Fernsehen ohne Ende: Dampfen die Kinder schon?
Meine Kinder glotzen den ganzen Tag. Nun hat ihnen ihre Lehrerin ein Fernsehverbot verpasst – mit weit reichenden Folgen.
E ine Studie besagt, dass die Deutschen jeden Tag über drei Stunden in die Glotze starren. Und die Leute in der Türkei stellen einen Weltrekord auf: Über fünf Stunden pro Tag! Aber wie lange sitzen eigentlich die Deutschtürken vor der Glotze? Fünf minus drei? Oder fünf plus drei?
Die Antwort ist: Fünf mal drei! Das schaffen jedenfalls meine Kinder! Da sie ja ein paar Stunden in der Schule schlafen müssen, schaffen sie deswegen nur 15 Stunden. Ab und zu hängen sie auch 36 Stunden am Stück vor der Kiste. Aber das ist zum Glück eher die Ausnahme. Höchstens mal am Wochenende, und manchmal montags, dienstags, mittwochs, donnerstags und freitags. Sie hoffen darauf, dass die Wissenschaftler bald das Schlaf-Gen knacken, damit sie keine Zeit mehr mit Schlafen vergeuden. Dieses „Nicht-Schlafen-Wollen“ überkommt sie natürlich immer nachts! Morgens ist hingegen chronisches „Nicht-Aufstehen-Wollen“ angesagt.
Die Kinder protestieren lautstark als meine Frau die Kiste endlich ausschaltet. Das wird dem Fernsehapparat guttun. Denn er qualmt bereits! Oder dampfen schon die Kinder? Nach einer Woche organisiert Hatices Lehrerin Frau Ingeborg Lehrknecht-Ziegenbart nur für mich allein einen Elternsprechtag.
„Herr Engin, Hatice macht weder ihre Hausaufgaben, noch liest sie ihre Schulbücher“, beschwert sie sich.
„Das kann so nicht stimmen“, wehre ich mich als verantwortungsvoller Erziehungsberechtigter, „Ich sehe meine Tochter ständig lesen! Drei Fernsehzeitschriften kriegen wir wöchentlich. Alles kann sie auswendig!“
Hatice stimmt mir stolz nickend zu.
„Frau Lehrknecht-Ziegenbart, wenn Sie möchten, können wir die Kleine ja mal testen. Sag mal Hatice, ZDF, nächsten Samstag, 22:15?“
„Das Aktuelle Sport-Studio!“
„RTL, Donnerstag, 0:20?“
„Amerikanischer Erotikthriller: ‚Sexbesessen!‘ Aus dem Jahr 93…“
„Stopp, Hatice, stopp, das weiß ja jeder! Sag lieber, Dubai TV, Freitagmorgens 3:45?“
„Fünfte Wiederholung des Kamelrennens zu Ehren der 13. Frau des Sultans!“
„Das reicht, das reicht“, höre ich Frau Lehrknecht-Ziegenbart empört kreischen, obwohl alle anderen Lehrer begeistert Beifall klatschen. „Das geht so nicht weiter, Herr Engin! Der Fernseher macht Ihr Kind verrückt. Sie müssen den Apparat abschaffen!“
„Wie denn? Ganz weg? Völlig ohne Fernseher?“, stottere ich geschockt.
„Ja, Herr Engin. Um Ihre Familie zu retten, müssen Sie den Fernseher entweder verkaufen, oder in den Keller stellen!“
„Das kann ich nicht! So was bricht mir das Herz! Aber wenn es für die Volksgesundheit unbedingt sein muss, dann müssen Sie dieses Verbrechen schon selbst begehen!“
„Na gut, dann komme ich und stelle Ihren Fernsehapparat höchstpersönlich in den Keller“, höre ich die gefühllose Stimme der eiskalten Hexe.
„Sie, Mörderin, Sie!“, schreit Hatice und fällt in Ohnmacht.
Das war vor drei Monaten. Seitdem wohnen wir mit der gesamten Familie im Keller!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“