Femizide in Berlin: Täter lassen sich nicht wegfesseln
Nach erneuten Femiziden in Berlin plädiert die Justizsenatorin für Fußfesseln. Die Diskussion offenbart das staatliche Versagen beim Gewaltschutz.
J eden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau aufgrund ihres Frauseins ermordet. Die Täter sind der Lebensgefährte, der Ex-Partner, der Bruder, der Vater oder der Arbeitskollege. In Berlin wurden zuletzt zwei Frauen innerhalb einer Woche von ihren Ex-Partnern getötet. Ein weiterer Femizidversuch in Reinickendorf konnte gerade noch abgewendet werden. Drei Fälle in einer Woche, allein in Berlin.
In Reaktion auf die jüngsten Femizide hat Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) nun den Einsatz von elektronischen Fußfesseln bei Männern gefordert, die bereits wegen häuslicher Gewaltdelikte angezeigt sind. Eine Maßnahme, die in Europa in Spanien schon erfolgreich Anwendung findet und für die sich auch die Opferschutzorganisation Weißer Ring ausspricht. In Deutschland wird der Einsatz von Fußfesseln bisher von den Ländern selbst geregelt. Im Hinblick auf die steigenden Fallzahlen im Bereich der häuslichen Gewalt wird seitens des Bundesinnenministeriums eine bundesweite Regelung angestrebt.
Denn Näherungs- und Kontaktverbote können die Täter leicht umgehen. Sie werden schlichtweg ignoriert. Und Täter finden Strategien, um den Betroffenen trotzdem aufzulauern. Geschützt sind die betroffenen Frauen dadurch also keineswegs: Hier würde die Fußfessel greifen. Sie soll Frauen rechtzeitig alarmieren, wenn der Gefährder sich nähert und den vorgegebenen Abstand nicht einhält. Das klingt in der Theorie zunächst effektiv. In der Praxis stößt die Maßnahme schnell an ihre Grenzen.
Bei Sexualstraftätern können Fußfesseln als Auflage zwar bereits nach Absitzen einer Haftstrafe verordnet werden. Das passiert jedoch relativ selten. Zudem ist die Maßnahme nur auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt. Wie Frauen danach geschützt werden, ist unklar. Auch dauert es, bis die von der Fußfessel ausgesandten Signale bei Betroffenen in Berlin ankommen – sie gehen erst mal nach Hessen, wo sie zentral erfasst werden.
Staatliches Versagen
Die Diskussion um die Fußfessel offenbart ein tiefer liegendes Problem: das staatliche Versagen beim Gewaltschutz von Frauen und der Prävention von Femiziden, denen häufig häusliche Gewalt vorausgeht. Die Gewalt findet in den eigenen vier Wänden statt, aus denen die Betroffenen zum Teil nicht fliehen können, weil sie beispielsweise ökonomisch vom Täter abhängig sind.
Die Frauenhäuser wiederum, die eigentlich sowohl Schutz- als auch Unterstützung bieten sollten, sind überlastet und unterbesetzt. Das illustrieren Zahlen der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG), die bei häuslicher Gewalt berät. Im Jahr 2022 riefen über 3.000 Frauen an, die an Frauenhäuser vermittelt werden wollten. 2.000 mussten von der Initiative zurückgewiesen werden. Die Häuser waren schlicht voll.
Parallel zu den nicht vorhandenen Plätzen nimmt die Zahl der von häuslicher Gewalt Betroffenen zu. Das alles ist bekannt. Ebenso die Gründe: Die Institution Frauenhaus scheitert viel zu häufig an der Unterfinanzierung, zudem sind die Finanzierungsregeln bundesweit uneinheitlich geregelt. Hinzu kommt die räumliche Verteilung von Frauenhäusern. Insbesondere im ländlichen Raum gibt es kaum Anlaufstellen.
All das hindert die Verantwortlichen nicht daran, weiter bei Gewaltprävention und Schutzmaßnahmen zu sparen. Auch in Berlin, wo mit Blick auf den Gewaltschutz in diesem Jahr 1,7 Millionen von 8 Millionen aus dem Haushaltsetat gestrichen worden sind.
Angesichts fehlender Frauenhausplätze und der irren Rotstiftpolitik bei der Gewaltprävention wirkt die Fußfessel wie eine vorgeschobene Lösung für ein Problem, das sich nicht einfach wegfesseln lässt. Zumindest nicht längerfristig. Maßnahmen gegen Femizide müssen an der Wurzel ansetzen. Das bedeutet, es muss Geld in die Hand genommen werden, um Frauen den bestmöglichen Schutz zu bieten. Gleichzeitig ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Femizide immer und immer wieder zu skandalisieren, um einer Normalisierung patriarchaler Gewalt entgegenzuwirken. Anleinen allein reicht nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus