Fanszene: Im Stadion überraschend friedlich

Fußballfans des VfV Hildesheim verprügeln einen Geflüchteten. Angeblich war es die „Trinkerszene“, keine Hooligans.

Keine Ultras, keine Problemszene: Fans des VfV Borussia Hildesheim Foto: Philipp Müller

HILDESHEIM taz | Eine Trommel und eine Fahne haben die Hildesheimer Fans dabei. Als einige beginnen, den Gegner zu beleidigen, ruft sofort jemand dazwischen: „Sing positiv für unsere Jungs!“ Lange hat sich der VfV Borussia 06 Hildesheim gut gehalten im Viertelfinale des Landespokals gegen den höherklassigen VfL Osnabrück. Erst in der 81. Minute bricht er ein: Aus einem 0:1 wird in wenigen Minuten ein 0:4, mit dem der Viertligist ausscheidet. Der überschaubare Fanblock bleibt bis zum bitteren Ende.

Ein größeres Aufgebot hat nicht nur der VfL Osnabrück mitgebracht, sondern vor allem die Polizei. Einsatzleiter Stefan Deutschländer zeigt sich überrascht, dass die Atmosphäre vor und während des Spiels so friedlich bleibt: „Bei so einem wichtigen Derby könnte es auch anders zugehen.“ Doch der VfV habe weder Ultras noch eine Problemszene.

Die Vorkommnisse nach einem Heimspiel gegen den VfB Lübeck sprechen eine andere Sprache: Am Hildesheimer Bahnhof kam es zu einem Übergriff von angetrunkenen Männern in VfV-Shirts gegen einen sudanesischen Geflüchteten. Sie schlugen ihn mit Holzlatten und beleidigten ihn fremdenfeindlich, woraus sich eine Schlägerei zwischen Asylsuchenden und Fußballfans entwickelte.

„Ich nehme ein Stück weit erleichtert zur Kenntnis, dass es keinen wirklich rechtsradikalen Hintergrund gibt“, sagte Ingo Meyer, der Hildesheimer Bürgermeister dem NDR. Stattdessen kämen die Täter aus dem „Trinkermilieu“. Der VfV sah sich dennoch gezwungen, nach dem Lübeck-Spiel Ende August vier Stadionverbote „wegen Beleidigungen sowie wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ auszusprechen.

Beunruhigend ist, dass die Verantwortlichen den fremdenfeindlichen Übergriff verharmlosen

Durch den Aufstieg in die Regionalliga stiegen die Zuschauerzahlen. Zum Pokalspiel kamen 1.000 Heim- und 170 Gästefans, gegen St. Pauli waren es sogar 3.000. „Aus der Region kommen immer mehr Zuschauer aller Milieus“, sagt VfV-Präsident Michael Salge. Darunter seien auch einige Ultras von Hannover 96, die „einen teils gewaltbereiten Hintergrund mitbringen“. Dennoch sieht er kein Problem auf seinen Verein zukommen. Dafür sorge die Kooperation mit der Polizei sowie die „klare Kante, dass rechtsradikale Zeichen bei uns keine Plattform finden“.

So spendet der VfV regelmäßig Heimspielkarten an Asylsuchende und der Stürmer Omar Fahmy gibt Einwandererkindern Nachhilfeunterricht. Von den VfV-Bannern „Fußball ist bunt, nicht braun“, die Salge als Engagement des Vereins verkauft, ist beim Pokalspiel allerdings nichts zu sehen.

Auch die zwei Fanclubs schieben die Schuld an den Vorfällen den hannover-96-affinen Fans zu: „Bei uns gab es zwei, drei rechte Idioten aus Hannover. Ich als echte Zecke bin froh, dass die raus sind“, sagt Klaus M. von den „Domstadtboys“. Mit zwölf Mitgliedern ist der zweite Club „Supporters 14“ noch etwas kleiner. Anton S., der Spross eines VfV-Verantwortlichen hat ihn jüngst gegründet. Im Gegensatz zu den Domstadtboys ist eine Überschneidung mit dem „Trinkermilieu“ bei seinen Anhängern eher abwegig. Klaus M. distanziert sich von den Vorfällen: „Wir kämpfen nur für unsere Mannschaft. Wer pöbelt, fliegt raus!“

Tatsächlich gibt es hier im Vergleich zu den Ultras anderer mittelklassiger Teams kaum Anzeichen für das Wachsen einer rechten Hooliganszene. Beunruhigend ist vielmehr, dass die Verantwortlichen den fremdenfeindlichen Übergriff verharmlosen. „Hier wollte man Hildesheim in eine Reihe mit Heidenau stellen. Das galt es zu relativieren“, sagt der parteilose Bürgermeister Meyer.

Eine Sprecherin der Geflüchtetenorganisation Pangea kritisiert: „In der Region gibt es schon seit Jahren rechtsextreme Strukturen.“ Es reiche nicht, wenn Fußballvereine Banner aufhängten und die Stadt sich als weltoffen lobe, weil ihre Bevölkerung sich gegenüber Geflüchteten kurzfristig hilfsbereit zeige. Die touristische Attraktivität seiner Stadt ist Bürgermeister Meyer offenbar wichtiger als die Vorbeugung und Aufklärung fremdenfeindlich motivierter Straftaten.

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