piwik no script img

Fehler und Konsequenzen bei MännernÜber Entschuldigungsorgien

Mächtige Männer bauen Mist und kommen mit Entschuldigungen davon. Nicht alle teilen dieses Privileg – dabei sollten alle Fehler machen dürfen.

Christian entschuldigt sich und glaubt, dass damit alles wieder in Ordnung wäre Foto: Kay Nietfeld/dpa

Es gibt Menschen, die tun sich schwer mit der Entschuldigung. Sture Menschen oder stolze. Und dann gibt es diejenigen, die die Nützlichkeit einer Entschuldigung erkannt haben: Strategen und Opportunisten. Eine Entschuldigung sprechen sie leichtsinnig aus. Aufrichtig ist sie selten.

Vergangenen Sonntag wurde FDP-Chef Christian Lindner dabei fotografiert, wie er den belarussischen Honorarkonsul Steffen Göpel zur Verabschiedung im Borchardt-Restaurant umarmte. Abstand und Maske? Fehlanzeige. Das Foto ließ an der Glaubwürdigkeit Lindners zweifeln, der auf Lockerungen drängt und fordert, auf mündige Bürger:innen zu vertrauen.

Die spontane Umarmung sei ein Fehler gewesen, entschuldigte sich Lindner später. Unkonzentriert sei er gewesen; am Ende, so Lindner, „bleibt man Mensch“. Gut, kann man sagen, auch Politiker machen Fehler. Schlimm war aber nicht die sorglose Umarmung, sondern Lindners Entschuldigung. Wie viel ist eine Entschuldigung wert, wenn hinter ihr jemand steht, bei dem man gezielte Unaufrichtigkeit vermutet?

Die zeigte sich schon im Februar: FDP-Kandidat Thomas Kemmerich ließ sich sich da in Thüringen von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen. Und Lindner? Der gab sich bestürzt und behauptete, Kemmerich sei überrumpelt worden.

Sich von sich selbst distanzieren

Dabei hatte AfD-Chef Björn Höcke der FDP zuvor die Zusammenarbeit angeboten. Im Bundestag entschuldigte sich Lindner später, dass seine Partei der AfD ermöglicht hatte, „die parlamentarische Demokratie zu verhöhnen“. Kauft man ihm das ab?

Auch Joseph Wilhelm, Chef des Bioherstellers Rapunzel, entschuldigte sich diese Woche. In mehreren „Wochenbotschaften“ hatte er zuvor Verschwörungsmythen zur Coronapandemie verbreitet. In den sozialen Netzwerken wurde er dafür kritisiert, zahlreiche Läden erwogen einen Verkaufsstopp von Rapunzel-Produkten. Wilhelm wusste: Jetzt hilft nur noch eine Entschuldigung. Er distanzierte sich von sich selbst und gab sich „betroffen“. Alles nicht so gemeint. Vergeben und vergessen.

Es ist ein Privileg, wenn Männer wie Lindner und Wilhelm darauf vertrauen, dass ihr Verhalten mit einer einfachen Entschuldigung revidiert werden kann. Andere Menschen dagegen zahlen einen hohen, manchmal existenziellen Preis, wenn sie Fehler machen. Fehler sollten allen erlaubt sein, sie sind es aber nur wenigen. Eine aufrichtige Öffentlichkeit bedenkt diese Ungleichheit bei Entschuldigungsorgien wie diesen.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Es ist ein Privileg wenn eine Entschuldigung wegen einer Körpernähe von in Zeiten von Corona angenommen wird?



    Was ist denn der Normalfall? Hand abhacken?

  • Herrn Wilhelm kann ich nicht einschätzen. Was Herrn Lindner betrifft, so nehme ich ihn das nicht ab. Er ist ein Medienmensch. Er feilt minutiös an seiner öffentlichen Wirkung. Da fällt es schwer, ihn so etwas als ein faux pas abzunehmen.