Familientrennung an Grenze USA-Mexiko: Babyknäste und Nazi-Vergleiche
Schlimmer als im Film: Um die US-Grenze zu schützen, lässt Trump nun sogar Babys inhaftieren. Ohne Eltern, finanziert durch Steuergelder. Die Empörung ist groß.
Mit achtzehn Monaten lernen Kinder oft Treppensteigen, mehrere Wörter aneinanderzureihen und Rückwärtslaufen. Manche werden noch gestillt. Viele Eltern finden Eineinhalbjährige zu klein, um sie in einer Kita betreuen zu lassen.
In den USA werden achtzehn Monate alte Kinder zurzeit inhaftiert. Ohne ihre Eltern. Das Vergehen der Kinder? Illegal eingereist zu sein in ein Land, dessen Präsident davon träumt, es wieder „großartig“ zu machen. Dafür müsse er es von einer „Pest“ befreien: von illegalen Einwanderern. „Vergewaltigern“. Genau so hat er Mexikaner bezeichnet.
Seit Mai sollen mehr als 2.300 Kinder direkt nach Grenzübertritt verhaftet und in Lager gebracht worden sein. Diese bestehen teils aus Zeltstädten in der texanischen Wüste, teils sind sie in unbenutzten Warenhäusern untergebracht, eines befindet sich in einer ehemaligen Walmart-Filiale. An manchen dieser Orte schlafen die Kinder auf Matratzen, eingewickelt in Thermofolie. Oft sitzen sie – manche sind Babys – in käfigartigen Strukturen, die mitunter kaum größer als ein Hundezwinger sind, auf dem Boden.
Mediziner und Psychologen, denen Zutritt gewährt wurde – JournalistInnen durften bislang so gut wie keine in die Lager – berichten von jämmerlich weinenden, teils verzweifelt schreienden Kleinkindern. Ein inhaftiertes Mädchen im Teenageralter soll wesentlich jüngeren Mithäftlingen gezeigt haben, wie man ein Kleinkind wickelt. Und befreite so eine mit ihnen zusammen eingesperrte Vierjährige, aus der misslichen Lage, stundenlang mit einer schmutzigen Windel herumlaufen zu müssen. Scheinbar fehlt es nicht nur an Personal, das die Kleine wickeln könnte. Auch Windeln sollen knapp sein.
Hunderte Kinder könnten schlichtweg verlorengehen
Im Netz kursiert ein Audio-Mitschnitt von der mexikanischen Grenze, das Undercover-JournalistInnen aufgenommen und ins Internet gestellt haben sollen. Darauf hört man die kläglichen Schreie von Kindern, die verzweifelt nach ihren Eltern rufen. Sich das anzuhören, ist nur schwer auszuhalten. Sogar ein Mädchen mit Down-Syndrom soll von seiner Mutter getrennt worden sein. Und Babys, die noch gestillt werden. Drei Lager eigens für Babys und Kleinkinder gibt es bereits in Texas; ein viertes soll in Kürze eröffnet werden. Gebaut mit Steuergeldern.
Getrennt sein sollen die Kinder von ihren Eltern für die Dauer von deren Asylverfahren, die sich mitunter über Jahre hinziehen können. In der Zwischenzeit sollen die Kinder von den Lagern auf Pflegefamilien verteilt werden. Wie Kinder und Eltern technisch überhaupt wieder zusammengeführt werden können, ist unklar. Einen Plan scheint es nicht zu geben. Ein Regierungsmitarbeiter befürchtet, Hunderte von Kindern würden irgendwo im System verlorengehen. So fehlt bereits von mehreren Kindern, hauptsächlich Mädchen, jede Spur. Man kann die Entwicklungen unter dem Hashtag WhereAreTheGirls verfolgen. Das letzte Mal, das ein ganz ähnlicher Hashtag benutzt wurde, war, als die Terrororganisation Boko Haram nigerianische Schulmädchen entführte.
