Feuerpause in Gaza: Rückkehr in Ruinen

Nach dem Rückzug von Israels Armee wird das Ausmaß der Zerstörung in Gaza sichtbar. 14 Prozent aller Häuser sind zerstört oder beschädigt, etwa 100.000 Palästinenser sind obdachlos.

Wer weder bei Hamas noch bei Fatah organisiert ist, der wird es beim Wiederaufbau seines Hauses noch ein bisschen schwerer haben. Bild: ap

Die arabischen Staaten wollen den Palästinensern im Gazastreifen helfen, ihre zerstörten Häuser, Schulen und Werkstätten wieder aufzubauen. Bedingung für die Finanzierung größerer Infrastrukturprojekte sei aber eine politische Einigung zwischen der Hamas und der Fatah, erklärte der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mussa, am Dienstag zum Abschluss eines zweitägigen Wirtschafts- und Sozialgipfels in Kuwait.

Bis dieses Ziel erreicht sei, will sich die Liga finanziell nur an der von den Vereinten Nationen und anderen internationalen Hilfsorganisationen geplanten humanitären Soforthilfe für die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen beteiligen. Saudi-Arabien versprach eine Soforthilfe in Höhe von einer Milliarde Dollar. Strittig ist nach Angaben arabischer Diplomaten bislang, wer die von den arabischen Staaten versprochenen Hilfsgelder erhalten und verteilen soll: die von der Abbas-Fraktion kontrollierten Behörden in Ramallah oder die von der Hamas kontrollierten Behörden im Gazastreifen? Um dies zu entscheiden und um die bilaterale Hilfe der einzelnen Länder zu koordinieren, soll auf Wunsch des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak Mitte Februar eine internationale Gaza-Geberkonferenz in Ägypten stattfinden. Auf eine gemeinsame Erklärung zum Krieg in Gaza konnten die arabischen Staaten sich aber nicht verständigen. Syrien und Katar gelten als Hamas-freundlich, Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien als Hamas-feindlich. GB

Tag zwei der Feuerpause in Gaza. So könnte man sich das Ende der Zeit vorstellen. Im Tawam-Viertel in Gaza-Stadt geht vor einer Silhouette zerstörter Häuser gerade die Sonne unter. Im Vordergrund, an einer Stelle so groß wie zwei Fußballfelder, steht kein Stein mehr auf dem anderen. Dort hat sich eine Gruppe von Menschen versammelt, um in den Trümmern nach dem zu suchen, was von ihrem ohnehin armseligen Leben übrig geblieben ist.

Was sie gefunden haben, laden sie auf einen Eselskarren. Sie müssen sich beeilen, bald ist es ganz dunkel, und dann müssen sie zurück in einer der UN-Schulen sein, die ihnen seit dem Beginn des Krieges Schutz und nun nach dessen möglichem Ende Unterschlupf bietet. Ab sieben Uhr abends werden die Pforten dort dichtgemacht. Eine Familie hat Ziegel gesammelt, sie aufeinandergestapelt und darüber ein Wellblech gelegt. Darunter sitzen sie nun und kochen Tee in einem verbeulten Kessel. Sie erzählen, dass sie hier zwar im Moment nicht wohnen können, aber zumindest tagsüber wollen sie Präsenz zeigen, wohl auch aus Angst, jemand anderes könnte ihnen diesen Ort, an dem einmal ihr Haus stand, streitig machen.

Inzwischen ist der Eselskarren beladen. Nur mühsam und langsam kommt er auf dem von israelischen Panzerketten aufgewühlten Boden vorwärts. Der aufgeladene entwurzelte Guavenbaum, der statt Kochgas als Brennstoff dienen soll, verrutscht. Eine aus Rattan geflochtene Babywiege fällt herunter. Wie sortiert man nun sein Leben in Gaza neu? Erst jetzt wird den Menschen das ganze Ausmaß der Zerstörung klar. Viele waren in den ersten Tagen des Krieges aus ihren Häusern geflohen, besonders dort, wo, wie in Tawam, die israelische Armee in den Gazastreifen vorgerückt war.

Als die Waffen schwiegen und sich die Armee wieder an die Grenzen des kleinen palästinensischen Landstrichs im südöstlichsten Teil des Mittelmeeres zurückgezogen hatte, trauten sich die Menschen erstmals wieder auf die Straße und zu ihren Häusern zurück.

