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„Faulenzerdebatte völlig verfehlt“

Wirtschaftswissenschaftler Gerd G. Wagner hält die Ergebnisse des Berichts für begrenzt aussagekräftig

taz: Die gegenwärtige Debatte um den Sozialstaat dreht sich einseitig um Arbeitslose. Müsste die Politik nach dem Bericht nicht stärker am anderen Ende der Gesellschaft ansetzen, bei den Reichen?

Gert G. Wagner: Mal abgesehen davon, dass man Reiche nicht für ihren Reichtum bestrafen darf, bringt die Studie in Hinblick auf Reichtum auch keine wirklich aussagekräftigen Zahlen.

Weshalb nicht?

Bei den vorgelegten Zahlen handelt es sich nur um eine untere Schätzung von Einkommensreichtum. Gerade wenn sehr hohe Einkommen erzielt werden, gibt es viele legale Absetzmöglichkeiten. Das, was dann in der Steuerstatistik an Einkommen auftaucht, ist im ökonomisch-theoretischen Sinne nicht das volle Einkommen. Deswegen dürfte die Zahl der Einkommensmillionäre deutlich höher sein als in dem Bericht ausgewiesen.

Sie sagen, Reiche dürfen nicht für ihren Reichtum bestraft werden. Sind mit Blick auf die Reichen denn keine politischen Folgerungen aus dem Bericht zu ziehen?

Aus wissenschaftlicher Sicht enthält die Studie keine neuen Ergebnisse zu Reichtum, die jetzt eine neue Umverteilungsdiskussion zwangsläufig machen. Auch nach dem Reichtumsbericht nimmt es der Gesellschaft und dem Parlament niemand ab, in einem politischen Entscheidungsprozess festzulegen, wie eine „gerechte“ Besteuerung auszusehen hat. Das ist und bleibt eine politische Entscheidung.

Wenn jemand Sozialhilfe beantragt, dann in der Regel deshalb, weil er arbeitslos ist. In der aktuellen Debatte hat man eher den Eindruck, dass Sozialhilfeempfänger einfach nicht arbeiten wollen.

Die Faulenzerdebatte halte ich für völlig verfehlt. Richtig ist der Ansatz, durch eine bessere Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialämtern Arbeitslose schneller in Beschäftigung zu bringen. Denn wer den Stempel des Langzeitarbeitslosen hat, findet nur sehr schwer wieder einen Arbeitgeber.

Gerade allein erziehende Frauen haben es schwer auf dem Arbeitsmarkt. Zusammen mit kinderreichen Familien sind sie am stärksten von Armut betroffen. Zeigt nicht nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nun auch die Studie, dass die Politik stärker bei Familien ansetzen muss?

Dass Verfassungsgericht hat schon das richtige Problem diagnostiziert, macht aber einen völlig falschen Therapievorschlag. Wenn die Beiträge zur Pflege- oder auch zur Rentenversicherung für Kindererziehende künftig gesenkt würden, brächte das denen ein paar Mark mehr Nettoeinkommen pro Monat. Damit wäre ihnen aber nicht wirklich geholfen, denn das größte Problem ist, gerade auch bei Alleinerziehenden, dass sich Kindererziehung und Erwerbstätigkeit nur schwer miteinander vereinbaren lassen. Viel mehr als mit monetären Transfers hilft man Kindererziehenden, wenn man die Kinderbetreuung im Vorschul- und Grundschulalter verbessert. INTERVIEW: NICOLE MASCHLER

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