Fahndung nach Ex-Manager Marsalek: Aktenzeichen Wirecard ungelöst
BKA und Interpol suchen den flüchtigen Vorstand des insolventen Dax-Konzerns. Die Unwissenheit muss groß sein. Sogar das ZDF schaltet sich ein.
Die Unwissenheit scheint groß zu sein, andernfalls würden die sonst klammheimlich agierenden Fahnder kaum derart großflächig die Öffentlichkeit suchen. Marsalek sei „männlich, 40 Jahre alt, ca. 180 cm groß“ und spreche „östereichisch, französisch und englisch“. Die äußere Erscheinung des gebürtigen Wieners sei „europäisch“, er habe braune Augen und eine schlanke Statur. Sogar in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY... ungelöst“ wurden die Zuschauer am Mittwochabend um Hinweise zum Aufenthaltsort Marsaleks gebeten.
Zwei Fahndungsfotos, eins mit Rauschebart, eins mit Schlips, fügte das BKA bei. Mit im Boot, den wohl größten Bilanzskandal in der Geschichte der Bundesrepublik aufzuklären: die Staatsanwaltschaft München I, deren Korruptionsjäger bereits wegen Ermittlungen gegen diverse Großschummler (Siemens, HRE, MAN, Bernie Ecclestone) von sich reden machten.
Nicht ganz unwichtiges Detail im Wirecard-Thriller: die Frage, ob der Finanzminister und frisch designierte Kanzlerkandidat der SPD, Olaf Scholz, die Vorwürfe wegen nachlässiger Kontrolle oder gar Protegierung des Zahlungsdienstleisters aus Aschheim bei München durch ihm unterstellte Behörden übersteht. Die Opposition droht mit einem Untersuchungsausschuss im Bundestag. Am Montag machten neue Vorwürfe gegen die Scholz unterstellte Geldwäscheeinheit FIU die Runde, die jahrelang 1.000 Hinweise gegen Wirecard nicht weitergegeben haben soll.
3,2 Milliarden Euro futsch
Es gehe um den „Verdacht des gewerbsmäßigenBandenbetrugs, des besonders schweren Falls der Untreue sowie weiterer Vermögens- und Wirtschaftsdelikte“, heißt es beim BKA. Der „Beschuldigte M.“ solle „Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der Wirecard AG durch Aufnahme von vorgetäuschten Einnahmen aus Zahlungsabwicklungen im Zusammenhang mit Geschäftenmit sogenannten Third-Party-Acquirern (TPA) aufgebläht haben, um so das Unternehmen finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver darzustellen“. Deshalb hätten Banken und andere Investoren insgesamt 3,2 Milliarden Euro bereitgestellt – die sind wahrscheinlich allesamt futsch.
Verschwunden wie Marsalek, der angeblich Kontakte zum russischen Geheimdienst hat – und Pläne über den Aufbau einer 15.000 Mann starken Söldnertruppe in Libyen, um die Migration aus dem Süden zu stoppen.
Am Donnerstag ging die Wirecard-Saga fast wie bei Leo DiCaprio und „Catch me if you can“ weiter: Ermittler aus den Philippinen empfahlen, Anzeige gegen zwei weitere Verdächtige zu erstatten, die dem offenkundigen Hochstapler offenbar bei seiner Flucht aus Deutschland geholfen haben. Die Beamten hätten falsche Informationen in die Datenbank des Immigrationsbüros eingetragen.
Demnach wäre Marsalek am 23. Juni in der Hauptstadt Manila eingetroffen und hätte die Philippinen am folgenden Tag von der Provinz Cebu aus – die auf einer anderen Insel liegt – wieder verlassen, so die nationale Ermittlungsbehörde. Allerdings habe es am 24. Juni gar keinen Flug von Cebu nach China gegeben, wohin Marsalek angeblich gereist sein sollte. Zudem seien den Angaben nicht – wie bei solchen Einträgen üblich – die Reisepassdaten des Österreichers beigefügt worden.
Am 22. Juni hatte die Jagd auf „M.“ begonnen. Das Amtsgericht München erließ einen Haftbefehl. Kurz zuvor war herausgekommen, dass sich wegen Luftgeschäften in Südostasien und im Mittleren Osten eine Summe von 1,9 Milliarden Dollar nicht auf philippinischen Treuhandkonten von Wirecard befanden. Wenige Tage später musste der Konzern mit 5.000 Mitarbeitern Insolvenz anmelden, tausende Anleger verloren viel Geld.
Wo ist Marsalek? Medien berichteten Mitte Juli, er könne sich in Belarus oder Russland aufhalten, Wladimir Putin habe ihn höchstpersönlich versteckt. Der ehemalige Vorstandschef Markus Braun und der frühere Finanzvorstand Burkhard Ley sowie andere Manager sitzen dagegen schon seit Ende Juli in Untersuchungshaft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP