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Fahrscheinkontrollen in HamburgSocial Profiling im Nahverkehr?

In den ärmeren Stadtteilen Barmbek, Billstedt und Veddel gab es 2022 die stadtweit meisten Fahrscheinkontrollen. Die Linke vermutet eine Strategie.

Im stadtweiten Vergleich häufiger in ärmeren Vierteln im Einsatz: Kontrolleur der Hamburger Hochbahn Foto: dpa / Daniel Reinhardt

Hamburg taz | Kontrolliert der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) Fahrscheine häufiger in ärmeren Stadtteilen? Darauf deutet zumindest die Antwort des Senats auf eine kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Heike Sudmann hin. Sie hatte vermehrt von Menschen gehört, die sich über die in jüngster Zeit zahlreich auftretenden Ticketkontrollen an der S-Bahn-Station Veddel in Wilhelmsburg beschwerten. Sudmann glaubt, dass die Menschen vor Ort die Kontrollen „mitunter als schikanös“ wahrnehmen.

Die verkehrspolitische Sprecherin ihrer Fraktion fragte den Senat nach der Anzahl der Kontrollen speziell an der Station Veddel sowie generell an Hamburger Haltestellen, ebenso nach den Kriterien, nach denen die Kontrollen stattfinden. Es ging ihr um Groß- beziehungsweise sogenannte Abgangskontrollen: Kontrollen also, bei denen viele Fahr­kar­ten­prü­fe­r:in­nen an den Ausgängen der Stationen stehen und alle Menschen, die hinaus wollen, kontrollieren. Regelmäßig bemängeln Menschen die Ruppigkeit und mangelnde Sensibilität bei den Kontrollen.

Der Senat antwortet nun, dass während der Coronapandemie die Kontrollen reduziert stattgefunden hätten, um „Stau- und Pulkbildung“ möglichst zu vermeiden. Nun müsse wieder vermehrt kontrolliert werden, weil mehr Menschen ohne Fahrschein unterwegs seien als vor der Pandemie. Generell wolle der HVV alle Linien und Stationen mindestens einmal pro Jahr kontrollieren.

„Die Art und Häufigkeit der Kontrolle“, schreibt der Senat, „richtet sich nach Anzahl der zur Verfügung stehenden Prüfpersonale, dem Fahrgastaufkommen, Rückmeldungen vom Fahrpersonal und Beschwerden von Kun­d:in­nen sowie den Ergebnissen aus vorangegangenen Kontrollen auf diesen Linien beziehungsweise Haltestellen.“

Erstaunlich ist die relative Dichte der Kontrollen an Haltestellen, die in ärmeren und Randgebieten liegen

Erstaunlich ist allerdings die relative Dichte der Kontrollen an Haltestellen, die in ärmeren und Randgebieten liegen und eine Fokussierung auf das letztgenannte Kriterium nahelegen: Die drei am meisten kontrollierten Haltestellen waren 2022 Barmbek, Billstedt und Veddel; laut Sozialmonitoring der Stadt drei Gebiete aus statusniedrigen Clustern, also ärmeren Gebieten. „Menschen, denen das Geld fehlt, fahren oft notgedrungen ohne Fahrschein“, sagt Sudmann. „Ich habe die Vermutung, dass in ärmeren Stadtteilen wesentlich mehr kontrolliert wird, damit der HVV seine Erfolgsquote erreicht.“

HVV-Sprecher Rainer Vohl kann den Vorwurf nicht nachvollziehen: „Aus unserer Sicht findet keine Fokussierung statt. Wir haben nicht das Kriterium, sozial schwächere Stadtteile zu kontrollieren.“ Es gehe bei den Kontrollen schlicht darum, die Quote von Menschen, die ohne Fahrschein fahren, niedrig zu halten.

Verschärft wird die Situation dadurch, dass das Fahren ohne Fahrschein in Deutschland nach wie vor eine Straftat ist. Aus einer weiteren Anfrage Sudmanns vom Mai 2022 geht hervor, dass die Gerichte überproportional wohnungslose Menschen und Menschen, die Sozialleistungen beziehen, zu Geld- und Freiheitsstrafen wegen „Beförderungserschleichung“ verurteilen.

Jenen, die eine Geldstrafe nicht zahlen können, droht eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe, von der allein in Hamburg wegen Schwarzfahrens jedes Jahr Dutzende von Menschen betroffen sind. Erst im Dezember vergangenen Jahres hatten 20 Menschen vor dem Hauptbahnhof unter dem Motto „HVV – Stop bullying the neighbourhood“ gegen die Kriminalisierung von Schwarzfahren demonstriert.

Sudmann kritisiert weiter: „Während bundesweit und auch in Hamburg die Diskussionen laufen, das Fahren ohne Fahrschein nicht mehr als Straftat gelten zu lassen und die Ersatzfreiheitsstrafe bei Nichtzahlung des Bußgeldes abzuschaffen, verfolgt der HVV weiter arme Menschen.“ Bereits seit Jahren fordert sie daher, den ÖPNV für arme Menschen kostenfrei zu machen.

