Fashion Week zieht nach Frankfurt: Das Schöne, das bleibt
Die Berlin Fashion Week war ein Ausdruck von Freiheit, nun geht sie nach Frankfurt. Der Style aber wird bleiben.
W arst nichts, wirst was, sagt man im gutgekleideten Bayern. Dass man in Berlin nicht besonders gut angezogen herumläuft, war schon immer ein Hass-Bonmot aller Hamburger, Düsseldorfer und Münchner gegen Berlin. Aber schon in den verpunkten 80ern machten die schon damals vor allem bayerischen Neu-Berliner*innen „jeder sexuellen Begabung“ (Jürgen Fliege) aus dieser Not eine Jugend statt einer spießigen Tugend: Sie erfanden Mode nicht nur im SO36 subkulturell neu mit Ledermode, Fetischen und sonstigem Körperschmuck. Das Ganze ging dann post-89 über in den modischen Too-much-Techno-Massenhype und den verlumpten Grunge-Look des End-90er-Prenzlauer-Berg.
Dazu entstand eine von der weißen, christlichen Modeindustrie des Westens eurozentristisch ignorierte, völlig neue migrantische Street Wear, die Eleganz mit Orient, E mit U selbstreferenziell und für Deutsche ungewohnt cool und lässig aufs Feinste kombinierte. Unvorstelllbar noch Anfang der nuller Jahre, dass High Fashion einmal als gelebte und geliebte Diversity daherflaniert: dass gepimpte Pop-Diven in pinken Sneakers statt schwarzen Heels auftreten, schwarz umrandete Retrobrillen in Frauengesichtern pure Erotik sind und von der Cosmo als Geek-Style auf dem Titel gepriesen werden oder dass „Kopftuch-Mädchen“ zu stolzen Mode-Ikonen des World Wide Web werden.
Das große und bleibende Verdienst der Berlin Fashion Week (BFW) wird es ewig bleiben, all diese Trends erkannt, integriert und forciert zu haben – und damit die Welt ein wenig zum Guten hin mitverändert zu haben. Trotz des politisch gewollten Hipster-Hypes darum und eines teils absurden Herbeikarrens von C- bis Y-Prominenz, um Weltniveau herbeizucyceln – ökonomisch war die BFW ein größenwahnsinniges Totalversagen typisch Berliner Selbstüberschätzung. Auf Kosten realer Sozialpolitik.
Soziokulturell aber steht die Berliner Mode bei kreativen Individualist*innen von Barcelona bis Rio, von Tokio bis Napoli, von LA bis NYC heute als Synonym für Freiheit. Und begann nicht jede Freiheit modisch, von der Florentiner Renaissance und der Französischen Revolution über die Black Panther und die Christopher Street bis zum juvenilen Arabischen Frühling mit und ohne Hidschab?
Freiheit heißt eben auch ganz praktisch, dass jede*r morgens oder abends selber entscheiden darf, was er oder sie anzieht. Dass man heute in Rio das Wort „Alemao“ nicht mehr nur als gängige Bezeichnung für schießwütige Fascho-Cops benutzt und man heute am Strand von Tel Aviv beim Höllenwort „Deutschland“ nicht mehr nur an das Land des Todes, sondern auch an eine urbane Queer-Kultur des Lebens und Lebenlassens denkt, das ist der wahre Erfolg des Berlin-Styles als Folge der BFW.
Schweigen wir an dieser Stelle einmal von den modischen Sünden, die dort allzuoft präsentiert wurden unter dem hässlichen Deckmantel vermeintlich antispießiger Avantgarde, welche selbst oft rein konformistisch dahermarschiert in ihrer dumpfen Klobigkeit neopietistischen Körperhasses, und die nach den Regeln des Marktes wohl nichts weiter waren als marktschreierisches PR-Geheische um Klickzahlen für prätentiöse Hässlichkeit.
Weg, weg, jetzt ist sie weg. Und nur wenige werden sie direkt vermissen. Aber vielleicht wird es mit der oft totgesagten BFW so sein wie mit der Kultur der Maya, die heute noch fast jedes Kind kennt, das was auf sich hält. Und wirkliche Fashion-Ikonen finden heute ihre schönen lila Adidas-Blousons einfach so auf der Straße in Neukölln. Mehr sexy war nie.
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