Fashion Week Berlin: „Sich verlieren in Berlin“

Warum Berlin eine Modestadt ist und eine Tendenz zum Eskapismus hat, erklärt der Modejournalist und Autor Fabian Hart im Interview.

Fashion Week Berlin: Ein Model auf einem Laufsteg

Eine Kreation des Labels „Riani“ auf der Berliner Fashion Week Foto: picture alliance/Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

taz: Ist Berlin eine Modestadt?

Fabian Hart: Diese Frage stellen sich Journalisten, glaube ich, mit jeder Saison, und das alleine ist ja auch schon ein Zeichen dafür, dass man sich da nicht einigen kann. Berlin ist Modestadt, auf jeden Fall, aber Berlin hat seine eigene Darstellungsform. Es gibt so viele unterschiedliche Orte der Mode in Berlin, und die finden nicht nur zur Fashion Week statt. Man darf sich nicht wundern, wenn bei der Fashion Week in Berlin auch konservativere oder bodenständigere Labels auftreten. Berlin ist natürlich sehr undeutsch, Berlin ist aber dennoch auch deutsch.

Was meinen Sie damit?

Das Undeutsche an Berlin ist, dass die Regeln dort neu geschrieben wurden, dass die Stadt selbst immer noch verwundet ist und das sehr anziehend für Menschen aus unterschiedlichen Städten und Ländern ist. Da ist eine Menge Platz und Raum, noch immer, für neue Ideen und Start-ups, für Kreation und Inspiration. Berlin ist als Stadt und aufgrund der Geschichte unglaublich spannend. Trotz aller Internationalität haben wir aber auch in Berlin eine deutsche Mode.

Fabian Hart, 1983 geborener Modeblogger, Influencer, Dozent an der Modeakademie AMD. Er lebt in New York, Berlin, Hamburg.

Was ist typisch „deutsch“ an der Mode?

Die Mode in Deutschland hat noch einen anderen Stellenwert als die Mode in Italien oder Frankreich. Der Deutsche möchte etwas konsumieren, das sich rentiert, er möchte etwas für sein Geld bekommen, und es muss immer irgendwie einen technischen Aspekt haben – gerne mal so einen Gadget. Die Sommerdaune ist deswegen beispielsweise so ein Dauerbrenner in Deutschland, weil man damit immer praktisch angezogen ist. Die Mode als Inspiration und Ausdrucksmedium der eigenen Persönlichkeit? Da halten sich die Deutschen bedeckt.

Ist die Stadt ein guter Ort für Menschen, die Mode machen wollen?

Berlin ist noch immer bezahlbar für einen jungen Menschen, der sich für eine Zeit einfach mal kreativ entfalten möchte. Im Vergleich zu anderen Mode-Metropolen kann ich hier kostengünstig ein Zimmer suchen und vielleicht auch eine Art Atelier. Diese Weiten und Strecken und Flächen, die gibt es kaum in einer anderen Stadt in Deutschland. Wenn man Raum und Fläche zur Verfügung hat, dann wird man auch größer in sich selbst.

Aber Berlin wird doch immer teurer …

Die Modemesse „Fashion Week“ findet zweimal im Jahr in Berlin statt. Bis Freitag werden Kollektionen und Innovationen zur Herbst/Winter-Saison 2020/21 gezeigt. Besonderer Schwerpunkt ist das Thema Nachhaltigkeit (Seite 24) – die Neonyt Trade Fair ist die weltweit größte Messe für nachhaltige Mode.

Zumindest rein zahlenmäßig steht die Berliner Fashion Week mit erwarteten 70.000 Messebesucher:innen und 15.000 Besucher:innen der 30 Modenschauen gar nicht so schlecht da im Vergleich zu den Big Four Paris, London, New York, Mailand. Laut einer Studie der Investitionsbank Berlin verdient das Land rund 33 Millionen Euro pro Jahr an der Fashion Week. Dafür beteiligt es sich auch mit Zuschüssen, Beteiligungen und diversen Förderprogrammen an Berlins modischer Zukunft.

Laut Senatsverwaltung für Wirtschaft hat Berlin auch sonst in Sachen Modebranche einiges zu bieten: 3.100 Unternehmen, 25.400 Beschäftigte, 6,3 Milliarden Euro Jahresumsatz (2017). (taz)

Aber du kannst dir hier immer noch ein Zimmer nehmen und durch Nebenjobs dein Leben finanzieren.

Was hat Berlin, was andere Metropolen nicht haben?

Berlin hat eine Tendenz zum Eskapismus, und die Club­kultur spielt eine wahnsinnige Rolle. Man kann sich in Berlin verlieren, und ich glaube, das ist wichtig. Selbstfindung ist so ein Karriereschritt geworden, alles wird sofort professionalisiert. Dieses „Aus der Uni raus und sofort wissen, was der nächste Step ist, und der Business-Plan ist längst geschrieben und jetzt geht’s los …“ Vielleicht braucht man manchmal aber auch Zeit, sich erst einmal zu verlieren. Natürlich nicht auf eine Art und Weise, die selbstzerstörerisch ist. Aber ich finde das durchaus legitim, gerade als Kreativer.

Was sagen Sie denen, die klagen, in Paris sei alles besser?

Das ist unfair. Natürlich kann Berlin als Modestandort noch nicht das bieten, was in Paris seit Jahrzehnten Tradition ist. Es ist ignorant, Berlin da ständig zu vergleichen. Berlin hat einen ganz anderen vibe als andere Modestädte. Vielleicht braucht Berlin so eine Modewoche gar nicht. Ich weiß es nicht.

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