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Festnahme von Telegram-Gründer DurowOhne Telegram wäre Russland hilflos

Regimefreunde und Regimekritiker gleichermaßen sind für freie Kommunikation auf die App angewiesen. Sie sorgen sich, wie es jetzt weitergeht.

Protest vor der französischen Botschaft in Moskau: Freiheit für Pavl Durow Foto: Yulia Morozova/reuters

Moskau taz | Selbst russische Mom­flu­en­ce­r*in­nen sind plötzlich aufgeschreckt. „Durow ist im Knast! Wo können wir uns nur austauschen?“ Ähnlich Alarmistisches ist auch bei russischen Pro­pa­gan­dis­t*in­nen zu lesen. Oppositionell eingestellte Russ*innen, viele von ihnen im Exil, fordern „Freiheit für Durow!“ Und selbst das russische Außenministerium setzt sich für die Freilassung von Pawel Durow ein.

Der 39-Jährige, der neben seiner russischen auch die französische Staatsbürgerschaft besitzt und seit Jahren in Dubai lebt, war am Samstagabend in Paris festgenommen worden. Er soll sich geweigert haben, mit den französischen Behörden zusammenzuarbeiten, heißt es. Telegram weist jegliche Vorwürfe als „absurd“ zurück und behauptet, alle geltenden europäischen Regeln einzuhalten.

Im Jahr 2014 waren es russische Justizbehörden, die Durow mit der Festnahme gedroht hatten. Der Telegram-Gründer verließ daraufhin Russland. 2018 tat die russische Medienaufsichtsbehörde einiges, um Telegram in Russland zu sperren. Der windige Durow und sein Bruder Nikolai schafften es, die Blockierungen zu umgehen. Nicht nur in libertären Kreisen wurden sie damals dafür gefeiert.

Die große Einigkeit zwischen kremlloyalen Pro­pa­gan­dis­t*in­nen und russischen Oppositionellen mutet in diesen Tagen fast schon grotesk an. Doch sie alle hätten durch eine befürchtete Verschlechterung der Nutzung einiges zu verlieren. Die Telegram-App funktioniert eigentlich wie Whatsapp. Und doch ist sie mehr. Die Kommunikation lief von Anfang an verschlüsselt, durch seine „Kanäle“ ist Telegram zu einer Art Medium geworden. 35 Millionen Nut­ze­r*in­nen soll es allein in Russland geben, weltweit nach Angaben von Telegram 950 Millionen.

Festnahme als Schlag

Ohne Telegram funktioniert in Russland keine Berichterstattung. Jedes unabhängige Medium bewirtschaftet seinen eigenen Informationskanal. Auf andere legale Weise ist dies durch die Zensurgesetze seit März 2022 unmöglich. Auch einzelne Jour­na­lis­t*in­nen nutzen den Dienst, um die Menschen darüber zu informieren, was im staatsnahen russischen Fernsehen nicht gezeigt wird.

Videos aus Gerichtssälen, wo wieder einmal jemand wegen „Diskreditierung der russischen Armee“ zu Jahren hinter Gittern verurteilt wird, finden sich hier genauso wie Aufrufe, Politgefangenen Briefe zu ­schreiben. Da russische Behörden soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram gesperrt haben und mittlerweile auch ­Signal oder Whatsapp sowie Youtube immer wieder blockieren, em­pfinden Telegram-Nutzer die Festnahme Durows als Schlag. Sie nennen das ein „Geschenk an Putin“.

Genauso wie unabhängige Jour­na­lis­t*in­nen nutzen allerdings auch Propagandist*innen, die der Ukraine den Tod wünschen, Telegram. Sie teilen Videos von Zerstörungen, unterlegt mit menschenverachtenden und hetzerischen Aufrufen. Wie auch in Europa nutzen zudem Is­la­mis­t*in­nen die geschlossenen Chats, um Verbrechen zu planen, oder Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ke­r*in­nen, um ihre Theorien zu verbreiten. Auch die russische Armee kommt kaum ohne Telegram aus: Die App ist das Kommunikationsmittel schlechthin zwischen einzelnen Einheiten.

