Fehler und Konsequenzen bei Männern: Über Entschuldigungsorgien
Mächtige Männer bauen Mist und kommen mit Entschuldigungen davon. Nicht alle teilen dieses Privileg – dabei sollten alle Fehler machen dürfen.
![Christian Lindner mit Mundschutzmaske Christian Lindner mit Mundschutzmaske](https://taz.de/picture/4162242/14/lindner-maenner-privilegien-entschuldigung-1.jpeg)
Es gibt Menschen, die tun sich schwer mit der Entschuldigung. Sture Menschen oder stolze. Und dann gibt es diejenigen, die die Nützlichkeit einer Entschuldigung erkannt haben: Strategen und Opportunisten. Eine Entschuldigung sprechen sie leichtsinnig aus. Aufrichtig ist sie selten.
Vergangenen Sonntag wurde FDP-Chef Christian Lindner dabei fotografiert, wie er den belarussischen Honorarkonsul Steffen Göpel zur Verabschiedung im Borchardt-Restaurant umarmte. Abstand und Maske? Fehlanzeige. Das Foto ließ an der Glaubwürdigkeit Lindners zweifeln, der auf Lockerungen drängt und fordert, auf mündige Bürger:innen zu vertrauen.
Die spontane Umarmung sei ein Fehler gewesen, entschuldigte sich Lindner später. Unkonzentriert sei er gewesen; am Ende, so Lindner, „bleibt man Mensch“. Gut, kann man sagen, auch Politiker machen Fehler. Schlimm war aber nicht die sorglose Umarmung, sondern Lindners Entschuldigung. Wie viel ist eine Entschuldigung wert, wenn hinter ihr jemand steht, bei dem man gezielte Unaufrichtigkeit vermutet?
Die zeigte sich schon im Februar: FDP-Kandidat Thomas Kemmerich ließ sich sich da in Thüringen von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen. Und Lindner? Der gab sich bestürzt und behauptete, Kemmerich sei überrumpelt worden.
Sich von sich selbst distanzieren
Dabei hatte AfD-Chef Björn Höcke der FDP zuvor die Zusammenarbeit angeboten. Im Bundestag entschuldigte sich Lindner später, dass seine Partei der AfD ermöglicht hatte, „die parlamentarische Demokratie zu verhöhnen“. Kauft man ihm das ab?
Auch Joseph Wilhelm, Chef des Bioherstellers Rapunzel, entschuldigte sich diese Woche. In mehreren „Wochenbotschaften“ hatte er zuvor Verschwörungsmythen zur Coronapandemie verbreitet. In den sozialen Netzwerken wurde er dafür kritisiert, zahlreiche Läden erwogen einen Verkaufsstopp von Rapunzel-Produkten. Wilhelm wusste: Jetzt hilft nur noch eine Entschuldigung. Er distanzierte sich von sich selbst und gab sich „betroffen“. Alles nicht so gemeint. Vergeben und vergessen.
Es ist ein Privileg, wenn Männer wie Lindner und Wilhelm darauf vertrauen, dass ihr Verhalten mit einer einfachen Entschuldigung revidiert werden kann. Andere Menschen dagegen zahlen einen hohen, manchmal existenziellen Preis, wenn sie Fehler machen. Fehler sollten allen erlaubt sein, sie sind es aber nur wenigen. Eine aufrichtige Öffentlichkeit bedenkt diese Ungleichheit bei Entschuldigungsorgien wie diesen.
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