hinweg verbindet, ist ihr ausgeprägter Eigensinn, der damit auch den Wesenskern von Fidel Bastro bildet. Hier stimmt es wirklich mal mit DiY, die einem aber nicht als entbehrungsreiche Heldenerzählung entgegenkommt, sondern als heitere Scheißegal-Haltung.
Stau: „Stau“ (Fidel Bastro/Broken Silence)
Boy Division: „III“ (Fidel Bastro/Broken Silence)
Fidel Bastro Labelabend, 16. Mai 2025, „Komet“, Hamburg, Überraschungsgäste, DJ Wuchtbrumme u. v. a.
Ein Album der geschätzten Melvins wollte Kroschweski nicht veröffentlichen, weil das halt eine schlechte Platte war (die kam dann auf Amphetamine Reptile raus). Was sich an zarten Chancen auf Erfolg anbot, wurde intuitiv treffsicher torpediert. Geld verdient mit dem Label niemand. „Ich sag das den Bands immer: Wenn ihr viel verkaufen wollt, geht woanders hin.“ Künstlerische Freiheit entsteht hier aus dem Wissen, dass man auf den schönen Quatsch finanziell nicht angewiesen ist. Voraussetzung ist ein Brotjob. Die entfremdete Arbeit erlaubt mehr Autonomie in der Kunst.
Führt man sich vor Augen, in welchen kulturindustriellen Zusammenhängen Menschen gemeinsam konsequent ihren eigenen Interessen nachgehen können, bleibt nicht viel. Irgendwann muss ein Förderantrag gestellt werden, Markenbildung betrieben oder was der Markt an Unheil eben sonst noch verlangt. Im Programm von Fidel Bastro kann man etwas finden, das die schönsten Aspekte von Punk bis heute weiterführt und ins musikalisch Offene schubst.
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