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Fernweh in CoronakriseEs nagt und ruft

Der Wunsch auf Reisen zu gehen, kann in diesen Coronazeiten unerträglich werden. Was tun, wenn das Innere unaufhörlich schreit: Ich muss gehen.

Vielerorts stehen Reisemobile und Vans erst einmal still Foto: Christophe Papke/imago

E s gibt eine gute Stelle in einem Piratenroman von John Steinbeck (ja, er hat wirklich mal einen geschrieben: „Eine Handvoll Gold“), wo der zukünftige Freibeuter Henry Morgan im tristen Wales davon träumt, in die Karibik zu segeln. Ein ehemaliger Knecht der Familie ist gerade von dort zurückgekehrt, reich, elend und krank, und sagt doch: „Ich muss zurück an den verdammten Ort.“ Und Henry weiß, dass er auch dorthin ­gehen muss. „Denn es scheint, als wäre mein Körper in zwei Hälften geschnitten und nur eine davon hier. Der andere Teil ist jenseits des Meeres und ruft und ruft mich, zu kommen und ein Ganzes zu werden.“

Kaum eine Zeile beschreibt so gut das Reisen, wenn man es ernst damit meint. Das Gefühl, nicht bleiben zu können, weil ein Teil der Seele in der Welt lebt. Das Gehirn oder Herz oder was auch immer ist drüben, im Gebirge und an Stränden, in Dörfern und an tiefblauen Seen, in der Wüste und unterm Sternenhimmel, bei fremden Sprachen und Menschen, in dreckigen Städten und traurigen Käffern. In der Welt. Die Reise ist kein Urlaub, sondern etwas Existenzielles.

Es nagt und ruft, irgendwann schreit es. Ich muss gehen, um ganz zu werden. Das ist ein Satz, den Menschen, die ihr Leben an einem Ort verbracht haben oder im Alltag vor sich hin leben, nie verstehen. Und diese Sehnsucht ist hart in einer Pandemie.

Ich bin derzeit seit Monaten in Köln, der Stadt, wo ich aufgewachsen bin und nie wieder Monate verbringen wollte. Der ausgebaute Lkw, in den wir Anfang des Jahres gezogen sind, braucht Reparaturen, für die jeweils unterschiedliche Werkstätten nötig sind. Es zieht sich also. Wir haben den Sommer notgedrungen coronamäßig in Frankreich verbracht; es waren schöne Monate, aber nicht die ganz große Magie des Fremden, das Gewitter an Erkenntnissen, Gefühlen, Reizen einer völlig neuen Welt. Eher eine pragmatische Wahl, Frankreich war eben gerade offen und versank nicht in Infektionen.

Und doch, es war ein Schluck von neuem Leben, eine Aussicht, die ruft und sich nun entzieht. Ich warte, wieder fahren zu können, mit jedem Tag ungeduldiger.

Ich weiß nicht, wie die Leute das machen, die hier Alltag leben. Es ist wie bei dem Knecht bei John Steinbeck, dem das alte Dorf grau erscheint, der dort friert. Wer einmal die Freiheit gespürt hat, kann nicht bleiben.

Früher mochte ich dieses schicksalhafte Pathos an der Geschichte. Natürlich sind wir auch schlicht von Reiz überflutet. Wer ständig erlebt, muss diese Erlebnisse wiederholen und steigern, eine immer neue Dosis von was auch immer. Abstinent sein kann nur, wer nie wirklich gekostet hat. Vielleicht ist es aber auch einfach Schicksal, das Reisende gegriffen hat. Als ich schreiben konnte, habe ich in ein erstes Poesiealbum als Zukunftswunsch geschrieben: „Durch die Welt ziehen“. Ich habe Listen von Ländern verfasst, in die ich gehen würde, voll Aufregung und voll Angst, es würde nie passieren; es war eine Sehnsucht, die pochte, ein Teil des Körpers, der ja wohl schon da drüben gewesen sein musste, schon immer.

Bei John Steinbeck gibt es gewiss am Ende eine dröge Moral, die sinngemäß lautet: Gib acht, was du dir wünschst. Henry Morgan hat alles gesehen und erlebt, wurde nie zufrieden und ist seelisch im Eimer. Aber das stimmt meistens nicht. Das kann nur glauben, wer nicht wirklich gereist ist.

Noch eine Sache, natürlich, stimmt nicht. Bevor Henry abreist, sagt er: „Ich komme zurück, wenn ich wieder ganz bin.“ Das glaubt er doch wohl selbst nicht. Denn der Teil des Körpers in der Welt wird immer dort bleiben.

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8 Kommentare

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  • Schluchz! Was für ein fürchterliches Leiden!!!

  • Dieses Zeugnis von Egoismus und Egozentrik, Konsum und Selbstkonsum ist wirklich erschütternd. Noch erschütternder ist, dass es hier veröffentlicht wird. Wer noch geschätzte 60 Jahre vor sich hat muss sich wirklich nicht über ein oder zwei Jahre beschweren in denen er nicht reisen kann. Das ist kindisch und verwöhnt, einfach nur quengelig. Reisen ist übrigens auch nicht Freiheit und hat auch nichts damit zu tun und im 17. Jahrhundert hat ein Henry Morgan übrigens garantiert als Schiffsjunge angefangen und wahrscheinlich eher von Essen als von Freiheit geträumt.

  • Ich kann diese Reisehindernisse nicht nachvollziehen. Auf das Verhalten kommt es an, nicht ob ich in München, Berlin, Mailand oder Barcelona rumlaufe. Ich hab in meinen Urlauben weniger Sozialkontakte als um normalen Leben. Also was soll der Mist.

  • Was wird wohl passieren, wenn Reisen wieder möglich ist, aber es nur noch wenige tun werden, sei es aus Geldmangel, aus Sorge, dass doch noch irgenwo ein Virus im Busch hockt oder, weil die Leute sich nach einem Jahr Auszeit schlichtweg entwöhnt haben und den Zeltplatz am Ententeich im Nachbardorf vorziehen?

    • @Bunte Kuh:

      Würde ich eine Kiste Rotwein dagegen wetten.

      Bei uns steht die Liste was dieses Jahr gemacht weden soll schon, 1. Ziel, Olympiastadion Moskau, Park Festival im Juli und auch in unserem Bekanntenkreis wird da fleißig geplant.

  • Ich war während Corona in einigen Ländern, allerdings immer beruflich, nervös wurde ich ehrlich gesagt immer nur dann, wenn ich da nicht theoretisch mit dem Auto oder Motorrad weggekommen wäre.

    So Aktionen kurz vor knapp noch den Eurostar zu kriegen, weil du ansonsten auf dieser nebligen Insel festsitzt, brauch ich aktuell nicht unbedingt, aber das muss jeder für sich selbst entscheiden.

    Aber ich verstehe das, ich vermisse die Stadionbesuche bei der Eintracht und die Konzerte, die Energie der Orte, das ist, als wäre man seit Monaten im Schlafwandlermodus.

    Wir schauen schon ganzen Morgen das Konzert von Ultra Vomit, bei dem wir live in Frankreich waren.

    youtu.be/KDpWqooal3o

  • Hm, da kann man dem grossen Steinbeck nur den noch grösseren Wilhelm Busch entgegensetzen:



    "Schön ist es auch anderswo. Und hier bin ich sowieso."

    • @Heiner Petersen:

      …anschließe mich.

      Denn - “ Ich weiß nicht, wie die Leute das machen, die hier (in Kölle) Alltag leben.“



      Ganz prima Gnädigste - schaunse doch aufne Tass Kaff mal vorbei - hm?!



      Normal - Na Si‘cher dat - 🥳 -

      ”Komm - sage mir - was du für Sorgen hast.



      Reich willst du werden?



      Warum bist du‘s nicht.“



      Aus - “Es zwitschert eine Lerche im Kamin.



      Wenn du sie hörst.“ - Eben -

      kurz - Ach herm - 🤫 -