Fake News im Internet: „Es reicht nicht, zu dementieren“
Im Internet können alle Nachrichten verbreiten. Falschmeldungen sind keine Seltenheit. Hoaxmap ist ihnen auf der Spur.
Karolin Schwarz kämpft gegen Falschmeldungen, die in Medien und sozialen Netzen kursieren. Seit 2016 betreibt die 31-Jährige mit ihrem Kollegen Lutz Helm die Internetseite hoaxmap.org. Dort greifen sie Gerüchte über Geflüchtete auf und widerlegen sie mit seriösen Zeitungsartikeln und Fakten auf einer interaktiven Deutschlandkarte.
taz: Frau Schwarz, was treibt Sie an?
Dass über erfundene Meldungen im Netz Stimmung gemacht wird. Das ist eines der Werkzeuge, um die Diskussionskultur im Netz zu vergiften.
Und Sie wollen ein Gegengift sein. Wie machen Sie das?
Sehr viele Menschen melden uns Fälle auf Twitter oder per Mail. Außerdem suchen wir im Internet. Dann arbeiten wir diese Liste ab, aber wir haben lange nicht alles auf der Deutschlandkarte aufgenommen. Beim Widerlegen beziehen wir uns besonders auf lokale Medien, denn die Glaubwürdigkeit ist höher: Sie haben Leute vor Ort, kennen die lokalen Kontexte.
Wir achten dabei auf die Original-Story und darauf, wer zu Wort kommt, etwa Polizei oder Betroffene. Und die Falschmeldung muss klar widerlegt sein. Wir wollen ja nicht das nächste Gerücht verbreiten. Wir haben eine lange Liste von Fällen, die es nicht auf unsere Seite geschafft haben, weil nicht richtig klar war, was wirklich passiert ist.
2. Juni 1967: Ein Schuss tötet den Demonstranten Benno Ohnesorg. Dieses Datum markiert den Beginn einer bis heute geführten Debatte über Gegenöffentlichkeit, über die Medien, über Wahrheit und Lüge, oder, wie man heute formulieren würde, über Fake News und alternative Fakten, über Verschwörungstheorien, bürgerliche Zeitungen und alternative (auch rechte) Blätter, über die „Wahrheit“ und die Deutungshoheit gesellschaftlicher Entwicklungen. Nachdenken über 50 Jahre Gegenöffentlichkeit: taz.gegen den stromDie Sonderausgabe taz.gegen den strom – jetzt im taz Shop und auf www.taz.de/gegenoeffentlichkeit
Wie aktuell können Sie dabei veröffentlichen?
Es ist nicht unser Ziel, zeitnah wirklich alles auf der Karte zu haben: Dinge entwickeln sich oft erst noch. Und wir haben nicht die Kapazitäten dafür. Wir entschleunigen definitiv.
Welche Daten erheben Sie dabei?
Zum Beispiel Datum, Ort und Verbreitungsweg. Besonders wichtig ist die Kategorie der Gerüchte. Man kann sehen, dass sie in drei große Kategorien fallen. An erster Stelle stehen Diebstähle und Raub. Dann kommen Gerüchte über sexualisierte Gewalt, vor allem Vergewaltigungen.
Am drittstärksten sind Geld- und Sachleistungen. Es gibt also viele Gerüchte über Bordellgutscheine und Smartphones, wenige über Mord und Totschlag.
Wie hat sich das verändert, seit Sie die Hoaxmap begonnen haben?
Die Person: Karolin Schwarz, 31, wohnt in Berlin. Aktuell arbeitet sie unter anderem für correktiv! als Fakt-Checkerin.
Die Karte: Zeigt bundesweit Fälle von Falschmeldungen über Geflüchtete. Auch Fälle aus Österreich und der Schweiz wurden bereits aufgenommen. Inzwischen gibt es ein ähnliches Projekt, das sich an Hoaxmap orientiert, in Finnland: Kleiner, aber mit dem gleichen Anspruch.
Das Ziel: Klarheit in Zeiten der Fake News
Die Seite: www.hoaxmap.org
Mit den Geflüchteten kamen auch die Gerüchte über sie. Mitte 2015 ging die Zahl der Falschmeldungen enorm nach oben, bis zum Höhepunkt im Januar 2016 nach Köln. Mit der Schließung der Balkanroute sind die Gerüchte erst mal extrem eingebrochen. Aber es gibt immer mal wieder Uralt-Gerüchte, wie die Umbenennung des Weihnachtsmarktes aus Rücksicht auf muslimische Gefühle. Das ist ein Evergreen.
Insgesamt werden jetzt aber weniger Gerüchte über konkrete Straftaten erfunden, sondern mehr auf der Metaebene: dass es etwa eine politische Strategie gebe, Millionen von Afrikanern zu holen.
Wie entstehen Falschmeldungen?
Viele Fälle auf unserer Karte haben Falschanzeigen als Grundlage. Es werden Straftaten über Asylsuchende oder „Südländer“ erfunden, dann geht man damit zur Polizei. Teilweise um etwas zu vertuschen, teilweise wahrscheinlich aus Boshaftigkeit. Ich glaube, nicht alle dieser Falschanzeigen sind rassistisch motiviert, aber sie werden ausnahmslos rassistisch instrumentalisiert.
Wenn die Polizei dann eine Pressemitteilung dazu rausgibt – mit der Tatsachenbehauptung – dann hat das eine viel höhere Glaubwürdigkeit als irgendein Facebook-Post von Hans von nebenan.
