: Das Loch in der Familie
Wütende Töchter, trauernde Mütter, eine verdrängte Vergangenheit, Sehnsucht und der Witz unter Geschwistern: Im Maxim Gorki Theater hat Nurkan Erpulat „Dschinns“ inszeniert nach dem Familienroman von Fatma Aydemir
Von Katrin Bettina Müller
Da rastet etwas ein. Kaum sehen sie sich, Mutter und Tochter, ahnen beide die Kröten, die gleich ausgespuckt werden. Und wappnen sich mit Härte. Wie konnte die Mutter sie nur verlassen, als Kind allein im Dorf bei den Großeltern lassen, als sie nach Deutschland ging? Wie konnte sie ihr nur die Schule vorenthalten?
Sevda (Çiğdem Teke), die Tochter, hadert mit ihrem erschwerten Start, bei jeder Begegnung mit der Mutter, auch als sie eigentlich gekommen ist, um mit den Geschwistern und der Mutter um den gestorbenen Vater zu trauern. Und Emine, die Mutter (Melek Erenay), reagiert nicht minder verbittert auf die nie zufriedene Tochter. Wie sie sich gleichen in ihren Handlungsmustern, das sehen beide und es erschreckt sie.
Romane, deren Lektüre noch frisch ist und die einen kraftvoll hineingesogen haben in die einzelnen Figuren, für die Bühne adaptiert zu sehen, ist mit einem hohen Risiko behaftet. Aber diesmal geht es gut. Die Stückfassung, die der Regisseur Nurkan Erpulat und der Dramaturg Johannes Kirsten nach dem Roman „Dschinns“ von Fatma Aydemir für das Gorki Theater entwickelt haben, transportiert viel von den Emotionen des Romans. Auch das Spiel lebt von der genauen Beobachtung, mit der die Autorin, die auch eine Redakteurin der taz ist, die zwischen Erwartungen und Vorurteilen sich verengenden Handlungsspielräume in der Familie ausgeleuchtet hat. Die Dialoge transportieren viel von der Verzweiflung, aber auch von dem Witz, mit dem sich die vier Geschwister einen Weg aus dem Erwartungsdruck suchen. Der kommt einerseits von ihren aus der Türkei nach Deutschland gegangenen Eltern und andererseits von dem Blick auf „die Türken“ von deutscher Seite.
Erzählende Passagen, in denen eine Figur, wie zum Beispiel eingangs der Vater, aus der Perspektive der anderen vorgestellt wird, wechseln ab mit Dialogszenen, mit getanzten Bildern – so wird etwa die Liebe des jüngeren Sohns Ümit zu einem Freund auf die Bühne gebracht. Dann wieder gibt es schnell hingeworfene, mit Mitteln der Überzeichnung witzig erzählte Szenen. So werden die Beziehungen in der Familie, aber auch die Dämonen, die sie umtreiben, bald greifbar.
Mit auf der Bühne ist Anthony Hüseyin, ein*e nicht-binäre*r Singer-Songwriter*in und Performer*in, die/der mit ihren/seinen Liedern in türkisch, englisch und kurdisch den Raum und die Zeit zwischen den schnell gespielten Szenen dehnt und die Sehnsucht nach etwas Verlorenem und Vermissten einbringt, sei es Heimat, Kindheit, Liebe.
Und Anthony Hüseyin spielt Ciwan, ein rätselhafte Figur, die, weil sie so schwer zuzuordnen ist, die Familie herausfordert. In einer der schönsten Szenen tanzen Peri (Aysima Ergün) und Ciwan auf einem kleinen Tisch, Peri ist offensichtlich verliebt und will berührt werden, aber Ciwan entzieht sich.
Das Sich-Entziehen, das Stummbleiben, das Schweigen, die vielen unbeantworteten Fragen: das gehört zu den Verhaltensweisen der Eltern, an denen sich die vier Geschwister abarbeiten und die sie verrückt machen. Peri nennt es einmal „das Loch in der Familie“, eben als sie sich um Ciwan wickeln will und er sie fernhält.
Dass es dabei auch um ein Familiengeheimnis geht, um ein verlorenes Kind, einen nie mehr zu kittenden Bruch des Vertrauens zwischen Emine und ihrem Mann, ist das eine Element der Spannung, das die Geschichte vorantreibt. Ein anderes ist die langsame Erkenntnis, dass auch ihre Familie eine verdrängte kurdische Vergangenheit hat.
Das Maxim Gorki Theater hat schon viele Geschichten über die biografische Brüche auf den Wegen der Migration erzählt, von der Verlorenheit zurückgelassener Kinder, von der Scham der zweiten Generation über die Schwächen ihrer Eltern. Auch in „Dschinns“ gibt es eine Szene, in der der ältere Sohn Hakan (Taner Şahintürk) sich schmerzhaft darin erinnert, wie unterwürfig sein Vater der deutschen Polizei begegnete, die den Sohn beim Kiffen und Sprayen erwischt hatte.
Mehr aber noch legt die Inszenierung den Fokus auf die Frauen, auf ihren Anteil an der Tradierung von patriarchalen Rollenbildern.
In einer der letzten Konfrontationen geht Sevda mit ihrer Mutter streng ins Gericht: „Es mag stimmen, dass Männer das Sagen haben, ja, es ist 1999, verdammt noch mal, und es ist immer noch so. Aber damit sie das können, damit sie für immer alles bestimmen, dafür brauchen sie Menschen wie dich. Frauen, die andere Frauen für immer kleinhalten.“
Wieder am 6. und 21. März im Gorki Theater
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