Festival Tanz im August: Der Tanz aller Tänze
Schon im alten Rom habe man „The Romeo“ getanzt, sagt Trajal Harrell. Die Produktion des Choreographen war beim Festival Tanz im August zu sehen.
Bevor es losgeht mit „The Romeo“, einem Stück, das am Wochenende zweimal beim Festival Tanz im August aufgeführt wurde, wird es persönlich. Die Tänzer*innen stellen sich dem Publikum vor. Trajal Harrell, geboren 1973 im US-amerikanischen Douglas, einer der aktuell interessantesten Tänzer und Choreografen, hat sich das ausgedacht.
Seine Uraufführung hatte das Stück im Frühling am Schauspielhaus Zürich, wo Harrell noch bis zum Ende der Intendanz von Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg das Dance Ensemble leitet. Bei Tanz im August war „The Romeo“ jetzt zum ersten Mal auch in Deutschland zu sehen.
Harrell machte vor ein paar Jahren mit einer Reihe von Choreografien von sich reden, in denen er Postmodern Dance mit Voguing kombinierte, jenem an Modeposen angelehntem Tanzstil der queeren New Yorker Ballroom-Community der 1960er. Was er heute und auch in „The Romeo“ tut, hat damit zu tun, aber weniger mit der sozialen und performativen Praxis des Voguings, mehr mit dem, wo es herkommt, mit dem eleganten Schreiten auf Modenschauen und deren historischen Vorformen, mit Laufstegbewegungen, die mal zart und anmutig, mal expressiver, wilder sind.
Im Haus der Berliner Festspiele stolzieren die Tänzer*innen mit hohen Hacken daher, als wären sie nicht barfuß, sondern hätten ebensolche an und befänden sich tatsächlich auf einem der Catwalks der Welt. Und was die da so vorführen! Kleidung, Mode, Tracht: Togen und Kimonos, Partytops und Trenchcoats, Wallawalla-Kleider, Volants, jede Menge Volants und Rüschen, knallbunt Bedrucktes, kunstvoll und ziemlich absurd Drapiertes, folkloristisch wie formal Anmutendes, das aber nie ganz so daherkommt, wie man es kennt.
Kleidung wird zum Alphabet
Harrell, der auch für die irre vielen Kostüme des Stücks verantwortlich ist, demonstriert, was passiert, wenn man sich nicht an die Regeln hält. Konventionen werden umgestülpt, Faltenröcke zu asymmetrischen Tops, Kapuzenpullover halb übergezogen, halb irgendwie um den Rumpf gewickelt, zwei Oberhemden zum weit schwingenden Minikleid geknüpft oder Anzüge am Bügel vor den Körper gehängt. Auf Harrells Bühne wird Kleidung zu einem Alphabet, das immer wieder anders zusammengesetzt werden kann und auch soll.
Wie das auch auf die Elemente eines Tanzes zutrifft, ganz konkret jenes Tanzes, von dem Harrell behauptet, dass es ihn schon seit Jahrtausenden, mindestens seit dem alten Rom gäbe und der wie das Stück „The Romeo“ hieße. Um diesen Tanz aller Tänze und nicht etwa um Shakespeares tragischen Liebenden geht es nämlich, so kann man es nachlesen in den FAQ, die vor der Aufführung ausgeteilt wurden.
Jener „The Romeo“ speist sich sodann unter anderem aus Modern Dance, Ballett, aber auch Reigentänzen und Waving, viel Waving. Wellenartig winden die Tänzer*innen immer wieder Arme und Körper durch die Luft. Dann wieder erinnern theatralische, exaltierte Bewegungen an japanisches Butoh, scheint überakzentuierte Gestik und Mimik aus einem Stummfilm entlehnt.
Den ganz großen Bogen spannt Harrell damit, um das Leben an sich geht es, die kleinen und großen Gefühle. Um Trauer auch. In einer Szene treten die Tänzer*innen nach und nach hervor und werden von anderen sich um sie herum Bewegenden aus ihrer bunten Oberbekleidung geschält, bis sie ganz in Schwarz dastehen. Später tragen sie die Lebensdaten von bereits oder irgendwann, in 100 Jahren Verstorbenen vor. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, es ist alles eins bei „The Romeo“, der Tanz ist das verbindende Element.
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