Fake News und Hass in Brasilien: Wie schützt man die Presse?
Spätestens seit Bolsonaro prägen Hetze und Gewalt das Klima gegenüber Journalist:innen in Brasilien. Die neue Regierung steuert dem nun entgegen.
Die Fakten sind eindeutig. „In den letzten vier Jahren sind die Angriffe auf Pressevertreter:innen um 328 Prozent gestiegen. 2022 war mit 557 registrierten Angriffen auf Journalist:innen extrem“, so María Esperidião. Die Direktorin der brasilianischen Vereinigung für investigativen Journalismus (Abraji) ist froh, dass die Regierung seit dem 8. Januar, dem Tag als Bolsonaro-Anhänger:innen durch das Regierungsviertel in Brasilia marodierten, gegensteuert. „Allein an diesem Tag und den beiden Folgetagen hat es 45 Angriffe auf Berichterstatter:innen gegeben. Darauf hat das Justizministerium reagiert und das war überfällig“, so Esperidião.
Am 16. Januar hatte Justizminister Flávio Dino die Gründung der Beobachtungsstelle für Gewalt gegen Journalist:innen angekündigt, am 8. Februar erfolgte die erste Sitzung der neuen Stelle, an der Abriji genauso mitarbeiten wird wie die Organisation Reporter ohne Grenzen. „Die zentrale Botschaft, die von der Gründung ausgeht, ist, dass die Sicherheit der Journalist:innen für die neue Regierung Priorität hat. Nun müssen wir gemeinsam sehen, wie wir das umsetzen“, schildert Esperidião die Herausforderung.
Alles andere als einfach in einer polarisierten Gesellschaft, in der Fake News und deren Verbreitung zum Instrumentarium des Systems Bolsonaro gehören. Laut dem Institut Aos Fatos, das Fakten checkt, hat Brasiliens Ex-Präsident in den 1.459 Tagen seiner Amtszeit 6.685 falsche oder verzerrte Aussagen getätigt und dabei auch immer wieder demokratische Institutionen wie den Obersten Gerichtshof angegriffen. Das seine Anhänger dort am 8. Januar besonders rabiat randalierten war kein Zufall, sondern direkte Folge des „Ökosystems der Desinformation“, wie der amtierende Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die anhaltenden Fake-News-Wellen nennt.
YouTube, Telegram und die Bolsonaro-Söhne
Diese Wellen branden weiter, gestützt von einem komplexen Kommunikationssystem aus Websites, Seiten in sozialen Netzwerken, Youtube-Kanälen mit Hunderttausenden von Follower*innen und organisierten Gruppen bei Kurznachrichtendiensten wie Whatsapp und nun verstärkt auch Telegram.
Die Stars der Fake-News-Show sind die drei Söhne Bolsonaros: Eduardo, Flávio und Carlos. Sie haben Schlüsselfunktionen inne. Sie bestimmen die Narrative, sie prägen die Strategie der direkten digitalen Kommunikation, die die Legitimität anderer politischer Akteur:innen, aber auch die von demokratischen Institutionen wie dem Obersten Gerichtshofs untergraben will. So analysiert es die linke Medienwissenschaftlerin Helena Martins.
Verbale Angriffe aus der Bolsonaro-Familie auf kritische Journalist:innen wie Patricia Campos Mello, Constança Rezende oder Glenn Greenwald, die für unbequeme Recherchen über die Aktivitäten der Bolsonaros verantwortlich sind, gehören dazu. Sie haben dazu geführt, dass Journalist:innen nicht nur in den sozialen Netzen Morddrohungen erhielten, sondern auch auf offener Straße wie Leonardo Sakamoto von der Nichtregierungsorganisation Repórter.
Dagegen will die Beobachtungsstelle nun aktiv werden. Momentan diskutiert sie, mit welchen Instrumenten. Kampagnen in der Öffentlichkeit, um die Bevölkerung, aber auch die Mitarbeiter:innen in den staatlichen Institutionen zu sensibilisieren, gehören auf jeden Fall dazu, so Leticia Kleim, Justizexpertin bei Abraji, die als Medienjuristin auch an der Universität São Paulo lehrt. Auch das Klassifizieren von Informationen im öffentlichen Interesse als geheim oder streng geheim, unter der Bolsonaro-Regierung gang und gäbe, werde es nicht mehr geben. „Das war mit dem Gesetz zur Informationsfreiheit nie vereinbar.“
Ob darüber hinaus auch die großen Plattformen wie Telegram, Whatsapp, Instagram und Co. gesetzlich angehalten werden, Fake News zu unterbinden, wie es Medienexpert:innen wie Helena Martins nach europäischem Vorbild fordern, ist derzeit noch offen. Ein Grund für diese Unsicherheit dürfte sein, dass die konservative Koalitionspartnerin União Brasil das Kommunikationsministerium innehat.
Minister Paulo Pimenta hat aber immerhin schon die Neuausrichtung der staatlichen Rundfunkgesellschaft EBC mitgetragen. Die hat eine komplett neue Führungsspitze und soll in den kommenden Jahren zu einer „internationalen Referenz für die Berichterstattung aus Brasilien“ werden, so Pimenta. Der Minister nannte dabei etwas widerwillig die britische BBC als Vorbild.
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