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Festival für Maschinenmusik in BerlinDas Unbehagen vor dem Surren

In Berlin findet das erste Festival für Maschinenmusik statt. Warum sind musizierende Roboter so faszinierend – und zugleich so befremdlich?

Marion Wörle und Maciej Śledziecki können gut mit Robotern Foto: Christoph Voy

Knarzende Dielen, viel Licht, viel Raum, im Treppenhaus der Geruch nach Staub und Putz: ein Ort, der gut zu zwei Berliner KünstlerInnen passen will. In der Wohnung von Marion Wörle und Maciej Śledziecki, sie Computermusikerin, er Komponist, erinnert nichts an ein futuristisches Klanglabor. Doch genau das ist es.

Wörle und Śledziecki arbeiten hier mit einem Roboter-Ensemble. Ihre Formation heißt „Gamut Inc“, gegründet vor fünf Jahren. Seit 2013 konstruieren sie ihre Musikroboter gar selbst, gemeinsam mit dem Instrumentenbauer Gerhard Kern. Wenn Wörle und Śledziecki von ihrem Ensemble sprechen, dann meinen sie: sich und ihre Musikmaschinen.

Ihr jüngstes Projekt ist ein dreitägiges Festival. Auf der Convention „Wir sind die Roboter“ versammeln Wörle und Śledziecki in der Berliner Musikbrauerei AvantgardistInnen, die sich der Robotermusik verschrieben haben.

Im Wohnzimmer wirken die Musikmaschinen unter der hohen Altbaudecke fast verloren, kaum größer als handelsübliche Instrumente sind die meisten von ihnen. Manche Roboter gleichen Requisiten aus früheren Science-Fiction-Filmen. Etwa der C3, ein automatisches Carillon, das eher an eine Schaltzentrale als an ein Glockenspiel erinnert; andere muten an wie verspult-futuristische Versionen bekannter Instrumente – so wie das BowJo, eine Art Banjo, dem man die Holzhaut bis aufs Skelett abgezogen hat.

Die Maschinenmusik ist älter als Computer

Seit das Wort „Roboter“ 1920 zum ersten Mal in Karel Čapeks Schauspiel „Rossums Universal-Robots“ auftauchte, arbeiten sich KünstlerInnen am Mythos Menschmaschine ab. Vom humanoiden Überwesen, wie es etwa die Popsängerin Björk im Video zu ihrem Song „All Is Full of Love“ präsentierte, über die Musikautomaten von Gamut Inc bis zur Kompositionssoftware: Künstliche Intelligenz ist in Alltag und Popkultur angekommen. Roboter treten auf als freundliche Androiden – oder als „Transformers“, als seelenlose Apparate, die ihre eigenen ErfinderInnen unterwerfen wollen. Warum bereiten Maschinen, die den Alltag erleichtern und Wünsche erfüllen können, dem Menschen so viel Unbehagen?

Begonnen hat die Geschichte der Roboter – und so auch der Maschinenmusik –, lange bevor die Computer entstanden sind. Die Vorläufer späterer Musikautomaten beschrieb bereits Heron von Alexandria, der zwischen 200 vor und 100 nach Christus lebte. Ihre Blütezeit erlebten die Apparate im Zuge der Mechanisierung im 19. Jahrhundert. Vor hundert Jahren verkaufte man in den USA mehr selbstspielende als konventionelle Pianos.

Unsere Roboter sind hybride Maschinen, verortet zwischen der elektronischen und der akustischen Welt

Marion Wörle, Gamut Inc

Mit der Erfindung des Radios kamen Pianolas und Orchestrions wieder aus der Mode, doch ihren Platz in der Popkultur hatten sich die Maschinen spätestens 1978 zurückerobert. „Wir sind die Roboter“, sang damals die Düsseldorfer Band Kraftwerk mit wächsernen Gesichtern. Noch, so wussten die HörerInnen, schlagen Herzen unter den uniformen roten Hemden. Und so fand man die maschinegewordenen Musiker seltsam berührend – aber auch berührend seltsam.

Jenes Unbehagen begründete der japanische Robotiker Masahiro Mori in den 1970ern mit einem Effekt, den er als „Uncanny Valley“ („Unheimliches Tal“) bezeichnete: die Furcht, die einsetzt, wenn wir es mit Wesen zu tun bekommen, die dem Menschen ähnlich sind, dabei aber etwas gänzlich Unnatürliches, Unvertrautes an sich haben – so wie humanoide Roboter und Avatare. Eine Akzeptanzlücke in der Wahrnehmung, die dafür sorgt, dass ZuschauerInnen den klar als Maschine erkennbaren Star-Wars-Roboter R2D2 sympathisch finden. Die hyperrealistischen, aber doch knapp an der Realität vorbeischrammenden Figuren aus dem Animationsfilm „Der Polarexpress“ – sie sind der Physiognomie Tom Hanks’ nachempfunden – muten hingegen unheimlich an.