Auch in diesem Lager ist jetzt die Sorge groß. Deshalb schreiben sie oft, dass Durow einen Fehler gemacht habe, Russland – „das freieste Land der Erde“ – einst verlassen zu haben. Oder wie es der einstige russische Präsident, Dmitri Medwedew ausdrückt – selbstredend in seinem Telegram-Kanal: „Durow wollte ein genialer Weltenbürger sein, der auch ohne sein Vaterland bestens leben kann. Er hat sich verrechnet.“

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8 Kommentare

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  • Im Smartphone-Zeitalter sind Messenger mit verschlüsselter Kommunikation quasi die Fähigkeit zu tuscheln und zu flüstern - essenziell für die freie Meinungsäußerung. Dass auch zwielichtige Menschen flüstern, ist doch kein Grund, den ganzen Kommunikationsmodus zu verbieten zu wollen.

  • Der Artikel enthält leider einen gravierenden inhaltlichen Fehler: Telegram wird als „von Anfang an verschlüsselt“ bezeichnet.

    Hier wird Transportverschlüsselung und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in einem Topf geworfen. Ersteres bedeutet nämlich nur, dass zwar die Nachrichten auf dem Weg zu Telegrams Servern verschlüsselt sind, dort aber zumindest von den Betreibern gelesen werden können. Bei Ende-zu-Ende-Verschlüsselung können nur die Parteien die Nachrichten entschlüsseln, die direkt miteinander kommunizieren. Telegram bietet zwar auch Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Diese muss aber explizit aktiviert werden, funktioniert nur auf einem Gerät und Kryptolog*innen bewerten die dort eingesetzten Verfahren als mangelhaft.

    Das unterscheidet Telegram massiv von anderen gängigen Diensten wie Signal, WhatsApp, Threema, die ausschließlich auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung setzen. So betrachtet ist Telegram in puncto Sicherheit absoluter Müll.

    • @motdin:

      Eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist immerhin möglich. Telegram nennt es irritierendeweise "Geheim-Chat", und der user muss es gesondert einstellen — in der default-Version ist die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht aktiviert!



      Insbesondere gilt jedoch, dass dies für Gruppenchats expressis verbis nicht möglich ist. Sprich Gruppenchats sind "unterwegs" lesbar.

  • Vor einigen Jahren wollte selbst die russische Regierung Telegram abschalten - der Versuch ist krachend gescheitert, weil selbst die Bürokraten in weiten Teilen einzig und allein über Telegram kommunizieren.

    Bei uns im Westen hiesse sowas "systemrelevant".

  • Es wirkt überzogen und willkürlich. Musk und Zuckerberg erfreuen sich uneingeschränkter Freiheit und verbreiten mit ihren Plattformen auch Hass und Gewalt. Hier stimmt etwas nicht.

  • Ist halt immer das Gleiche. Alle fordern das Verbot einer Plattform, wenn sie selbst zum „Opfer“ werden und sind entrüstet, wenn es dann ihr Medium trifft. Da unterscheiden sich Freund und Feind nur marginal.

  • "Videos aus Gerichtssälen, wo wieder einmal jemand wegen „Diskreditierung der russischen Armee“ zu Jahren hinter Gittern verurteilt wird, finden sich hier genauso wie Aufrufe, Politgefangenen Briefe zu ­schreiben. (...) em­pfinden Telegram-Nutzer die Festnahme Durows als Schlag. Sie nennen das ein „Geschenk an Putin“."

    Auf der einen Seite massivste Kriegspropaganda und die Kommunkation der russischen Armeeeinheiten könnte ohne Telegram zusammenbrechen. Auf der anderen Seite "Aufrufe zum Briefeschreiben" und videografische Ohmachtsbekundungen der Zivilgesellschaft. Offensichtlich eine schwierige Abwägung.

    • @Dorian Müller:

      Die Kommunikation russischer Armeeeinheiten wird nicht dadurch beeinträgt werden, wenn es mehr staatlichen Zugriff auf Nutzer in Telegram gäbe. Die Reste der Zivilgesellschaft in Russland würden aber sehr wohl leiden.