Studien aus der Zeit des 9-Euro-Tickets haben gezeigt, dass genau jene Menschen, die es sich vorher nicht oft leisten konnten, den ÖPNV zu nutzen, etwa um Freun­d:in­nen zu besuchen oder einen Arzt zu erreichen, diesen rege nutzten.

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4 Kommentare

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  • " Verfolgt der HVV ... arme Menschen", wie Heike Sudmann behauptet? Ich würde sagen: JA!

    Aber weniger durch Kontrollen, an solchen Orten wo es sich "lohnt", als vielmehr durch die sozialdemokratische Form der Preisgestaltung. Um legal die 4 Stationen bis zum Jungfernstieg zu fahren (Luftlinie: 3,7 km, 4 Stationen, 9 Min.) benötigt man 3,60 Euro. Mehr muss man vom S-Blankenese (Luftlinie: 11,8 km, 11 Stationen, 24 Min.) oder vom AKN-Bhf. Meeschensee (Luftlinie: 22,4 km, 24 Stationen, 47 Min.) auch nicht bezahlen. Aber auf der Veddel haben viele kein Auto, also kann man's machen.

    Und seit über 20 Jahren kann man es regelmäßig erleben, dass die S-Bahn morgens bereits so voll ankommt, dass man gar nicht mitkommt, weil die Stromversorgung keine längeren Züge und keinen engeren Takt zulässt. Um das zu beseitigen müsste man allerdings Geld in die Hand nehmen. Ausgerechnet für die Strecke nach HARBURG? Da bauen wir doch lieber eine neue U-Bahnlinie für 8(?) Mrd.

  • Menschen mit Fahrschein werden stark gehäufte Kontrollen sicher als schinkanös wahrnehmen. Doch man sollte trotzdem nicht die Ursache mit der Wirkung verwechseln. Kontrolliert wird gehäuft dort, wo auffallend häufiger Menschen ohne gültigen Fahrschein erwischt wurden. Das hat dann nichts mit arm oder reich zu tun, obwohl natürlich anzunehmen ist, daß Menschen mit viel zu wenig Geld auch häufiger darauf verzichten, sich einen Fahrschein zu kaufen.

  • Kein Mensch käme auf die Idee, Ladendiebstahl zu legitimieren, weil sich manche Leute manche Lebensmittel nicht leisten können. Es ist gut möglich, dass in "ärmeren" Gegenden mehr Ladendiebstähle vorkommen und in den entsprechenden Filialen dann mehr Ladendetektive eingesetzt werden. Wer ohne Fahrschein fährt, macht im Grunde nichts anderes als ein Ladendieb. Öffentlicher Nahverkehr kostet sehr viel Geld und das muss zumindest teilweise von denen aufgebracht werden, die ihn nutzen. Wenn einige dies nicht tun, ist das vor allem unfair denen gegenüber, die sich einen Fahrschein kaufen, auch wenn bei ihnen selbst das Geld knapp ist.

    Natürlich kann (znd sollte) man darüber diskutieren, ob der Nahverkehr stärker subventioniert werden sollte, etwa in Form eines (2/4)9€-Tickets oder eines Sozialtickets. Was allerdings sehr schlecht wäre, wäre dem Nahverkehr insgesamt Geld zu entziehen, denn das wird dringend gebraucht, für Personal, neue Strecken und Fahrzeuge, mehr Barrierefreiheit etc.. Wenn aber vermehrt Leute keinen Fahrschein kaufen, dann passiert genau das, dieses Geld fehlt einfach. Und das passiert, wenn nicht gezielt dort kontrolliert werden kann, wo vermehrt schwarz gefahren wird.

  • Bevor man sinnvoll darüber diskutieren kann, ob in einigen Stadtteilen möglicherweise unangemessen häufig kontrolliert wird, muß man fragen, wie das überhaupt sinnvoll zu messen sei. Das Kriterium ist nicht, ob an manchen Haltestellen öfter kontrolliert wird als an anderen, es ist auch nicht, of dort relativ zum Fahrgastaufkommen mehr kontrolliert wird. Sinnvolles Kriterium ist einzig und allein nur die Quote der pro Kontrolle entdeckten Schwarzfahrer. Dazu erfahren wir nichts genaues, allerdings deutet der Text selbst an, es könne sich durchaus genau andersherum verhalten. Falls es so sein sollte, daß in wohlhabenderen Vierteln pro Kontrollvorgang signifikant weniger Betrüger gefunden werden, die sich eine Leistung ohne Bezahlung erschleichen wollten, dann sind die es, die schikanös unangemessen häufig kontrolliert werden.



    Der Teil des Textes, der die Frage nach der Preisgerechtigkeit anspricht, könnte vielleicht seine Berechtigung haben. Dann wäre dieses Thema anzugehen aber nicht und niemals sind die Diebe zu Lasten der anständigen, ehrlichen Bürger, auch und gerade unter Armen die Mehrheit, zu bevorzugen.