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Feminismus im SportEin halbes Willkommen

Leipzigs erstes feministisches Thaiboxstudio will Frauen einen Schutzraum bieten und offen für Trans- und Interpersonen sein. Ein Widerspruch?

Trainingsauftakt: Die Kopfbedeckung trägt die Kämpferin (l.) nur, weil ein männlicher Fotograf anwesend ist Foto: Thomas Victor

LEIPZIG taz | An einem Dienstagabend im November sitzen 40 junge Menschen in einem kalten Boxstudio im Kreis. Bei der Vorstellung sagen sie, wie sie heißen, wie es ihnen geht und mit welchem Pronomen sie angesprochen werden möchten. Die meisten wählen sie, einige wollen sich nicht festlegen. Nick entscheidet sich für er. Erstaunt reagiert hier niemand. Denn viele von ihnen kennen solche „Pronomen-Runden“ aus anderen feministischen Gruppen oder linken Netzwerken.

Nick trägt seine schwarzen Haare zwar kurz geschnitten, mit seinen großen Augen im fein geschnittenen Gesicht wird er dennoch nicht automatisch als männlich wahrgenommen. Nick erzählt, dass selbst engen Freunden hin und wieder ein „sie“ herausrutscht, wenn sie über ihn sprechen. Deshalb ist er froh über die Vorstellungsrunde bei Sidekick. Hier kann er sich so präsentieren, wie er sich selbst sieht. Langwierige Erklärungen und unangenehme Nachfragen entfallen.

Nick, der sich selbst so nennt, definiert sich als „transmaskulin/androgyn“. Seit vier Jahren weiß der 26-Jährige, dass bei ihm biologisches und soziales Geschlecht nicht übereinstimmen. Angefangen hat für ihn alles mit YouTube-Videos von Leuten, für die sich das ihnen zugewiesene Geschlecht nicht richtig anfühlte. Die Clips dokumentierten die Suche nach einer Identität, die zum eigenen Empfinden passt. Dass das etwas mit Nick selbst zu tun haben könnte, begriff er erst nach einer Weile. Heute stellt er sich immer dann mit männlichem Pronomen vor, wenn er sich wohl und sicher fühlt.

Solidarischer Ansatz

So wie an diesem Novemberabend beim Techniktraining von Sidekick im Leipziger Westwerk. Seit August existiert der Thaiboxverein mit explizit feministischem Anspruch. Die Trainerinnen Caro Köhler und Imke Bartmann haben ihn ins Leben gerufen. Beide Frauen haben langjährige Erfahrung im Kampfsportbereich. Sie beschreiben die Szene als „autoritär“ und „von heterosexuellen Männern dominiert“.

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Mit Sidekick wollen sie Frauen, Trans- und Interpersonen dazu eine Alternative bieten. Im Training sei ihnen ein solidarischer Umgang miteinander wichtig, sagt Köhler. Frauen sollten spüren, wie viel Kraft in ihnen stecke – aber ohne Leistungsdruck. Das, ergänzt Bartmann, sei in einem konventionellen Verein nicht möglich. Dort sei alles auf das Erreichen eines vom Trainer vorgegebenen männlichen Ideals ausgerichtet. Frauen müssten sich dort permanent beweisen.

Mit ihrem Konzept treffen die beiden Trainerinnen offensichtlich einen Nerv: Woche für Woche versammeln sich bis zu 50 junge Frauen, Trans- und Interpersonen in der ehemaligen Fabrikhalle, um Thaiboxen zu lernen. Viele von ihnen kommen regelmäßig.

So wie Nick. Er ist von Anfang an dabei und trainiert ein- bis zweimal pro Woche. Seit seiner Jugend interessiert er sich für Kampfsportarten. Ihn fasziniert die Präzision, mit der die Übungen ausgeführt werden, und die Ethik, die dahintersteht: „Es geht nicht darum, möglichst aggressiv die andere Person zu vermöbeln, sondern eine Defensive aufzubauen und sich selbst zu behaupten.“

So sein, wie man ist – an zwei Wochentagen

Obwohl Nick viele verschiedene Vereine und Kurse ausprobiert hat, ist Sidekick der erste, in dem er sich richtig wohlfühlt. Er beschreibt den Verein als eine von mehreren Inseln in Leipzig, wo er als Transperson explizit willkommen sei: „Hier kann ich so sein, wie ich bin.“

Das gilt aber nur an Dienstagen und Donnerstagen. Bartmann und Köhler bieten zwar an vier Tagen in der Woche Trainingseinheiten an. Montags und freitags dürfen jedoch nur diejenigen kommen, die sich vom Pronomen sie angesprochen fühlen.