Einer von ihnen ist der palästinensische Kameramann Anas Rihan. Sein Haus, oder besser gesagt das, was davon übrig geblieben ist, steht am Rande Tawams. Bei der Hausführung schüttelt er immer wieder fassungslos den Kopf. Ein Teil der Fassade wurde von einer Panzergranate weggeschossen. So hatten sich die israelischen Soldaten, die sich hier ein paar Tage verschanzt hatten, einen besseren Überblick verschafft. Damit deren Blick möglichst weit reicht, hatten sie mit Bulldozern gut hundert Meter um das Haus den Boden umgewühlt. "Das war einmal unser Garten, dort standen unsere Orangen- und Olivenbäume", sagt Anas, als er in diese Richtung deutet.

Drinnen bietet sich ein Bild der totalen Verwüstung: ein Computer, Matratzen, Spielsachen, Küchenutensilien - alles ist wild durcheinandergeworfen. "Wir haben das Haus am zweiten Tag des Krieges verlassen, als die Israelis begannen, diese Gegend zu bombardieren, als wollten sie uns die Botschaft schicken: los, haut ab", erzählt Anas, der hier vorher zusammen mit seiner Frau, seinen zwei Kindern, seiner Schwester und seinen Eltern wohnte. "Als ich jetzt nach 20 Tagen zurückkam, habe ich das vorgefunden. Ich habe als Kameramann in Gaza schon viel gefilmt, aber ich hätte nicht gedacht, dass ich eines Tages mein eigenes völlig zerstörtes Haus filmen werde", führt er fort.

Wie es weitergehen soll, weiß Anas auch nicht. "Wie soll es Frieden geben nach dieser Zerstörung. Trotzdem hoffe ich, dass es ruhig bleibt, dass die Grenzen zum Gazastreifen geöffnet werden und dass wir irgendwann vielleicht einmal wieder ein normales Leben führen können", sagt er. Wie er sein Haus wieder aufbauen will, weiß Anas im Moment noch nicht. Schon allein mit dem Zement dürfte es schwierig werden. Auf der Fahrt von Rafah nach Gaza kommt man zu rechter Hand an der einzigen Zementfabrik des Gazastreifens vorbei.

Jetzt, nach dem israelischen Angriff, sieht es dort eher aus wie auf einem überdimensionalen Schrottplatz. Von den Zementsilos ist kaum mehr etwas übrig. Die Wucht der Explosionen hat dazu geführt, dass die großen schweren Zementmischlaster dort umgedreht wie Käfer auf dem Rücken liegen, fasst wie Spielzeuglaster, die ein wütendes Kind umgeworfen hat. Selbst mit dieser Fabrik war es zuvor schwer, im Gazastreifen Baumaterial zu finden. Nach der seit 18 Monaten andauernden israelischen Wirtschaftsblockade fehlt es an Zement, Holz und Glas.

Erste unabhängige Schätzungen beziffern die Schäden nach der dreiwöchigen israelischen Offensive auf fast zwei Milliarden Dollar, 1.500 Werkstätten, 20 Moscheen, 31 Polizeistationen, zehn zentrale Wasser- und Abwasserleitungen und 4.100 private Häuser wurden zerstört. Dass das Haus von Anas mit in dieser Statistik auftaucht, ist ihm nur ein schwacher Trost. Er gehört weder der palästinensischen Hamas noch der rivalisierenden Fatah-Organisation an, und das, fürchtet er, wird sich negativ auf den Wiederaufbau seines Hauses auswirken.

Im Moment geben trotz der israelischen Behauptung, die Hamas schwer getroffen zu haben, immer noch die Islamisten den Ton in Gaza an, wie der bärtige Verkehrspolizist im Zentrum Gazas bezeugt. Das erste Anzeichen wieder auf die Straße zurückgekehrter "staatlicher" Hamas-Macht. Aber auch deren Konkurrenz, die Fatah des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas, wird versuchen, mit Geldern für den Wiederaufbau die Machtverhältnisse im Gazastreifen durch das Schaffen neuer Loyalitäten umzukehren. Der Wettkampf um den Wiederaufbau ist bereits vorgezeichnet. Anas hat die Schnauze voll von diesen Spielchen, aber er ist auch realistisch. "Wenn du weder für die einen noch die anderen bist", sagt er, "dann baut nur Gott dein Haus wieder auf."

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