Keine transhumanen Golems

Die Musikroboter von Gamut Inc sind nicht humanoid, und auch auf ihrem Festival soll es menschenähnliche Roboter nicht zu sehen geben. Mit ihren Schrauben, wirren Kabeln und bunten Drähten geht von Robotern des Ensembles eher eine Art analoge Wärme aus. Und tatsächlich sind Maschinen näher an „alter“ Musik als an den Musikprogrammen der TechnoproduzentInnen: Die Hauptquelle ihres mal außerirdisch-sphärischen, mal harschen Surrens, Flirrens und Pfeifens ist kein Lautsprecher. Wörle und Śledziecki steuern die Instrumente per Computer; Mikrofone nehmen den Klang der Maschinen ab, anschließend wird das akustische Signal zurück in den Computer gejagt und kann dort moduliert und verstärkt werden. „Unsere Roboter sind hybride Maschinen, verortet zwischen der elektronischen und der akustischen Welt“, sagt Wörle.

Musikroboter sehen selten aus wie transhumane Golems. Doch irritieren Maschinenklänge auch aus anderen Gründen. Musik ist identitätsstiftend, nie nur Klang, sondern immer auch Projektionsfläche. Wer Pop liebt, sehnt sich auch nach Menschen, die auf der Bühne leiden, schwitzen, posen. Nach Identifikationsfiguren, die einem einerseits nahe sind, andererseits aber „larger than life“. Auch fast 40 Jahre nachdem Kraftwerks Roboter die Künstlichkeit zur Kunstform geadelt haben, sind für viele Musikfans Prädikate wie „handgemacht“ die höchste Anerkennung.

Umso größer die Verunsicherung, wenn Musik vom Subjekt gelöst wird. Als etwa Hatsune Miku, ein virtueller Popstar aus Japan, im Februar dieses Jahres im Rahmen des Festivals Transmediale erstmals in Deutschland „auftrat“, generierte das Interesse, aber auch Befremdung – denn die Musikerin existiert nicht, sondern wird als Hologramm auf die Bühne projiziert, während ihre Stimme aus dem Computer kommt. Sollte mit der Kunst die letzte Bastion des Nicht-Automatisierbaren fallen?

Roboter können in der Musik Neues leisten

Eine Antwort könnte ein jüngst vom Sony Computer Science Laboratory lanciertes Projekt geben. Mithilfe der Software Flow Machines, die auf eine Datenbank mit Songs unterschiedlicher Musikrichtungen zurückgreifen können, ließen die ProgrammierInnen einen Computer Lieder im Stil großer Vorbilder komponieren: „Daddy’s Car“ erinnert an die Beatles, „The Ballad of Mr Shadow“ an Duke Ellington.

Zwar schrieb ein Musiker die Texte, arrangierte und produzierte die Computerkomposition; die desillusionierende Botschaft des Experiments bleibt dennoch: Was geniale Seelen wie John Lennon geschaffen haben, könnte irgendwann für alle reproduzierbar sein, die in der Lage sind, einen Laptop aufzuklappen.

Wenn die Logos Foundation Gent mit einer Auswahl ihrer 60 Musikmaschinen zum Festival kommt, zahlt man am Ende den Robotern die Gage

Maciej Śledziecki, Gamut Inc

Für Unbehagen dürften die Maschinen auch bei InstrumentalistInnen sorgen – denn viele Roboter können leisten, was ihnen selbst nicht möglich ist. Wenn eine Percussion-Maschine im Gamut-Ensemble eine für Menschen unspielbare Rhythmik erzeugt, drängt sich die Frage auf: Wozu MusikerInnen beschäftigen?

Wörle und Śledziecki teilen diese Angst nicht: Sie treten vor ihren Maschinen sogar freiwillig zurück. Saßen oder standen sie sich anfangs bei ihren Performances gegenüber, haben sie sich nun entschlossen, die Computer vom Publikum aus zu bedienen. „Es widerstrebt unserer Szene, eine Galionsfigur ins Zentrum zu stellen“, sagt Wörle. Im Gegensatz zu DJs und ProduzentInnen elektronischer Musik – heute oft gottgleiche Rockstars am Plattenteller – überlassen Wörle und Śledziecki den Maschinen das Feld. Andere Ensembles gehen noch weiter. „Wenn die Logos Foundation Gent mit einer Auswahl ihrer 60 Musikmaschinen zum Festival kommt, zahlt man am Ende den Robotern die Gage“, sagt Śledziecki. Die Roboter übernehmen die Bühne: Ist das der Tod des Popstars, das Ende des Genies?

Die Roboter sind nicht allmächtig

Nein, sagen Wörle und Śledziecki: Ihre Roboter seien weit davon entfernt, ohne Menschen zu funktionieren. „Unsere Maschinen sind nicht perfekt“, sagt auch Śledziecki. „Uns interessiert, wo die Grenzen ihrer Vollkommenheit liegen.“ Und überhaupt: Auch die Authentizität in der Musik sei letztlich eine Illusion. „Popstars sind immer auch Kunstfiguren“, sagt Śledziecki.

In dieser Logik treiben Roboter und Avatare wie Hatsune Miku nur auf die Spitze, was Popkultur ohnehin bedeutet. Die Roboter kommen, verändern, perfektionieren – aber allmächtig sind sie nicht. Zu groß wird immer die Sehnsucht nach Schweiß auf der Bühne sein. Eine spannende Aussicht. Und eine beruhigende zugleich.

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