Festivalempfehlung für Berlin: Extra breit aufgestellt

Beim XJazz-Festival sind neben etablierten Namen wie Kate Tempest oder Max Herre sind auch wieder viele Newcomer*innen angekündigt.

Liebe zu Jazz und elektronischer Musik: Sepalott Quartett (11. Mai, Privatclub) Foto: Nico Reger

Seit ein paar Jahren boomt auf den Tanzflächen der Stadt das Jazzrevival – auch und gerade unter ganz jungen Leuten. Nicht nur im Kontext von HipHop oder der Elektronik, sondern in allen möglichen Zusammenhängen. Auch in seinen eher traditionellen Formen wird Jazz von neuen Publikumsschichten abgefeiert – man denke nur an die Erfolgsgeschichte von Kamasi Washington.

Als XJazz, das umfänglich größte der hiesigen Jazzfestivals, vor fünf Jahren zum ersten Mal stattfand, war man dagegen noch gut beraten, die Variable X vor das Genre zu setzen. Nicht zuletzt, um sich all jene, die sich als Gralshüter des Genres verstehen – und davon gibt es immer noch so einige – vom Hals zu halten. Was der/die eine/r feiert, darüber regt sich ein/e andere/r auf: Das ist doch gar kein Jazz mehr! Eine so alte wie unfruchtbare Diskussion.

Dass die in der Regel wenig Interessantes hervorbringt, ist nicht der einzige Grund dafür, dass man auf dem XJazz-Festival mit eher großem Herzen an die Programmgestaltung geht. „Wir halten den Begriff absichtlich so weit, weil das widerspiegelt, was in der Musik selbst abgeht“, so Sebastian Studnitzky, einer der Kuratoren.

Zusammen mit Florian Burger, Ulla Binder, Murat Sezgi und Daniel Best ist er für das eklektische Programm verantwortlich, entlang dessen man sich auch dieses Jahr wieder fünf Tage durch Kreuzberger Spielstätten treiben lassen kann, ganz fußläufig zwischen dem Kottbusser und dem Schlesischen Tor.

XJAZZ ist ein Festival für Jazz, Electronic, Funk, Soul und Pop, das vom 8. bis zum 12. Mai an verschiedenen Orten in Kreuzberg stattfindet. Die kleinen Distanzen zwischen den Locations lassen das Event tatsächlich als Festival erlebbar werden. Es bringt seit 2014 Musiker*nnen für gemeinsame Projekte und Experimente zusammen. Als Top-Acts sind in diesem Jahr Kate Tempest, Hejira, Nneka, Brandt Brauer Frick, The Bad Plus, Kokoroko, das Sepalot Quartett und viele andere bestätigt.

XJAZZ Festival: verschiedene Orte in Berlin-Kreuzberg, 8. bis zum 12. Mai, Tickets: ab 16,35 €, Festivalpass 159 €, Programm: www.xjazz.net

Etablierte Namen wie die Rapperin Kate Tempest oder der ebenfalls aus dem HipHop kommende Max Herre spielen bei XJazz neben Newcomern wie etwa dem mit zwei Schlagzeugern druckvoll auftretenden Ensemble Wanubalé aus Berlin und Potsdam, das aber zugleich ein Händchen für überraschende Arrangements hat. Oder dem Münchener Trio LBT, das Minimal Techno auf akustischen Instrumenten spielt.

Studnitzky konkretisiert, was er meint: „Was den Jazz der Gegenwart ausmacht, ist, dass die meisten Musiker sehr breit aufgestellt sind. Da ist es nicht ungewöhnlich, dass jemand dienstags in einer Avantgarde-Band spielt, mittwochs mit einem DJ auftritt und am Donnerstag dann mit einer Bläserensemble spielt.“ Auch wegen dieser Durchmischung der Szenen sei Berlin derzeit eine „absolut gute Stadt“ für jungen Jazz.

Studnitzky ist nicht nur Kurator, sondern selbst Musiker. Unter anderem unterrichtet er Trompete am international ausgerichteten Jazz-Institut Berlin. Auf dem Weg kriegt er mit, was 18- oder 20-jährige Musiker heutzutage an dem Genre, aber auch ganz allgemein an der Musikstadt Berlin reizt. „Es gibt hier eine starke elektronische Szene, dazu viel Avantgarde und außerdem klassische Musiker, die auf unfassbar hohem Niveau spielen.“

Zudem gebe es viele Orte für Hipster-Jazz. Mit Letzterem meint er das, was die eingangs erwähnten jungen Leute anzieht, die in die Clubs strömen. Da gebe es „erstaunliche Medienphänomene“, die Fans werden auf ganz neuen Kanälen angesprochen, als das früher der Fall war. „Plötzlich tauchen junge Leute auf eher klassischen Konzerten auf, die noch nie von John Coltrane gehört haben.“

Weil die Stadt ein solcher Schmelztiegel ist, stellen die Festivalmacher bewusst das Berliner Musikschaffen in den Fokus – auch wenn das Line-up ziemlich international daherkommt. „Es gibt einige Acts, die international wirken, aber derzeit in Berlin wohnen. Oder hier zumindest ein Album aufgenommen haben.“

Exemplarisch für die Bandbreite dessen, was bei XJazz zu erleben ist, ist etwa der Freitag. Da gibt es zu früher Stunde einen Auftritt der mittlerweile fast 90-jährigen Legende Rolf Kühn. Der Klarinettist ging Mitte der 1950er Jahre für sechs Jahre nach New York, um von den Großen zu lernen. Später spielte er unter anderem im Orchester des RIAS; in sein eigenes kompositorisches Schaffen integrierte er den Mainstream ebenso wie Free Jazz.

Seine Neugierde hat er sich bis heute erhalten. Nach einem eher avantgardistischen Auftritt bei XJazz im vorletzten Jahr, will er es diesmal standardorientierter angehen lassen. Unterstützt wird er von dem Pianisten Frank Chastenier, der Bassistin Lisa Wulff und dem Perkussionisten Tupac Mantilla, mit denen er auch sein aktuelles Album „Yellow + Blue“ eingespielt hat.

Nach diesem Auftritt kann man entscheiden, wie es weitergehen soll, mit Abseitigem oder eher Etabliertem. Letzteres gibt es im Prince Charles in Gestalt des elektroakustischen Jazz-Techno-Trios Brandt Brauer Frick – wobei der Begriff „etabliert“ eigentlich in die falsche Richtung weist. Gemütlich machen es sich die drei nämlich keineswegs.

Ihr fünftes Album, „Echo“, das Ende Mai erscheinen wird, strahlt mit einer komplex-verstolperten Rhythmik etwas Nervöses und ziemlich Faszinierendes aus. Fast klingt es, also wollten BBF mittlerweile den Konsens aufrütteln, den sie mit ihren frühen Erkundungen an der Schnittmenge von Elektronik und Klassik etabliert hatten.

Richtig experimentell wird es fast gleichzeitig im Bi Nuu, mit der der Improvisation zugeneigten Performanceband The Liz. Die besteht aus der Trompeterin Liz Allbee, Liz Kosack am Synthesizer und Korhan Liz Erel, der für die Elektronik zuständig ist. Alle drei sind auch in diversen Projekten unterwegs, haben also eine Menge Erfahrung, wie man weirde Ideen in Musik übersetzt.

So oder so: Man wird auch in diesem Jahr bei XJazz wieder abenteuerliche Musikabende erleben können. Einfach treiben lassen.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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