piwik no script img

Fank Richer an der Schaubühne BerlinMamas kleine Kameras

Wer nicht lacht, macht sich verdächtig. Falk Richter hat sein Stück "Im Ausnahmezustand" über Wohlstandsparanoia inszeniert - etwas zu verliebt in jedes seiner Worte.

Falk Richters starkes Schaubühnenteam: Bruno Cathomas, Bibiana Beglau und Vincent Redetzki an der Tür des Theaters. Bild: mattias horn/vorabfoto

Der Kamin lodert. Das ist das einzige wärmende Bild in Falk Richters Inszenierung seines eigenen Stücks "Im Ausnahmezustand". Das Bühnenbild von Jan Pappelbaum ist ansonsten sehr kühl - glatte, glänzend schwarze Wände und Böden sieht man, zwei große mausgraue Sitzgruppen bilden eine Art "Wohnlandschaft". Es ist genau diese Kälte, die man heutzutage in allen Stilwerken und Designoutlets der Welt für elegant, modern oder edel hält. Und diese heißbegehrte Kälte hat sich auch in die Seelen der beiden Hauptpersonen des Stückes hineingefressen. Der namenlose Mann und die namenlose Frau bilden ein Ehepaar, dass es besser hat. Es lebt in seiner sogenannten Gated Community, also abgeschottet und "sicher", es ist integriert in durchorganisierte Nachbarschaftsveranstaltungen, genießt die Ruhe, und wenn es Lärm gibt, wird von der Leitung der Großanlage automatisch der beruhigende Sound von sich am Strande brechenden Wellen eingespielt. Man hat es gut in seinem goldenen Käfig.

Falk Richter lässt in seinem Stück nun die Situation eskalieren, denn die Frau, die ja im modernen Theater eigentlich immer aus dem Gefängnis des goldenen Käfigs fliehen will, will dort neuerdings auch bleiben. Zwar befürchtet sie, dass eines Tages die von "drüben" über die Mauern und "durch das Tor" kommen, doch sie kämpft entschlossen dagegen an, bewacht ihr Hab und Gut, checkt die Überwachungskameras, registriert wachsam kleinste Veränderungen. Sie will bleiben. Ihr Mann aber erscheint ihr verdächtig, denn auch er könnte ihr Heim, ihren Lebensentwurf sabotieren.

Vor allem aber funktioniert er nicht mehr. Der von Bruno Cathomas manchmal etwas zu übertrieben fahrig, etwas zu überdeutlich nervös gespielte Mann ist bei der Arbeit nicht mehr fröhlich genug, er "erledigt" nur noch seine Aufgaben. Die Firma also ruft die Gattin an, sie solle helfen, droht, den Mann anderenfalls zu beurlauben, denn entlassen werde ja nicht mehr. Nun muss sie, die treusorgende, beschützende Gattin, die Hüterin der Familie, den Mann zwingen, sich den Bedingungen noch mehr zu unterwerfen. "Sing", ruft sie. "Erzähl einen Witz." "Jetzt?", fragt der Mann verwundert. "Jetzt", befiehlt sie.

Doch während ihr Mann ihr außer einigen gebremsten Wutanfällen nicht viel entgegensetzen kann, macht der Sohn, beeindruckend gespielt vom gerade einmal 15 Jahre alten Vincent Redetzki, nicht als Ärger. Er stromert nachts umher, entzieht sich zunehmend der Kontrolle der Mutter, die ihn mit Kameras überwacht, und auch nicht davor zurückschreckt, sich unter seinem Bett zu verstecken, er will raus aus der Sicherheitszone. Und er will seinen Vater loswerden, denn die Mutter ist trotz allem seine Bezugsperson.

"Eines Tages wirst du verstehen", versucht die Mutter hilflos ihre Erziehungsmaßnahmen zu rechtfertigen. In der Rolle des Hausdrachens glänzt Bibiana Beglau, und ihr genaues, konzentriertes und selten übertriebenes Spielen demonstriert zugleich das Problem der Inszenierung. Falk Richter, der als Regisseur nicht über den Autor in sich Oberhand gewinnen konnte, hat auch die wenigen deutlichen Schwachstellen seines sonst sehr ausgeklügelten Stückes, die ausgedehnten, schnell ermüdenden, nichts als die Selbstverliebtheit des Autors wiederspiegelnden Schimpftiraden, in Gänze spielen lassen. Und schlimmer, er zwang seine Schauspieler, die dergleichen, da sie so gut sind, allesamt nicht müssten, das Gesagte überdeutlich zu illustrieren.

Brunoa Cathomas muss also zu oft seinen meistens in einem behäbigen trägen Körper steckenden "Mann" über die Bühne treiben, muss ihn sich abstrampeln lassen oder eine halbe Minute zu lang nervös mit den Fingern trommeln lassen, damit wirklich jeder, der kurz unaufmerksam war, das Bild begreift. Beglau dagegen muss, wenn sie den Drachen fauchen lässt, am Bühnenrand stehen und ins Publikum brüllen, damit auch die letzte Sitzreihe noch unter ihrem Ausbruch erzittert. Das aber ist, da es doch zu diesem Innen nur ein diffuses, weit weg gedämmtes Außen gibt, merkwürdig. Warum sollte denn, wer nicht raus will, sein Innerstes gewissermaßen aus dem Fenster brüllen? Hier hätte es vonseiten der Regie mehr Abstand zum Stück gebraucht und vielleicht auch zu den Schauspielern, denen Richter so offensichtlich schöne Szenen geben wollte, dass es im Verlauf des Stückes manchmal allzu aufgesetzt wirkt.

Dennoch ist "Im Ausnahmezustand" - ein sehr schöner Titel übrigens - ein angenehmes Stück, bei dem die Versuchsanordnung tatsächlich ein befriedigendes Ergebnis hervorgebracht hat. Das allerdings verdankt Richter vor allem seinen Schauspielern und unter ihnen noch einmal ganz besonders Bibiana Beglau, die die Bühne mit heißer Kühlheit ausfüllt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!