Wohnungstausch statt Urlaub: Hier und weg
Verreisen kann man gerade nicht. Deshalb tauschen wir die Wohnung mit meiner Schwester – als coronakonformer Tapetenwechsel.
„Wir wollen nicht nach Zehlendorf!“ Die Kinder sind sauer. Sie sitzen auf dem Sofa und schimpfen. Wie es sein kann, dass wir andere Kinder in ihre Zimmer lassen wollen? Was, wenn ihre Sachen kaputtgehen?
Eigentlich haben wir Urlaub in den Alpen geplant. Im Lockdown wird das nichts. In den Ferien weiter dort rumsitzen, wo wir immer rumsitzen, erscheint uns Eltern allerdings deprimierend. Deshalb haben wir uns einen Wohnungstausch überlegt: Meine Schwester verbringt mit ihrer Familie ein paar Tage bei uns in Berlin-Kreuzberg. Und wir reisen zu ihnen ins Reihenhaus an den Stadtrand. Das ist coronakonform und trotzdem was anderes.
Bald finden auch die Kinder die Idee nicht mehr ganz so schlecht. Die Schwesterfamilie hat Amazon Prime und eine Katze. Also fangen wir an zu packen. Und zu putzen: Erst jetzt fällt uns auf, wie viel Kram, wie viel Staub sich in den Ecken angehäuft hat, gerade weil wir ständig zu Hause sind.
Am Tag darauf steht die Schwesterfamilie vor der Tür. Wir übergeben die Schlüssel im Treppenhaus. Nach einer halben Stunde sind auch wir am Ziel.
Kicker im Keller
Die Luft hier draußen ist frisch. Wenn man die Terrassentür öffnet, hört man Regentropfen fallen, sonst nichts. Wir laufen durch das Haus, verteilen die Zimmer. Man guckt ja doch anders hin, so in Ruhe. Das Regal aus gestapelten Kisten würde ich gerne nachbauen. Im Keller steht ein Kicker, den die Kinder gleich in Beschlag nehmen. Ich lege mich auf das Bett. Zwei Kinderbilder hängen an einer orangefarbenen Wand. Das sieht meine Schwester also morgens, wenn sie die Augen öffnet. Was sie mit den Bildern verbindet?
Wir machen einen Spaziergang im Schlosspark Babelsberg, einem hügeligen Gelände mit Blick auf die Glienicker Brücke und die Havel. Keine Alpen, kein Bergsee, aber sehr schön. Die Sonne kommt raus, wir atmen tief durch. Derweil schickt meine Schwester Fotos aus Kreuzberg, von der U-Bahn, vom Park, vor allem von vollen Tellern. Sie ist begeistert, wie viele Imbisse und Restaurants es in unserer Nähe gibt. Nach einem Döner zum Einstand holen sie sich japanisches und später indisches Essen.
In Kreuzberg kommt jeden Tag die Zeitung, hier kommt die Gemüsekiste aus Brandenburg. Und der Kater von nebenan. Er trommelt mit den Pfoten gegen die Scheibe. Ich verbinde mit Katzen bislang nur ein Kribbeln in der Nase. Doch die Allergie bleibt aus, der Kater erweist sich als sehr lustig. Wenn die Kinder mit einer Schnur herumwedeln, springt er plötzlich in die Luft.
Hauptsache woanders
Wir planen einen Ausflug mit der Fähre über den Wannsee. Passanten füttern die Möwen an der Anlegestelle. Einer geheimen Choreografie folgend fliegt der Schwarm auf, zieht einen Kreis und lässt sich kreischend wieder im Hafen nieder. Eis schwimmt auf dem Wasser. Wir warten, warten, die Fähre kommt nicht.
Eigentlich würde man denken, der Ausflug war ein Flop. War er aber nicht. Zurzeit ist es schon ein Wert an sich, mal woanders zu sein, und sei es eine Anlegestelle neben einer Bundesstraße.
Im Nachhinein finden auch die Kinder: Der Wohnungstausch war super. Meine Schwester sagt, sie habe sich wirklich wie im Urlaub gefühlt. Wir haben uns nur kurz im Treppenhaus gesehen, auf Abstand mit Maske. Und trotzdem waren wir uns lange nicht mehr so nahe wie in diesen Tagen.
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