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Feministische Steinzeit-ComicPreiswürdige Geschichte

Vergesst die Mammutjäger-Klischees! Ulli Lusts „Die Frau als Mensch“ zeigt, wie weiblich die Steinzeit war. Und gewinnt den Sachbuchpreis.

Graphic Novel „Die Frau als Mensch“ (Reprodukt Verlag) von Ulli Lust Foto: Ulli Lust/reprodukt

Ich sammeln, du jagen: Wer kennt sie nicht, die Stereotype, wonach es angeblich schon immer so gewesen ist, dass Männer hinausgehen, um gefährliche Tiere zu fangen, während sich Frauen nach Beeren bücken und das Höhlenfeuer schüren. Von da an ist es nicht weit zu der Idee, dass Frauen gerne shoppen (Sammeltrieb!) und nicht einparken können, weil ihr räumliches Vorstellungsvermögen unterentwickelt ist (braucht man ja nicht in der Höhle).

Alles patriarchal eingefärbter Blödsinn natürlich, aber weit verbreitet, von der Schulbuchdarstellung über die Netflix-Serie bis zu unverhohlen paläolithisch anmutenden Diäten oder Fitnesstrends. Die Zeichnerin Ulli Lust hat dem nun gut 200 Seiten opulent illustrierte weibliche Menschheitsgeschichte entgegengesetzt. Ihre aktuelle Graphic Novel „Die Frau als Mensch“ (Reprodukt Verlag) vermittelt einen ganz neuen Blick auf unsere Vor- und Frühgeschichte. Und dieser Blick ist weiblich: Da ähneln Höhleneingänge ganz klar Vulven, Schamaninnen wandeln souverän zwischen Welten und menstruierenden Mädchen werden in Initiationsritualen die Körper bemalt.

Ulli Lust ist in der Wiener Punkszene groß geworden, eine angenehme Widerborstigkeit merkt man ihr auch heute noch an. Einen raumgreifenden Nebensitzer im Flugzeug zeichnet die reisende Comicautorin als behaarten Affen. Einen Kunstgeschichteprofessor, der gewichtig über (natürlich ausschließlich männliche) Menschheitsdarstellungen doziert, provoziert sie mit quersitzenden Fragen zu seiner Aussage, dass Männer halt „einfach wichtiger“ gewesen seien als Frauen.

Lust hat selbst in Museen, an Ausgrabungsstätten und in der Kunstgeschichte recherchiert und Erstaunliches herausgefunden: Etwa, dass es bis zur Ankunft des Christentums fast ausschließlich weibliche Figuren waren, die den Menschen repräsentierten, kräftige, nackte Figuren mit sichtbaren Brüsten und Vulven. Oder dass Steinzeitmenschen wohl Universalisten waren. Sie sammelten und jagten viel zusammen – auch die Frauen. Weswegen so mancher Knochenfund, der bis vor Kurzem selbstverständlich als männlich gelesen wurde, dann wohl doch eher von einer relativ großen Frau stammte.

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Kunstgeschichte und Anthropologie vermischen sich in „Die Frau als Mensch“ mit privaten Einblicken, etwa in Lusts von tiefer Mysogynie geprägte katholische Kindheit. Das ist manchmal sehr lustig, gelegentlich deprimierend und durchweg beeindruckend detailliert gezeichnet und liebevoll koloriert.

In einem taz-Interview hat Ulli Lust mal gesagt, ihr Ziel sei es, mit ihren Graphic Novels zur kulturellen Entwicklung beitragen zu können. Mit ihrem feministischen Steinzeitcomic ist ihr das gelungen. Das sah auch die Jury des Deutschen Sachbuchpreises so. „Die Frau als Mensch“ wurde am Dienstag zum Sachbuch des Jahres 2025 gekürt – als erstes Comicwerk überhaupt.

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