„Wir sehen schon, dass das nur so ein halbes Willkommen ist“, räumt Köhler ein. Transpersonen, die sich männlich definieren und auch so wahrgenommen werden, machten aber andere Erfahrungen als weibliche. Zur weiblichen Lebensrealität gehöre es, von Männern nicht ernstgenommen und für schwach gehalten zu werden. „Deshalb gehen wir davon aus, dass es Frauen gibt, die nur unter Frauen trainieren wollen.“

Sevda* ist eine dieser Frauen. Während der Erwärmung steht sie weit vorne, hüpft und springt zur lauten Musik. Ihre langen braunen Haare wippen im Takt. Sie wirkt gelöst, lacht viel. Im Gegensatz zu den meisten anderen Teilnehmerinnen, die T-Shirt oder Top zu Shorts kombinieren, trägt die junge Muslima graue Leggins und ein knielanges Oberteil mit blauer Kapuze. Diese ist so geschnitten, dass sie sich wie ein Kopftuch tragen lässt. Der feministische Ansatz des Vereins spielt für Sevdas Entscheidung, zum Training zu kommen, keine Rolle. Wohl aber die Tatsache, dass hier keine Männer trainieren – so kann sie die Kapuze unten lassen.

Wenn sie wollte, könnte sie treffen

Im Gegensatz zu den meisten anderen Teilnehmer*innen hat Sevda schon Kampfsporterfahrung. Bereits als Kind ging sie mit ihren Brüdern zum Karate, später zum Kickboxen. „Dieser Sport ist wie ein Magnet für mich. Ich kann nicht ohne“, sagt sie.

Während Bartmann die erste Übung erklärt, wickelt sich Sevda Bandagen um die Finger. Bei der ersten Übung sollen im Wechsel Geraden geschlagen und abgewehrt werden. Sevda schlüpft in ihre schwarz glänzenden Boxhandschuhe. Ihre Geraden schnellen geübt hervor. Sie zielt direkt auf die Stirn ihrer Partnerin. Wenn sie wollte, könnte sie jederzeit treffen.

Aufgewachsen ist die 27-Jährige als Kind säkularer Muslime in einer Millionenmetropole im Südwesten Russlands. Im Jahr 2011 musste sie plötzlich mit ihrem Mann fliehen. Zu den Gründen will sie nichts sagen. Zu groß ist ihre Angst vor möglichen Konsequenzen.

Ankunft im Alltag

Fünf Jahre lang war an Training nicht zu denken. Die Flucht aus ihrer Heimat, die Unklarheit, ob sie hier in Deutschland bleiben darf, und der Alltag mit zwei kleinen Kindern, die hier geboren wurden – all das setzte Sevda so zu, dass sie sich psychologische Hilfe suchen musste.

Doch es war ein guter Sommer für sie. Sevda hat eine Therapeutin gefunden, die Russisch spricht. Und seit beide Söhne im Kindergarten sind, hat sie wieder etwas Zeit für sich. Die nutzt sie, um zum Sprachkurs zu gehen. Und fürs Thaiboxen.

Es ist Halbzeit im Training. Trainerin Bartmann erklärt die nächste Übung. Auf zwei Geraden folgt ein Tritt gegen den Oberschenkel. Nick fällt die Umsetzung der Übung leicht. Er ist konzentriert und seine Bewegungen sind schnell. Aber er tritt und schlägt ohne Kraft. Während es ringsum durch den Aufprall der Fäuste und Schienbeine klatscht und knallt, erzeugen Nicks Geraden und Kicks kein Geräusch. Es scheint, als wolle er möglichst harmlos wirken.

Darauf angesprochen sagt er: „Durch dieses Transthema ist man ohnehin schon ein bisschen exponiert. Ich möchte nicht so eine dominante Männerrolle verkörpern. Besonders nicht in dieser Gruppe.“

Die Wünsche gehen auseinander

Nach anderthalb Stunden sitzen alle Teilnehmer*innen wieder auf dem Boden, um sich zu dehnen. Nick findet es schade, nur dienstags und donnerstags dabei sein zu können. Während er spricht, wägt er seine Worte genau ab. Ihm ist es wichtig, dem Verein nicht zu schaden. „Aber gleichzeitig bin ich kein kompletter Teil davon. Das gibt der ganzen Euphorie einen Dämpfer.“ Er würde sich wünschen, dass alle Trainingseinheiten für Frauen, Trans- und Intersexuelle offen sind und nur dann eingeschränkt werden, wenn Teilnehmerinnen den Wunsch danach äußern.

Sevda hingegen wäre es lieber, nur unter Frauen zu trainieren. Und doch kommt sie zu denselben Zeiten wie Nick. Sie hat gehört, dass es einen Transmann im Training geben soll. Was der Begriff bedeutet und um wen es sich handelt, weiß sie nicht so genau. Um keine religiösen Vorschriften zu verletzen, zieht sie sich seitdem in der Einzelumkleide um. Ihre Kapuze trägt sie jedoch weiterhin nicht. Endlich wieder boxen zu können, scheint ihr wichtiger zu sein als jede religiöse Vorschrift.

* Name geändert

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