Und die Medien greifen die Mitteilungen dann ungeprüft auf?
Viele schreiben die Polizeiberichte einfach nur um. So kommt es zu vielen Tatsachenbehauptungen. Außerdem gibt es selten Updates der Artikel, wenn sich die Geschichte im nächsten Schritt um 180 Grad wendet oder widerlegt wird. Oft werden die ursprünglichen Artikel in sozialen Netzwerken dann noch immer als Tatsachenbehauptung weitergetragen, obwohl es schon neue Entwicklungen gibt. Damit muss man einfach besser umgehen! Gerade bei den lokalen Medien, die eine große Verantwortung haben.
Eine Theorie besagt, dass man Fake News stärker glaubt, je öfter sie widerlegt werden.
Ja, wenn man dabei das Gerücht wiederholt, um zu sagen, dass es falsch ist. Wir versuchen deswegen ganz klar zu sagen: „XY hat ein Gerücht über irgendwas erfunden“. Also ein bisschen abseits vom konkreten Gerücht zu schreiben, mehr zum Urheber hin. Aber es ist sehr schwierig, da noch journalistisch zu arbeiten, denn letztendlich musst du aufgreifen, was verbreitet wurde.
Gibt es eine andere Möglichkeit, Gerüchte gut zu widerlegen?
Es ist gut, wenn betroffene Institutionen schnell widersprechen. Aber auch die wiederholen ja eigentlich das Gerücht. Von einem Supermarkt hieß es, dass er schließen müsse, weil Asylsuchende klauen würden. Der Chef hat vor dem Laden ein Schild aufgestellt und auf Facebook gepostet hat, dass das falsch ist. Das hat sich viel mehr verbreitet als die Falschmeldung, obwohl auch er das Originalgerücht aufgreift!
Wichtig ist, dass ein Bewusstsein bei den betroffenen Institutionen geschaffen wird. Es gab jetzt auch ein Gerücht zu C&A, das 1000-fach geteilt wurde. Es heißt, in München würden Asylsuchende sich dort neu einkleiden, ihre alten Klamotten liegenlassen und dann einfach rausspazieren. Ich habe mal nachgefragt, wie C&A das in ihre Öffentlichkeitsarbeit einbezieht: Sie antworten auf Presseanfragen und dementieren, aber offensiv gehen sie damit nicht um.
Sie werden keine öffentliche Mitteilung rausgeben oder einen Facebook-Post absetzen, in dem sie dem Gerücht vehement widersprechen. Das reicht nicht aus!
Warum gehen Institutionen nicht offensiv mit Falschmeldungen um?
Bei vielen Behörden bin ich mir relativ sicher, dass sie es noch nicht verstanden haben. Bei Unternehmen ist das unterschiedlich. In diesem Fall will man – glaube ich – kein Fass aufmachen. Wenn sie jetzt einen Facebook-Post absetzen, wird der vermutlich hundertfach kommentiert und ein Social Media Team muss sich ransetzen und das überwachen. Das ist Aufwand!
Viele der Gerüchte haben eine enorme Reichweite. Kann die Hoaxmap da mithalten?
Dazu sind wir zu entschleunigt. Wir können das nur sammeln, aggregieren und zeigen, dass es ein Phänomen ist und mehr als nur Einzelfälle. Wir bieten ein Nachschlagewerk für Menschen, die mit Uralt-Gerüchten konfrontiert sind. Die Blase der Überzeugten, die sich eine alternative Realität geschaffen haben, erreichst du einfach nicht. Aber es gibt viel mehr Menschen, die verunsichert sind und nicht wissen, was sie glauben sollen.
Für die bieten wir eine Anlaufstelle. Ich bin froh über jeden einzelnen Menschen, der am Gartenzaun mit dem Nachbarn diskutiert und dabei etwas in der Hand hat.
Und was ist mit negativen Rückmeldungen?
Da kommen die unterschiedlichsten Sachen an. Oft Vermutungen darüber, dass wir von irgendjemandem gesteuert oder finanziert werden. Vom BAMF, der Nato, den Juden: alles, was man sich da so vorstellen kann, sogar von Merkel persönlich.
Werden Sie denn finanziert?
Nein, eine Seite zu betreiben, das kostet ja fast nichts. Und die Arbeit an der Hoaxmap ist ehrenamtlich. Manche werfen uns auch vor, wir würden verheimlichen, dass Geflüchtete Straftaten begehen, was auch Quatsch ist. Das haben wir nie behauptet und das wäre auch wirklich doof. Das Ziel ist doch, die Dynamik hinter den gezielten Falschmeldungen und ihrer Verbreitung offenzulegen. Zeigen, dass damit Politik gemacht wird, dass damit das Klima im Internet vergiftet wird.
Viele Aktivisten gegen rechts werden momentan stark bedroht. Welche Erfahrungen machen Sie?
Es gibt Leute, die mir Vergewaltigungen wünschen. Auch Männer, die mir das androhen. Menschen, die meinen, uns sollte man auflauern und verprügeln. Das zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Manche unterschreiben sogar sehr prominent mit Doktortiteln. Aber bestimmt 90 Prozent von ihnen sind männlich. Es war absehbar, dass so etwas passiert. Es ist in dem Themenkomplex schon vorprogrammiert. Das alles ist nervig und nimmt einen mit, aber es geht inzwischen in den Alltag über.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles