Feiern zum 8. Mai in Berlin: Das Gedenken gelingt friedlich
Am „Ort der Kapitulation“ in Karlshorst feiern Menschen den Tag der Befreiung. Im Tiergarten werden „Melnyk raus“-Rufe laut.
Wie jedes Jahr am 8. Mai hatten Museum, Kirchen, Antifa und der örtliche Bürgerverein zu einem Fest eingeladen. 1.500 Menschen kamen über den Tag verteilt. Sie kamen aus der Nachbarschaft, aber es kamen auch Touristen. Die am häufigsten nachgefragte Sprache bei den Führungen durchs Haus und durch eine Ausstellung zu sowjetischen Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg, von der 2021 in Russland verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial konzipiert, war Englisch – allerdings dicht gefolgt von Deutsch und Russisch.
Es war ein stilles Fest, und es verlief friedlich. Auch problematische Sprechchöre russlandfreundlicher Demonstranten unterblieben. Am Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten hatten am Vormittag etliche von ihnen „Melnyk raus“ und „Faschisten raus“ skandiert, als der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk dort am Vormittag Blumen niederlegte. Exilrussische und ukrainische Teilnehmer einer Kundgebung hatten dagegengehalten.
Vor dem Haus in Karlshorst hängt die ukrainische Fahne. Die neben ihr hängenden Fahnen von Russland, Belarus und Deutschland hatten die Museumsmitarbeiter bereits am 25. Februar abgehangen. Doch das Umfeld des Museums gehört zu den Orten in der Hauptstadt, an denen durch eine Allgemeinverfügung für Sonntag und Montag das Zeigen von Uniformen und Fahnen aller Art untersagt wurde.
Am 9. Mai wird in Russland traditionell an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa erinnert. Auch an den einschlägigen Gedenkorten in Berlin werden Kundgebungen und Demonstrationen erwartet. Mit Spannungen wird gerechnet.
Im Treptower Park geht es am Sowjetischen Ehrenmal bereits um 9 Uhr los mit einer „Kundgebung gegen den Überfall auf die Ukraine“ der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e. V. Putin-Anhänger*innen wiederum wollen von hier um 9.30 Uhr zu einem Autocorso in Richtung Tiergarten aufbrechen.
Im Tiergarten trifft sich ab 11 Uhr das Lager der Putin-Fans zum „Rotarmisten-Gedächtnis-Aufzug“. Angemeldet sind 1.300 Teilnehmer. (taz)
Museumsdirektor Jörg Morré hat jedoch mit der Polizei verhandelt: „Unser Haus ist eine Bundeseinrichtung und damit quasi Privatgelände. Das Fahnenverbot gilt erst auf öffentlichem Straßenland.“ Das Museum hatte sich mit einer eigens für diesen Tag aktualisierten Hausordnung auf einen friedlichen Verlauf vorbereitet. Besucher durften keine eigenen Fahnen mitführen, keine Transparente und Schleifen. Auch Sprechchöre waren untersagt. Als musikalische Einlage war lediglich die Kirchenmusik des Posaunenchors der örtlichen evangelischen Gemeinde gestattet.
In den Vorjahren waren russische Musikformationen mit Marschmusik aus Kriegstagen aufgetreten, unter reger Anteilnahme nicht nur der russischsprachigen Besucher. Diese „militarisierten Erinnerungsformen“, wie Museumsdirektor Morré es nennt, sollten völlig aus dem Haus gebannt werden. „Wir sind ja eigentlich ein Museum. Doch durch die Reaktionen unserer Besucher auf unser klares Statement für die Ukraine ist uns bewusst geworden, dass viele Besucher uns als Gedenkort wahrnehmen.“
Das hätte er an zahlreicher Kritik gemerkt, mit der ihn am Sonntag Besucher konfrontierten, weil die russische Fahne abgehängt war. Sie sahen den Dank für die Befreiung durch die Sowjetunion nicht gebührend gewürdigt.
Es war der evangelische Gemeindepfarrer Edgar Dusdal, der für dieses Dilemma die richtigen Worte fand. „Der Dank für unsere Befreiung bleibt gültig, auch wenn wir die Freude heute nicht ungeteilt empfinden.“
Evangelischer Gemeindepfarrer Edgar Dusdal
Den Gottesdienst hielt er gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen Wilhelm Steenken in einem Zelt direkt vor einem mit Blumen geschmückten sowjetischen Panzer. Der ökumenische Gottesdienst wird dort jedes Jahr am 8. Mai gefeiert. Lange hatte auch ein Priester der Russisch-Orthodoxen Kirche aus Karlshorst daran teilgenommen. In diesem Jahr hatten das Haus und die anderen Kirchen ihn nicht eingeladen, weil, so Dusdal, „wir nicht wissen, ob sie das für Kriegspropaganda nutzt“.
Die Russisch-Orthodoxe Kirche in Karlshorst besteht seit DDR-Zeiten, wo vor Ort auch die Sowjetische Militäradministration ihren Sitz hatte. Sie wurde abwertend „Außenstelle des KGB für die Seele“ genannt. Nach der Wende nahm sie einerseits eine große soziale Funktion als Treffpunkt für die stetig wachsende russische Community wahr. Auf der anderen Seite ist dort auch der Sitz von Erzbischof Teofan, dem geistigen Oberhaupt seiner Kirche für Deutschland. Wie Patriarch Kyrill in Moskau gilt er als extrem kremltreu.
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