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Feiern in KyjiwEinfach mal abtauchen

Um dem Kriegsalltag zu entfliehen, kann man in eine Bar gehen. Gerade wirkt der erste Cocktail – dann ertönt eine Sirene. Luftalarm.

Einmal mal abschalten: Eine Bar in Kyjiw Foto: Andrew Kravchenko/ap

Ein schwerer Tag. Eine schwere Woche. Ein schwerer Monat. Ein schweres Leben. Ich verabredete mich mit einem Kumpel, um irgendwo hinzugehen und abzuhängen. Im Januar 2022 hatten wir darüber gesprochen, uns gemeinsam irgendwo auszuruhen. Doch dazu kam es nicht und wir sprachen dann lange Zeit nicht mehr miteinander.

Am 27. Oktober schrieb ich ihm und machte den Vorschlag, zur Ablenkung mal etwas gemeinsam zu unternehmen. Zu meinem großen Erstaunen stimmte er zu. Das hatte ich nicht erwartet. Er schlug sogar selbst einen Ort vor, wohin wir gehen könnten. Ich war da leidenschaftslos, ich wollte einfach nur an nichts mehr denken und das verstand er sofort.

Wir trafen uns an der Kyjiwer U-Bahn-Station Arsenalna und gingen in einen Park, um eine Dose Kirschbier zu trinken. Nachdem wir darüber geredet hatten, was in den vergangenen acht Monaten alles passiert war, gingen wir in eine Kneipe. Auf die Frage, warum ich gekommen sei und worauf ich jetzt noch Lust habe, fiel mir nur eine Antwort ein, denn einen Neustart benötigt ja jeder und auch ich hatte das Gefühl, jetzt genau so einen Knopf zu brauchen.

In der Bar bestellten wir Cocktails – einen French 75 und einen Negroni, und ich begann in mir zu versinken … Ich löste mich in der Menge auf, in der Musik. Plötzlich war da nur noch Leere und ich verschwand.

Alexandr Babakov

23 Jahre, Chemiker aus Mykolajiwka, Ostukraine. Studium in Kyjiw, lebte mit Kriegsbeginn zwischenzeitlich in Lwiw. Kehrte dann nach Kyjiw zurück. Hilft Jour­na­lis­t*in­nen vor Ort. Und schreibt selbst Berichte.

Wir gingen rauchen und in diesem Moment ertönte eine Sirene. Auf den Telefonen ploppten Nachrichten auf – Achtung: Luftalarm. Das war uns komplett egal, doch irgendwie gefiel mir das auch. Gleichzeitig dachte ich: Diese Regeltreue kann doch nicht ewig dauern.

Weil die Sperrstunde um 23 Uhr beginnt, mussten wir um 21 Uhr aufbrechen, um noch rechtzeitig nach Hause zu kommen. Ich fuhr durch eine Lichtung (ein Ort, den Studierende meiner Universität gerne aufsuchen). Dort traf ich einen alten Bekannten. Alles endete damit, dass ich verbotenerweise mit in sein Wohnheim ging und dort bis zum Morgen weiter feierte.

Nachdem ich vier Stunden geschlafen hatte, ging ich zu meinem Lieblingscafé „Ogonjok“ (Funke), in der Nähe eines Bierladens. Ich griff nach einem Filter, dreht mir eine Zigarette und dachte daran, dass ich bald nach Berlin würde fahren dürfen. Eigentlich wollte ich vor meiner Abreise nochmal ins „Ogonjok – eigentlich. Ruhe ist gut, aber etwas tun ist besser.

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