Fanproteste in Hoffenheim: Wer hat Angst vor Demokratie?
Im braven Hoffenheim wollen Fans den Mäzen Dietmar Hopp loswerden. Der protestreiche Start der Männersaison zeigt, wie Mitsprache sich Wege bahnt.
D ie Verantwortlichen der im Chaos versinkenden TSG Hoffenheim sind vor dem ersten Spieltag der Männer-Bundesliga hoch nervös. Gar einen Spielabbruch aufgrund von Schmähplakaten der eigenen Fans gegen Dietmar Hopp malte man an die Wand. Das Fanlager im Stadion hat der Klub räumen lassen, um kritische Plakate zu verhindern – eine Maßnahme, die man sonst aus dem Arsenal von Autokraten kennt und die an anderen Standorten schwerlich durchsetzbar wäre. Wer wegen 40 protestierender Ultras alle öffentlichen Register zieht, muss das Volk wirklich fürchten.
Protest von innen ist im Dorfklub ungewohnt und unerwünscht, schließlich hat Hoffenheim seit jeher Dankbarkeit gegenüber Mäzen Hopp zur Maxime erhoben. Doch es regt sich Demokratie im Hoppschen Fürstentum.
Schon vergangene Saison protestierten Fans gegen den mutmaßlich unlauteren Einfluss von Hopp-Kumpan Roger Wittmann und seiner Beratungsagentur Rogon. Daraus ist Grundsätzlicheres erwachsen: Der greise Monarch soll stürzen. Die Young Boyz etwa fordern einen „transparenten Verein“ statt „Marionettenspiel von alten weißen Männern“. Freilich war die Intransparenz den meisten Fans gut genug, solange die Ergebnisse und der Fußball stimmten.
Trotzdem ist das bemerkenswert. Das einst gefürchtete Hoffenheimer Modell, die lokale Feudalherrschaft, ist längst vom Aufstieg der Multi-Klub-Ownerships überrollt. Der zunehmend erratisch agierende Hopp, der trotz offizieller Rückkehr zu 50+1 wohl die Fäden in der Hand hält, ist ein Fossil auf einem Markt, wo Klubs als Assets in anonyme Portfolios wandern.
Und wie bei so vielen alten Männern mit zu viel Macht geht es nur noch um Machterhalt: Interimspräsidentin Simone Engelhardt stammt aus Hopps SAP-Kosmos, der neue Kandidat Jörg Albrecht, Sinsheims Ex-Oberbürgermeister, gilt als Hopp-Marionette.
Der personelle Kahlschlag in der Sommerpause, darunter gegen den bei Fans populären Geschäftsführer Alexander Rosen, könnte eine Implosion zu viel gewesen sein. Denn zur Wahrheit solcher egozentrischer „Lebenswerke“ gehört auch: Widerstand geht hier leichter als bei gut organisierten Großkapitalisten wie der City Football Group oder der Red Bull Gruppe.
So viel Protest war selten
Die Verwerfungen in Hoffenheim fallen in eine interessante Zeit. Selten ist eine Männersaison mit so viel Protest gestartet. In Dortmund gegen Sponsor Rheinmetall und in Stuttgart stürzten in der Sommerpause Fans und Porsche das Präsidium um Claus Vogt.
In Mainz protestieren Ultras gegen die Gleichgültigkeit des Klubs um Neuverpflichtung Kaishu Sano, der der sexualisierten Gewalt verdächtigt war, und gar in Leipzig liegt Red Bull mit Teilen der Fanszene im Clinch. Die dortigen drakonischen Kollektivstrafen (vorläufig keine Auswärtschoreos wegen Pyrotechnik) zeigen übrigens auch, welchen Unterschied es macht, wer einen Klub regiert.
Lange sah es aus, als ob die Entwicklung im Fußball nur in eine Richtung gehe: mehr Macht des globalen Kapitals. Tatsächlich wächst dessen Macht systembedingt immer weiter, weil das Wirtschaftsmodell des Fußballs vielfach nicht mehr trägt. Die offene Verachtung für lokale Faninteressen droht das Spiel zu zerreißen.
Doch in den vergangenen Jahren haben Fans mehrfach Erfolge errungen. Auch, weil Fußballunternehmen im Gegensatz zur freien Wirtschaft nicht einfach missliebige (Fan-)Stimmen loswerden und den Standort wechseln können. Auseinandersetzung muss ausgetragen werden.
Tatsächlich ist Protest präsent wie lange nicht. Gestalterischen Einfluss hat er weiterhin wenig und über punktuelle Aufreger kommt er kaum hinaus. Aber der Fall Hoffenheim zeigt: Wo Menschen wöchentlich zusammenkommen, entsteht irgendwann der Wunsch nach Mitsprache. Ohne Volkes Wille kann im Fußball niemand durchregieren.
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