Fast wie früher: Gewerkschaften kuscheln mit SPD
Kurz vor der Landtagswahl in Niedersachsen rufen Gewerkschafter dazu auf, Stephan Weil zu wählen. Dabei liegen einige von ihnen mit der SPD über Kreuz.
HANNOVER taz | Im Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CDU kurz vor der Landtagswahl in Niedersachsen haben sich nun mehr als 250 GewerkschafterInnen zu Wort gemeldet. Sie rufen die WählerInnen auf, am Sonntag für Ministerpräsident und SPD-Spitzenkandidaten Stephan Weil abzustimmen. Etwas schräg: Unter den Unterzeichnern sind auch Gewerkschafter, die derzeit zehn Klagen von Schulleitern gegen das SPD-geführte Bildungsministerium unterstützen.
Initiator der „Initiative Weil“ ist der mittlerweile pensionierte ehemalige IG Metall-Bezirksvorsitzende Hartmut Meine aus Hannover. Er will den Aufruf nicht als Wahlempfehlung für die SPD verstanden wissen, sondern ausschließlich als Aufruf zur Wahl von Stephan Weil – das Ergebnis wäre freilich dasselbe.
„Wir finden Stephan Weil gut, weil er gut mit Betriebsräten umgeht“, sagt Meine, der selbst auch SPD-Mitglied ist. Den UnterzeichnerInnen des Aufrufs gehe es um eine Würdigung von Weils Umgang mit den Gewerkschaften und deren Forderungen. Zum Beispiel habe man Niedersachsens Noch-Regierungschef die Abschaffung der Studiengebühren, eine Forderung auch der IG Metall, nicht vergessen, sagt Meine.
Mit Rot-Rot-Grün nicht wirklich unzufrieden
Unter den mittlerweile über 280 Unterzeichnern des Wahlaufrufs seien auch Mitglieder von Linken und Grünen, sagt Meine. Koalitionsaussagen treffe die Initiative aber ganz bewusst nicht. Der pensionierte Gewerkschafter lässt aber dann doch durchblicken, dass er mit einer rot-rot-grünen Regierungskoalition nicht unzufrieden wäre. Ob den Linken der Wiedereinzug in den neuen Landtag wirklich gelingen wird, ist allerdings noch völlig offen. Aktuelle Umfragen sehen die Partei immer so zwischen 4,5 und fünf Prozent.
Der amtierende Ministerpräsident Weil scheint von der Koalitionsoption, wie sie seinen Unterstützern vorschwebt, aber nicht begeistert. „Schon 2013 habe ich gesagt, dass ich nicht unter Ausschließeritis leide. Aber ich gebe mir persönlich die größte Mühe, dafür zu sorgen, dass die Linke wieder unter 5 Prozent bleibt“, sagte Weil erst kürzlich in einem Interview mit der taz. „Das ist seine Entscheidung. Wir müssen nicht mit allem übereinstimmen“, kommentiert Meine das.
Interessant ist, dass unter den Unterzeichnern der „Initiative Weil“ auch mindestens zwei Vertreter der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) sind.
Einer von ihnen ist Eberhard Brandt, der bis zum 25. September Landesvorsitzender der niedersächsischen GEW war. Der andere ist Andreas Gehrke, der ist Schatzmeister des Landesverbandes. Gehrke, der nach eigenen Angaben auch SPD-Mitglied ist, sagt, er habe die Hoffnung auf ein weiterhin SPD-geführtes Bildungsministerium. Eine Differenz zwischen der SPD-Bildungspolitik und den Positionen der GEW sehe er „eher nicht“.
Interessant ist hier, dass es gleichzeitig eben jene GEW ist, die derzeit wegen hoher Arbeitsbelastung von Grundschullehrern vor zehn Klagen von Schulleitern vor Verwaltungsgerichten unterstützt. „Wir senden damit ein Signal an alle politisch Verantwortlichen“, sagte die heutige GEW-Landesvorsitzende Laura Pooth bei der Klageankündigung vor rund vier Wochen. „Wir erwarten, dass die Arbeitszeitverordnung für Lehrer an die Realität angepasst wird.“
Doch verantwortlich ist dafür vor allem Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD). Auch schon früher hatte es Ärger um die Arbeitszeit von LehrerInnen gegeben. 2015 kassierte das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung für Gymnasiallehrer von 23,5 auf 24,5 Wochenstunden als rechtswidrig.
Für Gehrke ist das alles kein Widerspruch. Mit der Abschaffung der Studiengebühren und der Rückkehr zum G9-Abitur habe man mit der Landesregierung unter Weil eben gute Erfahrungen gemacht.
Gewerkschaft will ihr größeres Übel verhindern
Gerade für die GEW könnte es bei dem Aufruf für Weil aber auch um die Verhinderung eines aus ihrer Sicht größeren Übels gehen: Mit dem CDU-Spitzenkandidaten Bernd Althusmann verbinden die GewerkschafterInnen nämlich keine guten Erinnerungen. Althusmann war zwischen 2010 und 2013 Kultusminister, in seine Amtszeit fiel unter anderem ein Streit über den Einsatz von Honorarkräften in Ganztagsschulen, der sogar die Deutsche Rentenversicherung wegen des Verdachts der Scheinselbstständigkeit auf den Plan rief.
Im aktuellen Landtagswahlkampf versprechen die Christdemokraten unter anderem ein Moratorium bei der Inklusion. „Die CDU steht nicht für eine fortschrittliche Bildungspolitik in Niedersachsen“, sagt Gehrke.
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