Festnahme des Journalisten Ahmet Șık: Er wird weiterschreiben
Für unsere Autorin ist ihr Kollege Ahmet Șık der Inbegriff des mutigen Journalismus. Sie hat Zweifel, ob ihn ein rechtsstaatliches Verfahren erwartet.
An einem schwarz geteerten Morgen, als ich den Tweet „Ich werde festgenommen“ sah, dachte ich sofort: Nun ist es endlich passiert. Wir hatten es geahnt. Ahmet Șık wusste seit Langem, dass man ihn verhaften würde, nur konnte er nicht abschätzen, wann und wie. Ahmet Șık, mit dem ich mir einen Arbeitsplatz im Büro teile, ist nicht nur wie ein großer Bruder für mich. Er ist der Inbegriff der mutigen und gewissenhaften Berichterstattung. Ahmet Șık ist Journalist, und Journalismus ist kein Verbrechen. Bereits vor sechs Jahren, als er schon einmal verhaftet wurde, riefen wir: „Ahmet wird rauskommen und weiterschreiben!“
Damals, als einer von dreizehn Verurteilten im so genannten „Oda TV-Fall“, saß Ahmet Șık 375 Tage in Haft. Unter anderem wegen Gründung und Führung einer bewaffneten Terrororganisation, Volksverhetzung, Beschaffung geheimer Dokumente, die die Staatssicherheit gefährden, und versuchter Manipulation gerichtlicher Urteile. Als er im März 2012 freigelassen wurde, erklärte Ahmet Șık noch am Ausgang der Haftanstalt in Istanbul-Silivri: „Diese Bande wird verhaftet, in dieses Land wird wieder Demokratie einkehren.“
Gemeint war damit die Gülen-Gemeinde, damals Verbündete der AKP-Regierung. Ahmet Șık war nämlich zur Zielscheibe erklärt worden, weil er die Unterwanderung von Justiz, Politik und Ämtern durch Gülenisten belegte und kritisierte. Heute, fünf Jahre später, werden eben diese Gülenisten als Terroristen verfolgt. Jene, die Ahmet Șık 2011 verhaften ließen, sind heute selbst im Gefängnis oder auf der Flucht.
Unweigerlich dachten wir am Mittwoch, dem Morgen von Șıks Festnahme, an die Szene vor der Haftanstalt Silivri. Geht man durch die Archive der heutigen AKP-verliebten Journalisten, findet man unzählige Lobgesänge auf den Prediger Fetullah Gülen. Ihr Idol ist nach dem Bruch zwischen Gülen und AKP zwar gefallen, die Mentalität aber ist dieselbe geblieben. Das zeigt die erneute Festnahme von Șık, und das zeigt auch die Festnahme von zehn weiteren Cumhuriyet-Kollegen in den vergangenen Wochen. Wir haben keinen Zweifel daran, dass die, die sagen, „die Türkei ist zu keiner Zeit so frei gewesen, wie heute“, sich über unsere Vernunft lustig machen.
ist Reporterin der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet. Dort teilte sie sich einen Arbeitsplatz mit ihrem Kollegen Ahmet Șık, bis dieser am Mittwochmorgen festgenommen wurde. Coşkun stand 2015 selbst vor Gericht, wegen Beleidigung mehrerer Justizvertreter. Sie hatte von vergünstigten Luxuswohnungen für regierungstreue Richter und Staatsanwälte berichtet.
Ja, die Bande ist nun im Gefängnis, wie Ahmet Șık vor Jahren vorausgesagt hatte. Doch Demokratie ist in dieses Land nicht eingekehrt. Während damals Șıks Bücher über die Gülen-Gemeinde mit den Worten „gefährlicher als Bomben“ beschrieben wurden, sind heute Tweets schon ausreichend, um verhaftet zu werden. Es sieht so aus, als müssten wir noch fünf Tage warten, bis wir Ahmet besuchen dürfen. Alles weitere kommt auf die Haltung des Staatsanwalts an.
Ich habe mir das Facebook-Profil des zuständigen Staatsanwalts angeschaut. Er folgt einer Fanseite mit dem Titel: „Großer Präsident, wir sind auf deiner Spur“. Ich frage mich: Soll das ein unabhängiges Justizmitglied sein? Wird diese Person Ahmet Șık befragen? Wie können wir überhaupt von einer unabhängigen Justiz sprechen, wenn diese Person längst das von Erdoğan gewünschte Präsidialsystem akzeptiert, noch bevor darüber abgestimmt wurde?
Das Problem geht aber leider noch viel weiter. Wenn ein solcher Staatsanwalt nämlich die Untersuchungshaft für Ahmet Șık anordnen darf, wird es nicht mehr überraschen, wenn auch der Richter gleich einem AKP-Minister handelt und Șık tatsächlich verurteilt.
Übersetzt aus dem Türkischen von Fatma Aydemir
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