Fehlende digitale Barrierefreiheit: Onlineshops haben zu viele Hürden
Die Hilfsorganisation Aktion Mensch und Google haben Onlineshops getestet. Das Ergebnis sei „ernüchternd“. Die meisten sind nicht barrierefrei.
Hürden verstecken sich nicht im Detail. Schon Auswahl und Kauf eines roten Kleides in der passenden Größe sei – ohne Benutzen der Maus – online schwer möglich, berichtet Sophie Geiken. Sie ist eine der Expert*innen, die die Onlineshops getestet haben, und selbst körperlich oder kognitiv beeinträchtigt sind. Geiken ist Protagonistin eines der kurzen Videos, die in Kürze online gehen, und Hilfestellung bei der Beseitigung digitaler Hürden leisten. Gerade für Menschen, die schlecht oder gar nicht sehen können, seien Bedienungshilfen wie die Maus das falsche Instrument. Online-Shops böten zwar oft Umwege über die Tabulatur-Taste – aber gerade mit der könne man die passende Kleidergröße selten auswählen.
Jürgen Dusel, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, sieht im Fehlen digitaler Barrierefreiheit ein „massives Exklusionsrisoko“. Auch Christina Marx von der Aktion Mensch nennt die Ergebnisse „ernüchternd“: Im Vergleich zum Vorjahr schnitten die Shops noch schlechter ab. Gerade einmal 15 der 71 getesteten Onlineshops erfüllen die Mindestanforderung digitaler Barrierefreiheit: „Bedienung durch Tastatur möglich“. 56 Shops scheiterten demnach bereits an der ersten Hürde und fielen durch.
Ab Juni 2025 sind digitale Hürden keine Option mehr: Als Barrierefreiheitsstärkungsgesetz wird der European Accessibility Act (EAA) ins nationale Recht überführt und Unternehmen, die die Vorgaben nicht erfüllen, sanktioniert. Das Gesetz verpflichtet Digitaldienstleister, ihre Angebote auf digitale Barrierefreiheit – eigentlich Kernkompetenz der usability – zu prüfen und an die Vorgaben anzupassen. Das Gesetz gilt für alle Digitaldienstleister, ausgenommen sind nur kleine Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Umsatz unter zwei Millionen Euro. Bei Nichterfüllung drohen Strafen bis 100.000 Euro.
Unternehmen wird geholfen
Unabhängig vom Gesetz sei aber wichtig, dass Unternehmen verstehen, dass Barrierefreiheit ureigene betriebswirtschaftliche Interessen beträfe, appelliert Dusel. Rund 12.5 Millionen Menschen hierzulande seien beeinträchtigt, acht Millionen davon schwer. Entgegen der allgemeinen Wahrnehmung leben diese Menschen aber nicht „im Heim und geben kein Geld aus.“ Nur rund 800.000 der Betroffenen bezögen Sozialleistungen vom Staat. Unternehmen gäben viel Geld aus, um neue Zielgruppen zu erschließen. „Warum dann gut ein Zehntel der Bevölkerung vom Einkauf ausschließen?“, kritisiert Dusel.
Die UN-Behindertenrechtskonvention hat Deutschland bereits 2009 ratifiziert, hier gehe es also um keine „Charity-Veranstaltung“ oder „etwas Nettes, was wir tun“, betont Jürgen Dusel. Im Zuge der Digitalisierung im Nachhinein zu merken: „Die ist nicht barrierefrei!“ ist keine Option. Neben der tiefen sozialen Dimension, sei Digitale Barrierefreiheit eben auch „Qualitätsstandard moderner Infrastruktur“. Dusel, selbst stark in seiner Sehkraft beeinträchtigt, stößt noch auf viele Hürden: „Versuchen Sie doch mal, mit geschlossenen Augen einen Geldautomaten mit Touchscreen zu bedienen“.
Hilfe stehe bereit sagt Michael Wahl, Leiter der Überwachungsstelle für Barrierefreiheit und Informationstechnik des Bundes. Die Stelle berät neben dem öffentlichen Sektor auch Unternehmen hinsichtlich Barrierefreiheit. Hohes Potenzial bietet laut Wahl die Künstliche Intelligenz: Wollten anspruchsvollere Dienste in Anspruch genommen werden, wie die barrierefreie Darstellung von Graphen oder Schaubildern, helfe die Tab-Taste selten. Es herrscht aber Informationsfreiheit – die muss also auch digital barrierefrei garantiert werden.
Gerade mal zwölf der untersuchten Onlineshops seien soweit barrierefrei, dass die meisten Tester*innen sie nutzen konnten. In Richtung der anderen ist der Appell klar: „Fangt nicht erst in einem Jahr an, euch das anzuschauen!“. Digitale Barrierefreiheit zu gewährleisten, sei weder schwer noch teuer – wenn die Barrierefreiheit bei der Programmierung auch mitgedacht wird.
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