Heimkehr aus dem westukrainischen Exil: Zurück in Kyjiw

Hundert Tage befand sich unser Autor in Lwiw. Jetzt ist er wieder in der Hauptstadt. Und merkt, dass dort nichts mehr ist wie früher.

Menschen gehen über einen Zebrastreifen im Abendlicht

Kiew Anfang Juli Foto: Oleg Petrasyuk/epa

Ich habe Kyjiw am ersten Tag des russischen Großangriffs auf die Ukraine verlassen. Seit diesem Tag habe ich die Geräusche der ersten Detonationen im Kopf und das Dröhnen der Hubschrauber über Hostomel. Das Kriegs-Kyjiw habe ich kaum gesehen, ich erinnere mich nur an Staus und verstörte Menschen in der Metro.

Jetzt ist Sommer in Kyjiw. Hundert Tage nach der Evakuierung bin ich in die Stadt zurückgekehrt, in der ich die letzten sechs Jahre gelebt habe. In diesen sechs Jahren habe ich meine Heimatstadt verloren – sie ist jetzt von Russland besetzt, ich habe mein Elternhaus verloren – es wurde zerstört.

Kyjiw ist jetzt meine einzige Heimat, und ich möchte sie gerne behalten. In meiner alten Wohnung kann ich nicht mehr wohnen – dort sind überall Kampfeinheiten. Als ich das Haus verließ, sahen mich die Nachbarn wie einen Verräter an. Ich, Untermieter, kann einfach wegfahren, während es für sie die einzige Bleibe ist.

Kyjiw ist jetzt eine ganz andere Stadt. Der Wald, in dem ich früher gerne spazieren ging, ist von Flatterband und „Minen“-Schildern umgeben. Der Fluss Dnipro, einst Lieblingsfreizeitort der Kyjiwer, ist zu einem Massengrab für die russischen Landungstruppen geworden. Mehrere ihrer Hubschrauber sind über Kyjiw abgeschossen worden, und jetzt assoziiert man den Fluss nicht mehr wirklich mit Freizeit.

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Viele Besitzer bekannter Cafés haben nicht wieder aufgemacht – entweder weil sie kein Geld mehr für Miete und Löhne hatten. Oder weil sie auf bessere Zeiten warten. Der Krieg hat Kyjiw verschont, die Hauptlast lag auf den Vororten, aber noch sind nicht alle bereit, zurückzukehren. Und deshalb brennt nur hinter der Hälfte der Fenster meines Wohnhauses abends Licht.

Aber es gibt auch einiges, was verlässlich gleich geblieben ist. Nach wie vor ist es schwierig, eine Wohnung zu mieten, wenn man in der Region Donezk registriert ist: „Vielleicht sind Sie ja ein Saboteur?“, fragt der Immobilienmakler verschreckt am Telefon.

Kyjiw. Über dir schwebt weiter die Gefahr, jeden Tag hört man die Sirenen des Luftalarms in der Stadt, aber jetzt sind wir wieder vereint. Verzeih mir, dass ich Dich verraten und verlassen habe in diesen schrecklichen Tagen im Februar.

Jeder hier hofft, dass die Stadt das Schlimmste hinter sich hat. Fast jeder kennt jemanden im russisch besetzten Süden oder Osten des Landes. Kyjiw ist jetzt eine friedliche Stadt. Politiker von Weltrang und internationale Stars kommen hierher. Aber ich brauche das nicht. Ich möchte einfach, dass alles wieder wie früher ist. Und weiß doch, dass es so nie wieder sein wird.

Aus dem Russischen von Gaby Coldewey

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stammt aus der Ostukraine und war nach Beginn des Krieges im Donbass 2014 nach Kyjiw gekommen. Am ersten Kriegstag 2022 war er nach Lwiw geflohen, nach 100 Tagen ist er zurück in Kyjiw. Er war Teilnehmer eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.

Eine Illustration. Ein riesiger Stift, der in ein aufgeschlagenes Buch schreibt.

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