Kinderärzte, Psychiater und Psychologen schlagen Alarm und fürchten ernsthafte Folgen in Form von anhaltender Traumatisierung durch größten emotionalen Stress. Ein honduranischer Vater, der von seiner Frau und seinem Kind getrennt wurde, erlitt einen Nervenzusammenbruch. Und nahm sich anschließend das Leben.
Das Netz reagiert entsetzt. Der ehemalige US-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders schreibt auf Twitter, es handle sich – laut Amnesty – um Folter. Tauendfach geteilt wurde das Video der Nachrichtensprecherin Rachel Maddow, die in Tränen ausbricht und der die Stimme versagt, als sie von den sogenannten „Babyknästen“ – offiziell Tender Age Shelters genannt, also Heime für Kinder im zarten Alter – berichten soll. #BabyJails ist mittlerweile einer der Top Trends auf Twitter. Vielfach gepostet wurde auch der Brief einer Mutter an ihren sechsjährigen Sohn, den sie schon zwei Wochen nicht mehr gesehen hat. Er möge die Hoffnung nicht aufgeben, schreibt sie ihm. Und dass sie ihm für seine Rückkehr das Batman-Spielzeug kaufen wolle, das er sich so sehr gewünscht habe.
Kritik von Microsoft und mehreren ehemaligen First Ladies
Der CEO von Microsoft Satya Nadella hat sich öffentlich gegen die Praktik von Trumps Regierung ausgesprochen. Als Einwanderer und Vater fühle er sich gleich doppelt angesprochen. Seinem Unternehmen wird allerdings der Vorwurf gemacht, Software an die US-Grenzschutzagentur ICE zu liefern.
Laura Bush, Michelle Obama und Hillary Clinton zeigen sich ebenfalls empört.
Auffällig ist, dass sich die Nazi-Vergleiche häufen. Man findet sie zum Beispiel unter dem Hastag TrumpConcentrationCampsForKids.
Auf einem (Original)Bild von Auschwitz prangt da plötzlich ein „Trump“-Schriftzug über dem Lagereingang. Dann gibt es eine Zeichnung, auf der gestreifte Pyjamas verkauft werden: „Für Migrantenkinder, klassischer Stil wie in Europa in den 40ern, gefertigt in China – von Kindern für Kinder, ideal fürs Lager“ steht darauf.
Die Angestellten der Einwanderungsbehörde ICE werden auf Twitter von mehreren Usern sogar mit dem NS-Verbrecher Adolf Eichmann verglichen. Eichmann hatte 1961 im Prozess gegen ihn seine Taten damit gerechtfertigt, lediglich seinen Job getan zu haben. Die Behördenmitarbeiter wählten ähnliche Worte.
Vergleiche mit Ceaușescu
Außerdem tauchen Vergleiche mit Rumänien unter Ceaușescu auf. Und mit der Internierung von in den USA lebenden JapanerInnen während des Zweiten Weltkriegs. Ein Mann, der damals ins Lager musste, meldet sich im Netz zu Wort. Er schreibt, das, was damals passiert sei, sei weniger schlimm gewesen als das, was sich gerade abspiele.
Und Trump? Sagt, er sei ebenfalls schockiert. Doch schuld seien die Demokraten, die keiner Verschärfung der Einwanderungspolitik zustimmten.
Zurzeit wird ein Gesetzesentwurf verhandelt, der vorsieht, dass Kinder nur noch zusammen mit ihren Eltern inhaftiert werden sollen. Der Preis dafür? Dass der Kongress die für die Mauer an der US-mexikanischen Grenze benötigten Gelder in Milliardenhöhe freigibt.
Ein schmutziger Deal. Aber alles besser, als länger an der Trennung von Kindern und Eltern festzuhalten. Kann jemand mal bitte Trump von der Liste von Friedensnobelpreiskandidaten nehmen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos